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Rolf Mützenich zum Deutschlandticket„Vor ein paar Jahren wäre das undenkbar gewesen“

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Rolf Mützenich

  1. Rolf Mützenich traut der Ampelregierung noch viele Erfolge zu. Man wolle klimafreundliche Arbeitsplätze schaffen und für soziale Sicherheit sorgen
  2. Im Krieg Russlands gegen die Ukraine setzt Mützenich auf internationale Akteure, die ein Einfluss auf Russland ausüben können.
  3. Thomas Kutschaty hält er für den künftigen Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen.

DüsseldorfHerr Mützenich, in NRW leben rund drei Millionen Menschen an oder unter der Armutsgrenze. Für sie dürfte ein 49-Euro-Ticket nicht zu stemmen sein. Wurde für Geringverdiener zu wenig erreicht?Rolf Mützenich: Ein Ticket, das in ganz Deutschland im Nahverkehr gilt, wäre vor ein paar Jahren undenkbar gewesen. Wir haben jetzt einen Paradigmenwechsel erreicht, und das ist ein großer Erfolg. Für bestimmte Gruppen, die sich das Ticket nicht leisten können, haben die Bundesländer und die Kommunen die Möglichkeit, eigene entlastende Regelungen zu schaffen.

Der Bund will eine Milliarde Euro in den Ausbau der Verkehrsnetze investieren, ein Tropfen auf den heißen Stein?

Mit Sicherheit werden über die Jahre die Investitionsnotwendigkeiten höher sein. Aber die Mittel, die der Bund jetzt bereitstellt, sind beachtlich. Außerdem muss man im Blick behalten, welche Infrastruktur-Projekte tatsächlich zu realisieren sind. Auch Privatleute haben ja derzeit Probleme, Handwerker oder ausreichend Waren zu finden.

Die Ampel ist mit großem Pathos gestartet. Jetzt erinnern FDP und Grüne an die schlimmsten Zeiten des Streits zwischen FDP und CSU in der schwarz-gelben Koalition. Kann unter diesen Umständen das Bündnis über die gesamte Legislatur halten?

Die Koalition wird beieinanderbleiben. Und das ist gut für Deutschland, denn wir haben noch viel vor. Wir wollen in der Wirtschaft neue, gutbezahlte und klima-freundliche Arbeitsplätze schaffen. Wir wollen gerade jetzt in den Krisenzeiten für soziale Sicherheit sorgen. Wir bauen unser Land um, damit es für die großen Veränderungen in der Welt gut gewappnet ist. Ich wünsche mir aber manchmal mehr Disziplin und ein gewisses Maß an Höflichkeit.

Nach der Flüchtlingskrise 2015 wurde ein Großteil der Infrastruktur wieder zurückgebaut. Wäre es nicht sinnvoll, dauerhaft eine Reserve an Wohncontainern in den Kommunen vorzuhalten, anstatt immer wieder bei null anzufangen und Turnhallen zu belegen?

Auch nach dem Ukraine-Krieg wird es immer wieder Flüchtlingsbewegungen geben, die politische, soziale oder klimabedingte Ursachen haben können. Darauf werden sich die Kommunen einstellen müssen, auch wenn mir klar ist, dass die Städte und Gemeinden jeden Cent dreimal umdrehen müssen. Ihre Gestaltungsspielräume sind begrenzt. Statt in einen Container, der leer steht, investiert man lieber Geld in den Wohnungsbau. Das kann ich nachvollziehen.

Zu Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine war die Solidarität in Deutschland mit den Angegriffenen überwältigend. Glauben Sie, dass die Stimmung angesichts der wirtschaftlichen Folgen wie Inflation und Energiekrise nach und nach kippen wird?

Ich bin sicher, dass auch in der Bevölkerung die Solidarität mit der Ukraine groß bleiben wird. Und damit die Folgen der russischen Aggression hier im Land erträglich bleiben, schnüren wir ja die milliardenschweren Entlastungspakete.

Die Lage im Kriegsgebiet ist unübersichtlich. Die russische Armee ist geschwächt, aber dennoch ist kein Ende des Krieges in Sicht. Wie kann Ihrer Ansicht nach der Konflikt beendet werden?

Der Krieg in der Ukraine wird am Ende nicht auf dem Schlachtfeld entschieden. Unser Ziel sollte es sein, neben der umfassenden Unterstützung der Ukraine, der Diplomatie mehr Raum zu geben. Dabei wäre es ein Missverständnis darunter direkte Verhandlungen zu verstehen. Es gibt viele internationale Akteure, die versuchen könnten, Einfluss auf Russland auszuüben. Dazu muss man mit denen aber auch reden. Diplomatie hält ja ein ganzes Bündel unterschiedlichster Maßnahmen und Methoden der Kommunikation bereit. Wir benötigen letztlich eine breite diplomatische Agenda, damit das tägliche Sterben ein Ende hat.

Halten Sie einen Sieg der Ukraine für möglich?

