Armin Laschet trat an, um Kanzler zu werden – und fiel tief. Im Abstand von drei Jahren analysiert der CDU-Politiker, warum es Friedrich Merz heute leichter habe. Und Vertraute sehen für Laschet noch eine spannende Zukunft.
Rückschau ohne VerbitterungArmin Laschet blickt auf seine politische Reise
Berlin - Armin Laschet schickt noch schnell eine SMS. Er komme etwas später zum vereinbarten Treffen. Es handelt sich um drei Minuten. Es ist ein sehr warmer Tag. Schon am Morgen ist es in dem Café in Berlin viel zu heiß. Der 63-Jährige rauscht herein. Die Farbe seines Anzugs ist sommerlich beige, aber es ist eben ein Anzug. Durch das geöffnete Fenster weht immerhin ein laues Lüftchen, aber der Autolärm draußen ist zu laut. So ist ein lange geplantes – und langes – Gespräch einmal ganz in Ruhe kaum zu führen. Bleibt nur: Fenster zu, Jackett aus.
Der CDU-Politiker, der sich seit seiner glücklosen Kanzlerkandidatur für die Union bei der Bundestagswahl 2021 rar gemacht hat in den Medien, ist bereit, über das bittere Damals, seine arbeitsreiche Gegenwart und eine spannende Zukunft zu reden. Mitgebracht hat er ein Buch, das er über den Wiederaufbau von Notre-Dame veröffentlicht hat. Und gute Laune.
Im Sommer vor drei Jahren war er in ein tiefes Loch gefallen. Er lachte zur falschen Zeit am falschen Ort, nämlich nach der Flutkatastrophe im nordrhein-westfälischen Erftstadt. Das Foto dazu führte mit zu seinem Absturz bei der Bundestagswahl. Was so lustig war, will er partout nicht sagen.
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Eine „blöde“ Bemerkung sei es gewesen, hat er schon oft betont. Blöd auch, weil einige Meter weiter der Bundespräsident stand und über die schweren Verluste sprach, die die Hochwasseropfer erlitten hatten. Wer Laschet kennt, weiß, dass er Opfer nicht verhöhnt. Aber dieses Lachen im Unglück der anderen gab der Union einen Knacks. Danach stiegen jedenfalls die Umfragewerte für Olaf Scholz, den bis dahin kaum jemand auf dem Zettel hatte. Der Machtkampf zwischen Laschet und CSU-Chef Markus Söder, der sich für den besseren Kanzlerkandidat hielt, half dem Konkurrenten von der SPD ebenfalls. Der Ausgang ist bekannt.
Laschet stellt sich vor, wie es heute sein würde, wäre er doch Bundeskanzler geworden. Er hätte sich verändern müssen. Sich Gefühle nicht mehr so anmerken lassen können, keine Witze mehr reißen und eben nicht mehr so lachen. Also genau das, was ihn als Mensch ausmacht. „Freude, Ärger, mal ein flapsiger Spruch, spontanes Lachen – was als Ministerpräsident auch mal sympathisch ist, kannst du als Kanzlerkandidat nicht machen“, sagt er. Dass Landes- und Bundespolitik etwas Grundverschiedenes sind, haben Politiker auch anderer Parteien schmerzhaft erlebt. Was in ihrem Bundesland toleriert oder gar nicht bemerkt wurde oder sogar als menschlich galt, kam auf Bundesebene unter das Brennglas. Die Hauptstadt, der nationale Blick – einfach ein Haifischbecken, heißt es oft.
Seelische Folgen
Er habe sich nicht verbiegen wollen, „kein Sprechautomat“ werden, sagt Laschet. Aber sein Lachen im Juli 2021 sei ein Fehler gewesen, der nicht hätte passieren dürfen. Seine Lehre: „Auf Spitzenpolitiker sind in jeder Zehntelsekunde die besten Teleobjektive der Welt gerichtet. Du hast keine zweite Chance.“ Der frühere Ministerpräsident wirkt nachdenklich. „Ich sehe heute mehr denn je: Jeder Satz, den du sagst, ist immer auch ein Satz des Bundeskanzlers.“ Das schnöde „Nö“ von Olaf Scholz am Abend der Europawahl ist für diese These ein schönes Beispiel. Der Kanzler wollte die Niederlage seiner SPD nicht kommentieren. Nö, nur ein Wort. Und trotzdem eine – negative – Schlagzeile.
