Im Ausland fand Sanna Marin viele Fans, in der finnischen Heimat reichte es nicht zum Wahlsieg. Die Ministerpräsidentin muss abtreten.
Sozialdemokraten verlieren in FinnlandSanna Marin muss gehen – „Coolste Ministerpräsidentin der Welt“
Ob im goldglitzernden Oberteil bei einer Musikgala, beim Winterspaziergang im Schnee oder im übergroßen Trikot mitfiebernd beim Eishockeyspiel: Sanna Marin weiß, wie sie sich beim sozialen Medium Instagram wirkungsvoll in Szene setzt. „Sie will sich nicht nur als Politikerin zeigen, sondern als ganz normaler Mensch“, sagt die finnische Politikwissenschaftlerin Iro Särkkä.
Deshalb postet die Sozialdemokratin in ihrem Account bewusst nicht nur offizielle Aufnahmen im seriösen Outfit mit anderen Regierungschefs und ‑chefinnen. „Ich glaube aber nicht, dass sie versucht, ihren Stil dafür zu verändern“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Pekka Isotalus von der Universität Tampere. „Sie benimmt sich so, wie es für eine Frau in ihrem Alter natürlich ist.“
Mit lässigen Selfies spricht die 36-Jährige ihre Zielgruppe an – ohne dabei zu viel über sich, ihren Mann, den Ex-Fußballspieler Markus Räikkönen, und ihre 2018 geborene Tochter preiszugeben. Während sie bei Älteren bisweilen aneckt und als unseriös gilt, können sich gerade gleichaltrige Finninnen und Finnen mit der noch amtierenden Regierungschefin identifizieren.
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Für manche verkörpert sie eine neue Generation von Politikerinnen. „Die coolste Ministerpräsidentin der Welt“, kommentiert eine Userin das Foto von Sanna Marin auf dem Festival Ruisrock im finnischen Turku, vom Veranstalter auf Instagram geteilt. „Legende“, schreiben andere Nutzer. „Ältere Generationen, vor allem Männer mit konservativeren Werten, könnten sich dagegen von ihr ausgeschlossen fühlen“, gibt Särkkä zu bedenken.
Sanna Marin und die Sozialdemokraten verlieren die Parlamentswahlen
Bei den Parlamentswahlen am Sonntag in Finnland musste Marin jedoch ihre Niederlage eingestehen. Trotz eines verbesserten Wahlergebnisses haben die Sozialdemokraten nur den dritten Platz erreicht – nach der nun stärksten Fraktion der Nationalen Sammlungspartei und den Rechtspopulisten von Die Finnen. Ob die Vorbehalte der konservativen Bevölkerungsschichten oder Vorwürfe ihrer Gegner, die Staatsausgaben in die Höhe getrieben zu haben, zur Wahlniederlage führten, ist noch offen. Der anstehende Nato-Beitritt des Landes gilt zumindest als Konsens und spielte im Wahlkampf kaum eine Rolle. Jetzt steht Finnland vor schwierigen Koalitionsverhandlungen.
Bei der Parlamentswahl hat nur die führende Rechtspopulistin Riikka Purra mehr individuelle Stimmen erhalten als Sanna Marin. Auf Purra, die 45 Jahre alte Vorsitzende der Partei Die Finnen, entfielen rund 42.600 Stimmen in Uusimaa, dem finnischen Wahlkreis mit den meisten wahlberechtigten Einwohnern. Die 37-jährige Marin kam im Wahlkreis Pirkanmaa auf rund 35.600 Stimmen. Wer bei Wahlen besonders viele Stimmen gewinnt, wird in Finnland gerne als „Stimmenmagnet“ bezeichnet.
Als Marin 2019 nach dem Rücktritt des damaligen Regierungschefs Antti Rinne zur Ministerpräsidentin ernannt wird, ist sie zwar politisch keine völlig Unbekannte mehr, viel Erfahrung auf der großen Politikbühne hat sie aber auch nicht vorzuweisen. Gerade einmal ein halbes Jahr ist sie da Kommunikations- und Verkehrsministerin im Kabinett ihres Vorgängers Rinne gewesen. Fast über Nacht wird sie zur damals jüngsten Regierungschefin der Welt.