Russland kommt jedenfalls schlechter voran als geplant. Dazu tragen auch deutsche Waffenlieferungen bei, die beispielsweise den Luftraum, besser schützen. Das ist ein Erfolg. Gleichzeitig muss man befürchten, dass Putin angesichts seiner Misserfolge immer weiter eskaliert. Russland geht gegenwärtig noch rücksichtsloser und brutaler auch gegen zivile Ziele vor. Deswegen ist es so wichtig, den Krieg schnellstmöglich zu beenden.

Putin droht immer wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen – für wie realistisch halten Sie das?

Das ist schwer zu beurteilen. Natürlich will uns Putin mit solchen Aussagen einschüchtern. Sollten Atomwaffen tatsächlich zum Einsatz kommen, hätte das auch für Russland unabsehbare Konsequenzen. Dann wird der Konflikt komplett aus dem Ruder laufen. Das möchte ich mir nicht vorstellen.

Sie haben China als Vermittler im Ukraine-Konflikt ins Spiel gebracht. Glauben Sie, dass es noch möglich ist, dass Peking in eine Vermittlerrolle übernimmt?

Bundeskanzler Olaf Scholz ist nach Peking gereist, um sich einen persönlichen Eindruck von der Haltung der chinesischen Führung zu verschaffen. Peking kann kein Interesse an einer militärischen Eskalation haben, denn ein möglicher Einsatz von Massenvernichtungswaffen würde auch die Volksrepublik erschüttern. Es wäre viel Wert, wenn auch China dem russischen Präsidenten die Aussichtslosigkeit und Gefährlichkeit seiner Strategie bewusst machen würde.

Europa, im speziellen Deutschland, hat sich bei der Energie zu sehr von Russland abhängig gemacht. Begehen wir bei China denselben Fehler?

Natürlich gibt es auch von China wirtschaftliche Abhängigkeiten, die uns in eine schwierige Situation bringen könnten, zum Beispiel bei der Lieferung von Rohstoffen, die wir für die Umsetzung der Energiewende benötigen. Wir versuchen aber bereits seit längerem uns unabhängiger zu machen.

Halten Sie den Einstieg Chinas am Hamburger Hafen für richtig?

Die Entscheidung, nur 24,9 Prozent einer Betreibergesellschaft eines von mehreren Terminals zu veräußern, ist verantwortungsbewusst und richtig. Ich wundere mich, dass manche Staaten die Entscheidung kritisieren, deren Häfen zum Teil vollständig an chinesische Unternehmen verkauft worden sind. Wichtig ist, dass wir unsere kritische Infrastruktur schützen. Wir dürfen uns nicht erpressbar machen.

China dehnt derzeit seinen weltweiten Einfluss aus – und Staatschef Xi seine persönliche Macht. Muss Europa diesem Machtstreben nicht energisch entgegentreten?

Nicht nur dem Machstreben, sondern auch den Menschenrechtsverletzungen treten wir entschieden entgegen. Aber pures China-Bashing macht keinen Sinn. Es muss unser Interesse sein, Peking bei der Gestaltung der zukünftigen internationalen Ordnung und der Bereitstellung internationaler, öffentlicher Güter einzubinden. Ohne den Beitrag Chinas werden wir die immer drängender gewordenen Menschheitsaufgaben wie Hunger und Elend im globalen Süden, Kriege und Migrationsbewegungen sowie den Kampf gegen den Klimawandel nicht bewältigen.

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Gegner einer Beteiligung der chinesischen Reederei Cosco am Hamburger Hafen protestieren vor dem Kanzleramt.

Dazu muss man miteinander reden. China ist groß genug, um irgendwann weitgehend ohne ausländische Märkte auszukommen. Eine Abkopplung könnte weltweit fatale politische, soziale und wirtschaftliche Auswirkungen haben.

In Niedersachsen konnte die SPD die Landtagswahl gewinnen, in NRW gelang das im Mai nicht. War der Spitzenkandidaten der NRW-SPD, Thomas Kutschaty, nicht überzeugend genug?

Nein. In Niedersachsen konnte die SPD mit dem Bonus des Amtsinhabers punkten. In NRW war die Ausgangslage anders. Dort war Hendrik Wüst Ministerpräsident. Er hat es geschafft, sich schnell einen hohen Bekanntheitsgrad zu erwerben, weil er seine Rolle als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz strapaziert hat. Thomas Kutschaty war der richtige Spitzenkandidat für unsere Partei, auch wenn die SPD am Ende nicht die Nase vorne hatte.

Sollte Kutschaty jetzt als Wüst-Herausforderer aufgebaut werden, oder rechnen Sie mit einem Staffel-Wechsel an der Spitze der NRW-SPD?

Kutschaty stellt die richtigen Fragen als Oppositionsführer und treibt die Landesregierung vor sich her. Und er ist eine starke Stimme im Präsidium der SPD in Berlin für NRW. Deswegen unterstützte ich ihn in seiner gegenwärtigen Rolle. Er kann Ministerpräsident, und ich setze darauf, dass er nach der nächsten Landtagwahl Regierungschef wird.