Welche – seelischen – Folgen das Foto für ihn hatte, lässt sich an dieser Anekdote ablesen: Nach Erftstadt habe er mit Kanzlerin Angela Merkel Flutopfer in Bad Münstereifel besucht, erzählt er. Ein CDU-Anhänger, der alles verloren habe, sei auf die Kanzlerin zugegangen und habe gesagt: „Gut, dass ich Sie mal sehe. Ich habe Sie immer gewählt, aber Sie sind alles, was eigentlich nicht in meine Welt passt: evangelisch, geschieden, ostdeutsch.“ Merkel habe herzlich gelacht. „Es war urkomisch und einer dieser Momente, in denen Humor sehr helfen kann. Aber ich habe mich dabei erwischt, dass ich aus Sorge keine Miene verzogen habe. Und dann merkst du, dass du dich von dir entfernst.“
Der Rheinländer ist ein recht versöhnlicher Mensch. Es hätte eigentlich an ihm nagen müssen, dass Frank-Walter Steinmeier in Erftstadt schadlos blieb, obwohl Kameras auch ihn im Hintergrund beim Scherzen einfingen, während Laschet seine Ansprache hielt. Ein gutes, ein solidarisches Wort des Bundespräsidenten über den CDU-Mann und er wäre wohl rehabilitiert gewesen. Aber Steinmeier sagte nichts. Trotzdem unterstützte Laschet in seinen letzten Tagen als CDU-Chef eine zweite Amtszeit von Steinmeier, weil er in ihm eine glaubwürdige Stimme an der Spitze Deutschlands sah.
Wie er und Söder heute miteinander auskommen? Laschet schmunzelt ein wenig, hält sich aber bedeckt. Als es etwas später im Gespräch um die Schwierigkeiten in der Außenpolitik geht, betont er: „Gerade Außenpolitik bedeutet, sich auch mit den unsympathischsten Menschen zusammenzusetzen und Lösungen zu finden. Hilft ja nichts.“ Vielleicht ist das ja auch sein Blick auf Söder, vielleicht hilft es auch, dass sie beide gerade gar nicht so viel miteinander zu tun haben.
Laschet hat Steherqualitäten. 2010 kämpfte er als NRW-Integrationsminister mit dem Bundespolitiker Norbert Röttgen um den Vorsitz der Landes-CDU – und verlor. 2012 wurde er es dann doch, weil Röttgen bei der Landtagswahl scheiterte und zurücktrat. 2017 stieg er zum Ministerpräsidenten auf. 2021 rangen dann ausgerechnet wieder Röttgen und er sowie Merz um den Bundesparteivorsitz. Laschet gewann mit einer Bewerbungsrede, die die Parteiseele berührte – mit der Erkennungsmarke in der Hand, die sein Vater als Bergmann trug und ihm als Glücksbringer mitgegeben hatte. Aber es gab Vorbehalte auch in der Union gegen den Mann aus Aachen-Burtscheid.
Zu den schmerzlicheren Kommentaren gehörte die Bezeichnung „Karnevalsprinz“. Der „Spiegel“ nannte ihn „Häuptling Wirdsonix“. Und es wurde nichts. Die Union schnitt bei der Wahl mit 24,1 Prozent so schlecht ab wie nie. Es entspricht Laschets Haltung: Es kann immer nur einer gewinnen, hilft ja nichts. Also sorgte er für einen geordneten Übergang an der Parteispitze und in NRW. Der fünf Jahre ältere Friedrich Merz wurde CDU-Vorsitzender, der 14 Jahre jüngere Hendrik Wüst Ministerpräsident.
