Der Krieg ist in Russland allgegenwärtig – auch am Weltfrauentag war das der Fall. Eine Szene mit Putin sorgt in der Ukraine für Entsetzen.
Bizarrer Kriegskult in RusslandFleischwölfe für Mütter getöteter Soldaten und Putins Lächeln für Kriegsverbrechen

Dieses Foto verbreitete der Kreml am 8. März anlässlich Wladimir Putins Statement zum Weltfrauentag. Der Krieg spielte auch dabei eine übergeordnete Rolle.
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Den Krieg darf man in Russland bis heute nicht Krieg nennen – und dennoch ist die „Spezielle Militäroperation“, wie der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Ukraine in Moskau genannt wird, in der russischen Gesellschaft mittlerweile allgegenwärtig. Während der Kreml versucht, mit Beuteschauen und radikalen Feindbildern die Unterstützung für den Krieg aufrechtzuerhalten, begegnet man den nach drei Jahren brutaler Gefechte sichtbaren Schattenseiten in Russland mit heroischer Verklärung.
Putin nennt Soldaten „Helden“ – Patriarch verspricht Vergebung
Die Soldaten, die im Kampf gegen die Ukraine ihr Leben gelassen haben, seien „Helden“ betonte Kremlchef Wladimir Putin bereits mehrfach. Auch die russisch-orthodoxe Kirche beteiligt sich an dem bizarren bis zynischen russischen Umgang mit den enormen russischen Verlusten.

Kremlchef Wladimir Putin bei einem Treffen mit Angehörigen von im Krieg gefallenen Soldaten. (Archivbild)
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Patriarch Kyrill versprach allen Gefallenen allumfassende Vergebung. „Wir glauben, dass dieses Opfer alle Sünden abwäscht, die ein Mensch begangen hat“, erklärte das Kirchenoberhaupt, ein treuer Gefährte Putins.
Fast 100.000 russische Soldaten nachweislich gefallen
Rund 885.000 Soldaten soll die russische Armee seit Kriegsbeginn nach aktuellen ukrainischen Angaben verloren haben. Auch westliche Geheimdienste nennen ähnliche Zahlen. Bei mindestens 95.000 russischen Soldaten konnte ein Rechercheteam von Mediazona und BBC den Tod zweifelsfrei nachweisen, die Dunkelziffer dürfte höher liegen.
Zu den vielen Todesopfern gehört auch der Sohn von Olga Dorokhina, einer Russin, die anlässlich des Weltfrauentages dem Kremlchef im russischen TV ihre Geschichte schildern durfte – und damit in der Ukraine für Entsetzen gesorgt hat.
Soldatenmutter schildert Putin ihre Kindesentführung
Im Gespräch mit Putin erzählte Dorokhina freimütig, dass sie nach dem Tod ihres Sohnes eine „humanitäre Reise“ in eines der von Russland besetzten ukrainischen Gebiete gemacht und dort eine „Tochter gefunden“ habe. Das Mädchen sei nun bei ihrer Familie, führte Dorokhina lächelnd aus. Auch der Papierkram sei bald erledigt.
„Für uns ist sie der Sonnenschein“, fügte die Russin an, die keinen Hehl daraus machte, dass sie nach dem Verlust ihres Sohnes ein ukrainisches Kind entführt hat. Putin hörte ihr aufmerksam zu. „Wie alt ist sie?“, fragte der Kremlchef schließlich lächelnd. „Sie ist vier Jahre alt – ein bisschen Glück ist zurück in unserer Familie“, lautete die Antwort. Von Putin gab es dafür wohlwollendes Nicken.
Wut in der Ukraine: „Dieses Kind hatte eine Familie“
„Dieses vierjährige Kind hatte eine Familie und der wurde sie absichtlich weggenommen“, fand Jaanika Merilo, Leiterin der Nicht-Regierungsorganisation „Heroiam Slava“, deutliche Worte für die Szene, die harmlos wirkt, aber ein Kriegsverbrechen belegt. Mindestens 20.000 ukrainische Kinder soll Russland seit Kriegsbeginn aus der Ukraine verschleppt haben, der Internationale Strafgerichtshof hat deshalb Haftbefehl gegen Putin erlassen.