Von Krisen getrieben
Die viele positive internationale Aufmerksamkeit, die ihre Ministerpräsidentin daraufhin bekommen hat und heute noch bekommt, macht viele Finnen stolz. Andere vermissen die inhaltliche Vision hinter dem Image der jungen, frischen Regierungschefin. „Ich glaube, die Menschen sind insgesamt zufrieden mit ihr“, sagt Särkkä vor der Wahl. „Aber was ihre politische Agenda ist? Wofür sie steht? Was sie erreichen will? Keine Ahnung.“
Zu der Tatsache, dass sie das ihren Landsleuten nicht richtig zeigen konnte, was ihre Ausrichtung ist, dürften die Krisen beigetragen haben, die Marin in ihrer Regierungszeit zu bewältigen hatte. Während der Corona-Pandemie setzte die noch amtierende Ministerpräsidentin vor allem auf Empfehlungen, an die sie sich selbst nicht immer hielt. Ins Kreuzfeuer geriet die Regierungschefin, als sie ausgelassen in einem Club feierte, kurz nachdem ihr Außenminister Pekka Haavisto positiv auf das Virus getestet worden war.
„Insgesamt hat sie aber von der Krise profitiert“, meint Politikwissenschaftlerin Särkkä. „Sie hat sich von nichts aus der Ruhe bringen lassen, ist cool geblieben und hat Durchhaltevermögen bewiesen. Das hat ihr geholfen, die Öffentlichkeit für sich zu gewinnen.“ Shitstorms in den sozialen Medien ziehen meist wirkungslos an ihr vorüber. „Sie ist selbstbewusst und vergreift sich auch in schwierigen Situationen nicht im Ton oder verliert die Beherrschung.“
„In diesen Zeiten braucht Finnland wahrscheinlich genau so eine Ministerpräsidentin“
In ihrer Partei gilt Marin als Vertreterin des linken Flügels, als vehemente Verteidigerin des finnischen Wohlfahrtsstaats und der Menschenrechte. Ein Bild bei Instagram von Anfang Juli zeigt die Regierungschefin im Sommerkleid bei Helsinki Pride. Marin ist selbst in einer Regenbogenfamilie aufgewachsen, nachdem ihre Mutter nach der Trennung vom Vater mit einer Frau zusammengekommen war. „Sie spricht nicht viel darüber, wie sie das beeinflusst hat, aber sie wirkt offensichtlich sehr liberal in ihren Haltungen“, sagt Särkkä.
In einer Hinsicht hat die Politikerin ihre Position in den vergangenen Monaten radikal geändert. „Hätte es den Krieg in der Ukraine nicht gegeben, wäre Sanna Marin ziemlich sicher immer noch gegen den finnischen Nato-Beitritt“, sagt Forscherin Särkkä. So aber machte sie sich Mitte Mai für einen Mitgliedsantrag in dem Bündnis stark, von dem sie jetzt überzeugt ist, dass er ihr Land sicherer macht.
Ihrer Beliebtheit tat die Kehrtwende keinen Abbruch, denn die Mehrheit ihrer Landsleute ist derselben Ansicht. „Manche haben kritisiert, dass sie nicht so eine ideologische, sondern eher eine pragmatische Politikerin ist, aber in diesen Zeiten braucht Finnland wahrscheinlich genau so eine Ministerpräsidentin“, sagt Forscher Isotalus. Doch die scheinbare Beliebtheit reicht für Marin dann am Ende nicht, um die Wahl zu gewinnen.
Tatsächlich legten die Sozialdemokraten von 17,7 Prozent bei der Wahl vor vier Jahren auf nun 19,9 Prozent zu – die beiden anderen großen Parteien schnitten aber noch besser ab und kamen auf 20,8 beziehungsweise 20,1 Prozent der Stimmen. Marin muss damit ihren Posten als Ministerpräsidentin räumen. Wer die neue Regierung stellen möchte, muss mindestens eine Drei-Parteien-Koalition schmieden. Und das gilt als besonders schwierig.
Auf welche Partei Wahlsieger Petteri Orpo zuerst zugehen wird, ist offen. Der 53-Jährige hat keine Koalitionsmöglichkeit ausgeschlossen – anders als Marin, die wie andere linksgerichtete Parteien schon im Wahlkampf klargemacht hatte, keine gemeinsame Sache mit der Finnen-Partei zu machen. (RND/dpa)