Damals und heute
Mit dem Abstand von drei Jahren analysiert Laschet, warum es Merz heute leichter habe: „Bei mir wurde immer hinterfragt, ob Merkels Fußstapfen zu groß seien.“ Die Oppositionszeit nach Merkel vereinfache die Dinge für Merz. Der werde nicht mehr an Merkel, sondern an Scholz gemessen – „einem derzeit nicht besonders überzeugenden Kanzler“, findet Laschet. Wäre Merz schon 2021 Parteichef geworden, hätte es mit ziemlicher Sicherheit einen erbitterten Kampf mit Merkel gegeben. Immerhin hatte Merz damals gefordert, dass Merkel ihn in ihr Kabinett holt und dafür ihren Wirtschaftsminister Peter Altmaier rauswirft. Im Wissen, dass sie das nie tun würde. Sie beide waren in Feindschaft vereint, seit sie ihn 2002 als Bundestagsfraktionschef abserviert hatte.
Laschet sagt, sein Eindruck sei, dass Merz zwar neue, eigene Akzente setze, aber dennoch die Breite der Volkspartei erhalten wolle. Und er mahnt: „Er hat aber nur eine Chance, wenn er auch viele der früheren Merkel-Wähler hinter sich versammeln kann.“ Und noch etwas: „Sollte die Union wieder ins Kanzleramt einziehen, muss sie erfahrene und exzellente Politikerinnen und Politiker ins Kabinett schicken, die zugleich Erneuerung verkörpern. Also zehn Pistoriusse. Die hat die Union auch zu bieten.“ Da ist es wieder, dieses Unverstellte, Unbekümmerte. Laschet macht ausgerechnet einen SPD-Politiker – Verteidigungsminister Boris Pistorius – zum Maßstab für eine gute Regierung der Union.
Es gibt noch etwas ganz Grundsätzliches, das Laschet umtreibt: Er nennt es die „Schwarz-Weiß-Republik“. „Es gibt in vielen Debatten keine Grautöne mehr. Man ist mit hoher Moralität dagegen oder dafür, Abstufungen finden nicht mehr statt. Wir müssen wieder den Respekt vor anderen Meinungen finden. Den haben wir in der Corona-Pandemie verloren.“ Wer auch nur leise Zweifel an Lockdown, Schulschließungen oder am Impfen geäußert habe, sei schnell als Corona-Leugner diffamiert worden. „Ohne Rücksicht darauf, dass diese Zeiten für viele überfordernd waren, dass die Menschen Angst hatten.“
Der heutige Außenpolitiker Laschet hat aber noch weitere Beispiele: Wer heute Bedenken äußere, dass die – von ihm befürwortete – Lieferung von immer mehr Waffen an die Ukraine zur Verteidigung gegen Russland womöglich zu einer weiteren Eskalation beitrage, bekomme einen „Putin-Troll-Stempel“. Oder: „Wer an der Gesetzgebung zur Wärmepumpe zweifelt, ist kein Klimaleugner. Wir müssen dringend wieder dahin zurückkommen, einander zuzuhören.“ Grenzen zieht aber auch Laschet. In einer Bundestagsrede beschimpft er die AfD für ihre Ausländerfeindlichkeit und bekam von allen anderen Fraktionen Applaus. Von allen.
In der neuen Bundestagsfraktion wollte Laschet keinen herausgehobenen Sprecherposten einnehmen, „nicht jeden Tag die Regierung kritisieren müssen“. Er wollte lieber bei Themen bleiben, um die er sich schon immer gekümmert hat: Israel, Nahost, Integration. Er hat ein Institut gegründet (das Abraham-Accords-Institute) zur Versöhnung zwischen Israelis und Arabern.
Was kommt nun? Wird er wie in den 2010er-Jahren noch einmal unter Beweis stellen , dass eine Niederlage ihm den Weg in höhere Ämter nicht verbaut? Joachim Stamp von der FDP, Laschets früherer NRW-Familienminister und heutiger Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen, sieht ihn gar als Nachfolger von Steinmeier. „Für mehr Menschlichkeit, Humor und klare Haltung für die Werte unserer Verfassung“, so Stamp. Der nächste Bundespräsident müsste aber wohl endlich eine Frau werden. Vielleicht schlägt jemand Laschet ja als Bundestagspräsident vor.
Eine letzte Frage noch. Wie geht es ihm heute? Laschet antwortet: „Mit geht es gut.“ Ernsthaft. Ohne zu lachen.
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