Sowohl die „Adoptivmutter“ als auch der Kremlchef seien „Kriminelle“, schrieb Merilo auf der Plattform X. Ihre NGO unterstützt die ukrainische Armee und versucht, die entführten ukrainischen Kinder zurückzuholen. Bisher sei das in 16 Fällen gelungen, heißt es auf der Webseite der Organisation.
Kindesentführung: „Beweis für systematischen Genozid“
Die Entführungen seien ein weiterer Beweis für einen „systematischen Genozid Russlands an der Ukraine“, schrieb Merilo weiter – und machte indirekt auch US-Präsident Donald Trump mitverantwortlich, der Kiew kürzlich wichtige Militärhilfe versagt hatte. „Wer vorsätzlich wichtige Unterstützung verweigert, ermöglicht diesen Genozid“, schrieb sie bei X.
„Sie gibt die Entführung bei einem Treffen mit Putin offen zu“, kommentierte auch Gyunduz Mamedov, ehemaliger stellevertretender ukrainischer Generalstaatsanwalt, die Szenen aus Russland. Es handele sich dabei nicht um einen Einzelfall, betonte Mamedov bei X, sondern um „staatliche Politik, die Merkmale von Genozid“ aufweise.
Entführte Kinder: „Fremde im eigenen Heimatland“
Russland versuche bewusst, die Identität der entführten Kinder „auszulöschen“ und sie zu „Fremden in ihrem eigenen Heimatland“ zu machen, führte Mamedov aus. Genau dafür werde Putin international per Haftbefehl gesucht, erklärte der ukrainische Jurist. „Die Aufnahmen dienen als weiterer Beweis.“
Während Putins gut gelaunte Unterhaltung über die Entführung eines kleinen Mädchens nicht nur in der Ukraine für Empörung sorgte, nahmen die vielerorts vom Kriegskult des Kremls beeinflussten Feierlichkeiten zum Weltfrauentag in Russland noch bizarrere Züge an.
Putin-Partei verschenkt Fleischwölfe an Mütter von Soldaten
So überreichte der Bürgermeister einer Kleinstadt in der Region Murmansk als Zeichen der Anerkennung nun Fleischwölfe an die Mütter von gefallenen Soldaten. Auf mehreren Bildern, die auf einem Social-Media-Konto des lokalen Ablegers von Putins Partei „Einiges Russland“ veröffentlicht wurden, posierte Bürgermeister Maksim Chengayev mit den Frauen, die dabei das Küchengerät präsentierten.
Die Geschenke seien Teil der Kampagne „Blumen für die Mütter unserer Helden“ gewesen, hieß es in dem Beitrag der Putin-Partei. Warum ausgerechnet der rund 100 Euro teure Fleischwolf vom Typ Luxper MG-2000S als Präsent ausgewählt wurde, blieb unklar.
Warum Fleischwölfe ein zynisches Geschenk sind
Die Aktion sorgte schnell für Aufsehen – nicht nur in der russischen Presse. Der Grund dafür ist derselbe, der für den Tod der Söhne der nun beschenkten Mütter verantwortlichen gewesen sein könnte. Als „Fleischwolf“ wird auch eine grausame russische Angriffstaktik bezeichnet, bei der massenweise Infanterie eingesetzt wird, um befestigte Stellungen des Gegners zu zermürben und schließlich zu überrennen.
Die unerbittliche Methode war zuerst von der Söldnergruppe „Wagner“ in der Schlacht um Bachmut eingesetzt worden. Wochenlang schickte der später bei einem Flugzeugabsturz getötete Söldnerchef Jewgeni Prigoschin tausende Soldaten in den Tod, konnte Bachmut schließlich jedoch erobern. Seitdem kommt der „Fleischwolf“ auch in Russlands Armee zum Einsatz.
Putin: „Sie inspirieren Männer, nach Größe zu streben“
Der Krieg spielte schließlich auch in Putins offizieller Mitteilung zum Weltfrauentag eine übergeordnete Rolle. „Sie inspirieren Männer, nach Größe zu streben, ermutigen sie, sich zu verbessern, mutige Schritte zu unternehmen und die wahren Verteidiger ihrer Familien und Häuser und unseres Vaterlandes zu sein“, wandte sich der Kremlchef an Russlands Frauen. „Alles Gute zum Weltfrauentag“, fügte er an.