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Reul über rechte Netzwerke„Den Vertrauensverlust wieder gut zu machen, wird hart“

Lesezeit 5 Minuten
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Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen

  1. Nach dem Bekanntwerden rechtsradikaler Chatgruppen innerhalb der NRW-Polizei spricht NRW-Innenminister Herbert Reul im Interview über den Stand der Ermittlungen.
  2. Außerdem erklärt er, warum er trotz der jüngsten Enthüllungen gegen eine wissenschaftliche Studie zum Extremismus bei der Polizei ist.

Sie haben eingeräumt, rechtsextreme Tendenzen in der Polizei zu spät erkannt zu haben. War die Polizeiaufsicht auf dem rechten Auge blind?

Reul: Nein, blind sicher nicht. Aber der Blick war vielleicht nicht scharf genug. Das muss man sich nach den schrecklichen Vorgängen, die jetzt bekannt geworden sind, sicher selbstkritisch fragen lassen.

Wer trägt die Verantwortung für die Vorgänge?

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Reul: In erster Linie die beteiligten Beamten und deren unmittelbarer Vorgesetzter. Wir haben bisher keine Hinweise darauf, dass sonst jemand etwas von den braunen Umtrieben in dieser Dienstgruppe mitbekommen hat.

Hätten Sie die schon bekannten Vorfälle in NRW und anderen Bundesländern nicht alarmieren müssen?

Es ist ja nicht so, dass wir bisher die Hände in den Schoss gelegt hätten. Ich habe bereits 2018 angeordnet, dass alle unsere neuen Polizisten vom Verfassungsschutz durchleuchtet werden. Nach dem Skandal im Polizeipräsidium Hamm haben wir in allen 50 Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen Extremismusbeauf-tragte einrichten lassen. Das gibt es, soweit ich weiß, so in keinem anderen Bundesland.

Warum haben Sie den Vorschlag der Opposition, einen unabhängigen Beauftragten für Rechtsextremismus bei der Polizei zu installieren, beiseite gewischt?

Mein Modell ist ein anderes. Ich will jemanden, der mit Hilfe von unabhängigem Sachverstand nach Lösungen sucht. Und keinen Sonderermittler.

Jetzt reagieren Sie mit Härte – wollen Sie ein Exempel statuieren?

Ich habe nicht den Eindruck, dass ich in diesem Fall überreagiere. Mir geht es um eine klare Botschaft: Jeder Beamte sollte wissen, dass ich beim Thema Rechtsextremismus in den eigenen Reihen keinen Spaß verstehe. Ich will wissen, wie das sein kann und was dahintersteckt. Mir geht es um Aufklärung.

Wie sollen Polizisten reagieren, wenn sie auf der Straße als Nazis beschimpft werden?

Eine solche Beleidigung ist eine Unverschämtheit! Aber ich bin sicher, die Polizisten werden so reagieren, wie sie auch bei anderen Anfeindungen reagieren: mit professioneller Gelassenheit. Der weit überwiegende Teil der 40.000 Polizisten in NRW hat nämlich überhaupt keinen Grund, sich angesprochen zu fühlen.

Wie kann die Polizei den Vertrauensverlust wieder gut machen?

Das wird sehr harte Arbeit, da machen wir uns nichts vor. Aber es ist wichtig, dass wir darum kämpfen. Denn an der Rechtsstaatlichkeit und Verfassungstreue unserer Polizei darf es nicht den geringsten Zweifel geben.

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Sollten Polizisten dazu angehalten werden, im Rahmen von Fortbildungen NS-Gedenkstätten zu besuchen?

Auf jeden Fall! Als ehemaliger Lehrer weiß ich, dass solche Besuche viel mehr bringen als 100 Unterrichtsstunden Staatsbürgerkunde.

Unter den Verdächtigen sind auch Polizisten mit Migrationshintergrund. Hat Sie das überrascht?

Ja, ein bisschen. Und sie waren nach allem, was ich weiß, nur stille Mitleser. Das weckt in mir die Hoffnung, dass es sich vielleicht doch nicht bei allen Chatteilnehmern um überzeugte Rechtsextremisten handelt. Vielleicht hatten manche einfach nicht den Mut zu widersprechen, was natürlich auch nicht in Ordnung ist.

Sind Sie durch den Fall Lügde als Krisenmanager abgehärtet?

Das war damals schon eine verdammt harte Zeit. Aber sie hat mir gezeigt, dass in jedem Skandal auch eine Chance steckt. Nämlich die, die Dinge nachhaltig zum Besseren zu verändern. Das habe ich mir auch für den aktuellen Skandal vor-genommen.

Die Opposition fordert eine wissenschaftliche Studie zum Extremismus bei der Polizei. Was halten Sie davon?

An der Stelle bin ich nach wie vor skeptisch. Nicht weil ich grundsätzlich etwas gegen die Einbeziehung von wissenschaftlichem Sachverstand hätte − im Gegenteil. Aber ich will auch nicht das Spiel derjenigen Wissenschaftler spielen, deren Geschäftsmodell offenbar darin besteht, mit vorgefertigten polizeikritischen Thesen ins Fernsehen oder in die Zeitung zu kommen.

Auch in Essen gibt es eine Beauftragte für Extremismus. Wie ist es zu erklären, dass ihr die Vorgänge nicht gemeldet wurden?

Der Chat lief seit 2012, die Extremismusbeauftragten haben wir erst im Frühjahr eingerichtet. In der kurzen Zeit darf man auch keine Wunder erwarten.

Wurden mögliche Hinweisgeber vielleicht davon abgeschreckt, dass die Extremismusbeauftragte dort ausgerechnet die Frau des Polizeipräsidenten ist?

Das glaube ich nicht. Sowohl der Polizeipräsident als auch die Extremismusbeauftragte sind, glaube ich, über jeden Verdacht erhaben, beim Thema Kampf gegen Rechtsextremismus keine klare Meinung zu haben. Im Übrigen sind bei der Essener Extremismusbeauftragten durchaus Hinweise eingegangen, nur nicht zu diesen Chatgruppen.

SPD und Grüne haben bislang moderat reagiert und Ihren Rücktritt nicht gefordert. Haben Sie die Opposition im Griff?

Nein, das ist auch überhaupt nicht mein Ziel. Dafür saß ich selbst zu lange auf der Oppositionsbank. Natürlich ist es völlig in Ordnung, wenn die Opposition den Finger in die Wunde legt. Aber ich weiß es auch sehr zu schätzen, dass sie mit dem aktuellen Skandal verantwortungsbewusst umgeht. Es gibt ja einen Unterschied zwischen kritischen Nachfragen und Effekthascherei.

Sie sind jetzt 68 Jahre alt. Hätten Sie Lust, auch im nächsten Kabinett als Innenminister weiter zu machen?

Politische Macht ist immer nur geliehene Macht, und zwar auf Zeit. Diese Landesregierung ist bis zum Mai 2022 gewählt. Alles, was danach kommt, entscheiden die Wählerinnen und Wähler.

Das Gespräch führte Gerhard Voogt