Düsseldorf – Für Dominik P. ist es ein ganz normaler Einsatz. In der Düsseldorfer Altstadt nimmt er einen Randalierer fest. Als der Jugendliche sich massiv zur Wehr setzt, wird er zu Boden gerungen. Dominik P. fixiert den Kopf mit dem Knie. Der Beamte denkt zunächst, der Einsatz sei „super gelaufen“. „Doch dann habe ich die Welt nicht mehr kapiert“, berichtet der Polizist.
Die Festnahme des Intensivtäters war im August 2020 von etwa 100 Schaulustigen verfolgt worden. Viele filmten den Einsatz mit ihrem Handy. Die Bilder von der vermeintlichen Polizeigewalt verbreiteten sich rasend in den sozialen Netzwerken.
Vergleiche mit dem Fall Floyd
Der Vorgang in der Altstadt wurde mit dem Fall des Afroamerikaners George Floyd verglichen, der wenige Wochen zuvor in den USA getötet worden war, weil sich ein Polizist auf seinen Hals gekniet und ihm die Luft abgedrückt hatte. Durch den Vorwurf, im Einsatz lebensgefährliche Gewalt ausgeübt zu haben, gerät P. in der Dienststelle und in seinem privaten Umfeld unter Druck, sich erklären zu müssen. Plötzlich steht er öffentlich am Pranger. „Ich hätte mir gewünscht, dass mir nach außen hin jemand den Rücken stärkt“, sagt P. heute. „Man fühlt sich total alleingelassen“, beklagt er in einem Interview mit der aktuellen Ausgabe der „Streife“, dem Magazin der NRW-Polizei.
Das soll sich jetzt ändern. Die NRW-Polizei hat eine Landesarbeitsgruppe mit dem Namen „Betroffenheit“ gegründet. Sie soll Beamten helfen, die durch Videobilder in den Brennpunkt geraten sind. Dominik P. engagiert sich in der Initiative. Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen ihn und vier Kollegen wegen Köperverletzung im Februar 2021 ein.
Angreifer mit Tritt zu Fall gebracht
Auch Janik F. trifft die Shitstorm-Keule nach einem Einsatz mit voller Wucht. Der Beamte wird in Plettenberg im Märkischen Kreis gefilmt, wie er gegen einen Angreifer Pfefferspray einsetzt und ihn mit einem Tritt gegen den Oberschenkel zu Fall bringt. „Hund“, „Feiger Bulle“, „Hurensohn“, steht in den Kommentaren bei Facebook, dazu sein voller Name, Adresse und Links zu seinen Social-Media-Profilen. Nachdem Unbekannte ein Kopfgeld auf den Polizisten aussetzen, wird für seine Wohnanschrift Objektschutz angeordnet. Eine Untersuchung ergibt schließlich, dass auch F. nach Recht und Gesetz gehandelt hatte.
Lea W. geriet in Krefeld durch Videoaufnahmen einer Festnahme in die Kritik, weil sie bei einem Polizeieinsatz Gewalt anwenden musste. Der Einsatz wurde gefilmt und in den sozialen Medien gebrandmarkt. Am Folgetag „ging der Spießrutenlauf los“, berichtet die Beamtin der „Streife“. Beim Einkauf wurde die Polizistin von Passanten erkannt und musste üble Beschimpfungen über sich ergehen lassen. Nach eineinhalb Jahren wurde das Strafverfahren gegen W. eingestellt.
Handybilder gehören zum Alltag
Der Polizeidirektor Andreas Horz leitet die Landesarbeitsgruppe „Betroffenheit“ bei der NRW-Polizei, die im April 2022 gegründet wurde. „Es ist heute mittlerweile völlig üblich, dass polizeiliches Handeln gefilmt wird, vor allem, wenn größere Gruppen das Geschehen beobachten oder beteiligt sind“, sagte der 45-Jährige dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. In NRW gibt es 47 Kreispolizeibehörden. „Vermutlich gibt es in den meisten Behörden betroffene Kolleginnen und Kollegen“, berichtet Horz. Vor allem in den Großstädten sei es ein „alltägliches Phänomen“, das Einsätze gefilmt würden. „Da in den sozialen Netzwerken oft nur kurze Sequenzen zu sehen sind, vermitteln die Bilder oft einen völlig falschen Eindruck von den polizeilichen Maßnahmen.“
Nicht jeder Einsatz verläuft nach Vorschrift
Es gehöre zu den polizeilichen Aufgaben, im Notfall auch körperlichen Zwang anzuwenden, erklärt Horz. „Jedem ist klar, dass ein solcher Einsatz oft auch unschöne Bilder produzieren kann. Es gehört zur Wahrheit, dass auch die Polizei mitunter Fehler macht. Aber – mit ganz weniger Ausnahmen - verhalten sich die Kolleginnen und Kollegen völlig korrekt“, berichtet der Polizeidirektor.
Vor allem nach dem Tod von George Floyd gab es oft einen Aufschrei bei polizeilichen Fixierungen. Dabei ist die Kritik oft unberechtigt. Denn es gibt einen wichtigen Unterschied: In NRW lernen die Polizisten, Angreifer mit dem Knie auf der Schläfe zu fixieren - das ist zwar unangenehm, aber laut Polizei ungefährlich.
Oft sei es unerklärlich, wie Klarnamen oder Adressen von Polizisten ins Internet kommen würden, hieß es. „Ich kann alle Einsatzkräfte nur eindringlich davor warnen, durch eigenes Zutun nachverfolgbare Spuren in sozialen Netzwerken zu hinterlassen. Wer sich als Polizist im Internet outet muss damit rechnen, zur Zielscheibe zu werden. Da kann man schneller unter die Räder kommen, als man denkt “, sagte Horz unserer Zeitung.
Wie kann Polizisten geholfen werden?
Wie kann den Polizisten, die an den Pranger gestellt werden, konkret geholfen werden? „Wir raten allen, sich den Shitstorm nicht anzusehen und sich ruhig zu verhalten. Das ist schwer, weil viele den natürlichen Reflex verspüren, sich zu rechtfertigen oder ein schiefes Bild gerade zu rücken“, erklärt der LAG-Leiter. Alle Hasskommentare würden zur Anzeige gebracht. „Falls nötig, werden die Opfer auch durch das differenzierte Netzwerk der psycho-sozialen Unterstützung in der NRW-Polizei betreut“, so Horz, der 1997 bei der Polizei in Gelsenkirchen im Streifendienst anfing und danach unter anderem neun Jahre bei Spezialeinheiten eingesetzt war.
Die Landesarbeitsgruppe soll jetzt ein Bewusstsein für das Phänomen bei den Beamten schaffen. Vor allem Jugendliche fänden es „offenbar angesagt, Polizeieinsätze zu dokumentieren“, berichtet Horz. „Dass gefilmt wird, wenn die Polizei einer Entenfamilie über die Straße hilft, ist eher die Ausnahme.“
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, Polizisten würden nicht nur auf der Straße „angepöbelt, bespuckt, geschlagen“. Auch im Netz seien sie häufiges Ziel von Hass und Hetze – besonders nach schwierigen Einsätzen: „Dass es für private Wohnanschriften betroffener Beamter manchmal sogar Objektschutz braucht, sollte uns als Gesellschaft zu denken geben. Denn es geht stets um Menschen hinter der Uniform. Auch sie müssen die Folgen schwieriger Einsätze bewältigen und verdienen unseren Schutz“, so Reul.