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Rund 250 Millionen InfizierteChina erstickt im Covid-Chaos

Lesezeit 3 Minuten
Menschenmasse in China – alle tragen Mundschutz.

In China wurden die besonders strengen Corona-Regeln gelockert. Jetzt stecken sich viele Menschen mit dem Virus an.

Was sich in Pekings Krankenhäusern abspielt, erinnert beängstigend an den ersten Corona-Ausbruch in Wuhan vor genau drei Jahren: Es fehlt an Betten, Sauerstoff, Medikamente.

Inmitten des Chaos hat die Regierung nun angekündigt, dass am 8. Januar auch die Quarantänepflicht für Einreisende aufgehoben wird – und dass Chinesen ihrerseits bald danach wieder ins Ausland werden reisen dürfen.

Regierung will schnellstmögliche Durchseuchung erreichen

Anfang Dezember hat die Volksrepublik die vielleicht radikalste pandemische Kehrtwende hingelegt: Die drakonische „Null Covid“-Strategie der letzten zweieinhalb Jahre wurde quasi über Nacht durch eine Politik der schnellstmöglichen Durchseuchung ersetzt.

Tatsächlich lernt die Gesellschaft dieser Tage mit dem Virus zu leben: In Peking ist in den Restaurants und Shoppingmalls eine nahezu postpandemische Normalität eingekehrt. Das jedoch ist nur eine Seite der Medaille.

Die wahren Ausmaße des gesundheitspolitischen Ausnahmezustands sind schwer in Statistiken zu erfassen, da sich die Regierung für einen empirischen Blindflug entschieden hat: Die Gesundheitskommission publizierte zunächst absurd schöngefärbte Corona-Zahlen, ehe sie die täglichen Updates ganz einstellte.

Rund ein Fünftel der Bevölkerung infiziert

Intern jedoch kursieren düstere Prognosen: Laut einem Leak der Gesundheitskommission geht man allein für die ersten 20 Dezembertage von 250 Millionen Infizierten aus, was nahezu einem Fünftel der Gesamtbevölkerung entspricht. Einzelne Lokalregierungen haben zudem den mutigen Schritt in die Öffentlichkeit gewagt: Allein in der Ostküstenstadt Qingdao kommt es derzeit zu 500 000 täglichen Neuinfektionen, Tendenz steigend.

In der Provinz Zhejiang nahe Shanghai sind es über eine Million neuer Fälle täglich. „In China stehen wir vor einer humanitären Krise mit Hunderttausenden Toten in den nächsten Monaten“, kommentiert Mediziner David Owens von der Universität Hongkong. Wie viele Chinesen genau an dem Virus sterben, hat das Londoner Analyseunternehmen Airfinity in einer Prognose mit 5000 Personen pro Tag zu beziffern versucht.

Längst hat das Virus auch die abgelegenen Provinzen erreicht, in denen das Gesundheitssystem nur rudimentär entwickelt ist. Doch wie Zeugen mit Wunsch auf Anonymität berichten, scheint niemand mehr die Corona-Gefahr ernst zu nehmen: Angestellte werden trotz Fieber ins Büro beordert, Infizierte nehmen am öffentlichen Leben teil.

Schuld daran ist auch die Propaganda, die nach der radikalen Öffnung des Landes systematisch das Virus bagatellisiert. In Peking sind die Konsequenzen längst zu sehen. Dutzende Korrespondenten haben sich in den letzten Tagen in die Notaufnahmen der Spitäler geschlichen.

Horror-Szenerien in Chinas Notaufnahmen

Was sie dort zu sehen bekamen, waren überfüllte Krankenhausflure, auf denen ältere Patienten mit Sauerstoffflaschen um ihr Leben ringen, überforderte Ärzte und Ärztinnen, die hektisch durch die Gänge rennen – und oft selbst unter Corona-Infektionen leiden. Krematorien können die vielen Leichen nicht mehr schnell genug einäschern.

Am Donnerstag schlug auch Wang Xiang wei Alarm. Der Journalist, der nahezu 26 Jahre für die Hongkonger „South China Morning Post“ gearbeitet hat, berichtet in seinem persönlichen Newsletter von einer „menschengemachten Krise“: „Da China fast drei Jahre Zeit hatte, um von anderen Ländern zu lernen und sich auf die Öffnung vorzubereiten: Wie kommt es, dass sie es so sehr vermasseln?“

Wang liefert die Antwort gleich mit: Peking habe „von Beginn an sämtliche Prioritäten falsch gesetzt“. Milliarden Euro gab die Regierung für Quarantänelager und Massentests aus, die dann beim Ausbau von Notfallbetten und Fieberkliniken fehlten. Zudem waren zu Beginn des Impfprogramms die Vakzine nur für 18- bis 59-Jährige zugelassen.

Flugverkehr nach Europa könnte sich drastisch erhöhen

Und der jetzige Notstand an Fiebermedizin hat auch damit zu tun, dass die Regierung deren Verkauf bis vor wenigen Wochen noch extrem erschwert hat – aus Angst, manche könnten ihre Corona-Infektion verheimlichen. Was das alles für die Welt bedeutet ist ebenfalls kaum absehbar.

Die Lockerung von Reisebeschränkungen könnte bald zu mehr Flugverkehr nach Europa führen. Der Lufthansa-Konzern prüft nach Angaben einer Sprecherin vom Dienstag, wie der Flugplan angepasst werden könnte. Vor Weihnachten waren Forderungen laut geworden, Flüge aus China vorübergehend ganz zu stoppen. Das hatte das Bundesverkehrsministerium wegen der geringen Zahl der Flüge zurückgewiesen.