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TürkeiReden mit „Sultan“ Erdogan, auch wenn es schwerfällt

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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen trifft den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. 

Ankara/Berlin – Konrad Adenauer, Mitbegründer der CDU und erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, wird mit Blick auf die legendäre Wendigkeit seiner Politik das Zitat in den Mund gelegt: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern? Nichts hindert mich, täglich klüger zu werden.“

Daran könnte Armin Laschet, neuer Bundesvorsitzender der CDU und Bewerber um die Kanzlerkandidatur der Union, gedacht haben, als er nach den Ostertagen vom eifrigen Verfechter einer Lockerungsstrategie in der Pandemie zum energischen Befürworter eines „Brückenlockdowns“ mutierte. Ein Akt des Opportunismus? Ein Versuch, die Gunst von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zurückzugewinnen, nachdem diese Laschets Strategie im ARD-Talk mit Anne Will öffentlich getadelt hatte? Laschets Sinneswandel zeugt jedenfalls von einer Wendigkeit, wie sie unter politischen Akteuren zur Erreichung gesteckter Ziele verbreitet ist.

Gewohnt routiniertes Lächeln

Daran musste ich denken, als ich am 6. April EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) neben dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in gewohnter Routine lächeln sah. Gemeinsam mit EU-Ratspräsident Charles Michel hatte sich von der Leyen in Ankara eingefunden, um mit Erdoğan über einen Ausbau der EU-Türkei-Beziehungen und regionale Konflikte der Türkei mit Griechenland und Zypern zu sprechen, vor allem aber, um die Bedingungen für eine Erneuerung des am 16. März 2016 geschlossenen EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens auszuloten.

Alles zum Thema Armin Laschet

Dieses Bemühen hat Lale Akgün in ihrem Gastbeitrag für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ unter dem Titel „Beim Diktator Weltmacht spielen“ scharf kritisiert und dabei besonders auf die Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien und die Verletzung fundamentaler Bürgerrechte durch das Regime Erdogan abgehoben. Ich kann Akgüns Kritik nachvollziehen, sehe jedoch eine Verpflichtung der EU zum Handeln, nachdem das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei im Februar/März 2020 gescheitert ist.

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Das vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 geschlossene Abkommen sieht unter anderem vor, die illegale Migration von Menschen über die Türkei in die EU-Staaten zu unterbinden, vor allem nach Griechenland. Damit dieses Ziel erreicht würde, erklärte sich die Türkei bereit, diejenigen Migranten zurückzunehmen, die irregulär von der türkischen Küste auf die griechischen Inseln übersetzen. Im Gegenzug sicherte die EU zu, die Versorgung der Flüchtlinge in der Türkei mit insgesamt sechs Milliarden Euro zu unterstützen. Die EU stellte ferner Visafreiheit für türkische Staatsbürger im Schengen-Raum sowie eine Ausweitung der Zollunion in Aussicht.

Wahrheitswidrige Behauptungen

Über die Erfüllung dieser Zusagen kam es zum Streit. Dieser eskalierte, als Erdoğan mit der wahrheitswidrigen Behauptung, die Grenze nach Europa sei offen, Tausende Flüchtlinge aus dem Inneren der Türkei an die türkisch-griechische Grenze lockte. Er wollte so Druck auf die EU auszuüben und seine finanziellen und politischen Forderungen durchsetzen.

Davon ließen sich die EU und Kommissionspräsidentin von der Leyen jedoch nicht beeindrucken. Sie sagten vielmehr Griechenland volle Unterstützung bei der Sicherung seiner Grenze zur Türkei zu. Mit dieser Zusage im Rücken legte nun Griechenland gegenüber den Flüchtlingen eine brutale Härte an den Tag und hinderte diese am Überschreiten der Grenze. Wer es dennoch von der Türkei aus über den Grenzfluss Evros nach Griechenland schaffte, wurde gewaltsam zur Rückkehr auf türkischen Boden gezwungen.

An diesem inhumanen Umgang mit Flüchtlingen und ihren kollektiven Zurückweisungen, auch Push-Backs genannt, hat sich bis heute nichts geändert. Zudem weist die griechische Küstenwache Flüchtlingsboote auf offener See zurück und verstößt damit fortlaufend gegen europäisches Recht.

EU befindet sich in einem Dilemma

Angesichts dieser Situation befindet sich die EU in einem Dilemma: Wer – wie Ursula von der Leyen – stets auf die „europäischen Werte“ und auf Europa „als Garant für Frieden, Menschenrechte und Rechtsstaat“ verweist, kann nicht sehenden Auges hinnehmen, dass es an Europas Außengrenze zu inhumanen und rechtswidrigen Aktionen eines EU-Mitgliedslandes gegen „unerwünschte“ Flüchtlingen kommt.

Die als Alternative in Betracht kommende Wiederbelebung des Flüchtlingsabkommens mit Erdogan trifft zwar auf den berechtigten, auch von Lale Akgün vorgetragenen Einwand, dass der türkische Präsident Demokratie und Menschenrechte mit Füßen tritt. Fakt ist aber auch, dass das 2016 geschlossene Abkommen mit der Türkei die Lebensbedingungen der dort aufgenommenen dreieinhalb Millionen Flüchtlinge aus Syrien deutlich verbessert hat. Ohne erneute EU-Finanzhilfen im Rahmen eines wiederbelebten Abkommens ist umgekehrt damit zu rechnen, dass sich die Lage der Flüchtlinge in der Türkei erheblich verschlechtert und in Folge erneut ein Flüchtlingsstrom in Richtung der EU einsetzt.

Die Wiederaufnahme der EU-Türkei-Gespräche beruht auf einer einvernehmlichen Entscheidung sämtlicher EU-Staats- und Regierungschefs. Die von Akgün scharf attackierte EU-Kommissionspräsidentin hat mit anderen Worten nicht aus eigenem Antrieb dem „Sultan“ Erdogan die Aufwartung gemacht, sondern die Reise nach Ankara im Auftrag und Interesse aller EU-Mitgliedsstaaten unternommen. Von daher trifft Akgüns Kritik die Falsche.

Unser Autor

Michael Bertrams war Präsident des Verfassungsgerichtshofs NRW. Er schreibt regelmäßig im Kölner Stadt-Anzeiger über aktuelle Streitfälle sowie rechtspolitische und gesellschaftliche Entwicklungen.