Köln – Vor sechs Tagen hat Russland einen Krieg gegen die Ukraine begonnen. Seitdem hat es einen beispiellosen Zusammenschluss westlicher Staaten gegen die Aggression gegeben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beschwört eine Zeitenwende. Innerhalb kürzester Zeit sind lange geltende politische Grundsätze aufgegeben worden.
Könnte Deutschland Ziel russischer Atomraketen werden?
Trotz der Verweise von Kremlchef Wladimir Putin auf sein Atomarsenal rechnet das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri nicht damit, dass der Ukraine-Krieg zum Einsatz von nuklearen Waffen führen wird.
„Ich glaube nicht, dass ein Atomkrieg eine wahrscheinliche Folge dieser Krise ist“, sagt Sipri-Direktor Dan Smith. „Wenn Atomwaffen existieren, dann gibt es aber leider natürlich immer diese kleine Möglichkeit. Und das wäre katastrophal.“
Das Verteidigungsbündnis Nato sieht den Beschuss mit ballistischen Raketen als eine „wachsende Bedrohung“. Die Schutzstrategie umfasst daher das Raketenschutzschild BMD. Radarposten an den Außengrenzen sollen abgefeuerte Raketen möglichst rasch aufspüren und ein System aus Satelliten und Raketenabschuss-Anlagen etwa auch von Schiffen gegnerische Raketen im Anflug zerstören.
Die BMD-Kommandozentrale befindet sich im rheinland-pfälzischen Ramstein. Die Bundeswehr hat im Sommer vergangenen Jahres einige Radare für den Abfangschirm bestellt. Er war bislang vor allem gegen den Iran konzipiert. „Wir haben Russland mehrfach erklärt, dass das BMD-System nicht zum Einsatz gegen die strategischen nuklearen Abschreckungsfähigkeiten Russlands fähig ist und dass nicht beabsichtigt wird, das System künftig in Richtung einer solchen Fähigkeit umzugestalten“, hieß es noch im Sommer 2021 in der Erklärung zum Nato-Gipfeltreffen in Brüssel.
Könnte Putin einfach auf den „Roten Knopf“ drücken?
Die beruhigende Antwort: Nein. Ähnlich wie in den USA erfordert auch in Russland der Auslösemechanismus für atomare Sprengkörper einen mehrteiligen Code. Putin selbst hat nur einen Teil davon. Ein zweiter liegt beim russischen Verteidigungsminister und ein dritter Code muss durch den Generalstab eingegeben werden.
Werde ich für die Ukraine frieren müssen?
Auf Friedensdemonstrationen war der Appell „Frieren für die Ukraine“ in den vergangenen Tagen immer wieder zu lesen. Könnte das Herabdrehen der Heizung tatsächlich die Abhängigkeit von russischem Gas senken?
Der Energiebedarf für Heizungen ist enorm - er macht 70 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in Privathaushalten aus. Vor alle das Verbrennen von Gas und Öl sorgen für warme Zimmer und beide Rohstoffe stammen zu großen Teilen aus Russland.
Wer die Raumtemperatur um ein Grad senkt, spart etwa sechs Prozent an Heizkosten. Würden also alle Deutschen ihre Wohnungen zum Beispiel um zwei Grad weniger heizen, könnten 12 Prozent an Heizenergie eingespart werden.
Am Beispiel Gas ergibt sich eine mögliche Rechnung. Etwa 1070 Petajoule verbrauchen die privaten Haushalte jährlich an Gas. Gedrosseltes Heizen und weniger Warmwasser würden also 128 Petajoule an Einsparung bedeuten. Das entspräche etwa fünf Prozent der jährlichen Gaseinfuhren aus Russland.
Sollte ich jetzt Hamsterkäufe machen?
Dazu kann man auf allgemeine Ratschläge des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) verweisen. Es hat auf seiner Website übersichtlich aufgelistet, was jede Bürgerin und jeder Bürger zur Vorsorge tun kann, falls es mal zu einem Ernstfall kommt. Generell empfiehlt das Bundesamt, sich auf Notsituationen, die oft überraschend eintreten, vorzubereiten.
Dazu kann auf der Website auch ein 68-seitiger Ratgeber heruntergeladen werden, der alle möglichen Szenarien durchspielt. Das Wort Krieg kommt darin kein einziges Mal vor, aber durchaus seine Begleiterscheinungen: Feuer, Strom- und Wasserausfälle und die Möglichkeit, dass man kurzfristig sein Zuhause verlassen muss.
So rät das Bundesamt beispielsweise, Lebensmittelvorräte anzulegen. Konkret: „Halten Sie pro Person ca. 14 Liter Flüssigkeit je Woche vorrätig. Geeignete Getränke sind Mineralwasser, Fruchtsäfte und länger lagerfähige Getränke.“
Da in Krisensituationen auch der Strom ausfallen könne, sollten die Lebensmittel und Getränke auch ohne Kühlung haltbar sein. Zudem müssten die Lebensmittel geeignet sein, auch kalt gegessen zu werden.
Könnte die Bundeswehr Deutschland im Falle eines ähnlichen Angriffs wie auf die Ukraine verteidigen?
„Kurze, klare Antwort: Nein“, hat General a.D. Egon Ramms, einst ranghöchster deutscher Militär bei der Nato, im ZDF heute-journal gesagt.
Die Zahl der Streitkräfte sei sehr deutlich reduziert worden, ab dem Jahr 2010 habe es einen besonders drastischen Mangel an Mitteln gegeben. „Wir sind noch nicht mal so weit, dass insbesondere das Heer mit den Waffen ausgerüstet ist, die es tatsächlich haben müsste“, so der Ex-General.
Der amtierende Heeresinspekteur Alfons Mais äußerte sich ähnlich deutlich. „Ich hätte in meinem 41. Dienstjahr im Frieden nicht geglaubt, noch einen Krieg erleben zu müssen. Und die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da“, so der Generalleutnant. „Die Optionen, die wir der Politik zur Unterstützung des Bündnisses anbieten können, sind extrem limitiert.“
Bislang investiert Deutschland etwa 1,4 Prozent. Bei einem Satz von zwei Prozent hätten die Ausgaben im Jahr 2021 bei etwa 71,3 Milliarden Euro gelegen. Damit würde Deutschland auf Rang drei der Länder mit den absolut höchsten Militärausgaben rücken – hinter die USA und China.
Aktuell liegt Deutschland etwa auf Rang sechs – hinter Saudi-Arabien, Großbritannien, Russland und Indien. Laut Finanzminister Christian Lindner soll Deutschland durch die zusätzlichen Gelder „zu einer der schlagkräftigsten Armeen Europas“ werden: mit moderneren Panzern, neuen Kampfjets, bewaffneten Drohnen und besseren Cyber-Fähigkeiten. Allerdings gilt es einen Rückstand durch jahrelange Vernachlässigung aufzuholen.
Macht der Krieg das Leben in Deutschland teurer?
Die Preissteigerung in Deutschland ist zuletzt deutlich spürbar. Im Februar hat sie über der Marke von fünf Prozent gelegen. Die Verbraucherpreise stiegen zum Vorjahr um 5,1 Prozent. Das lag nach Daten des Statistischen Bundesamts vor allem an den Energiepreisen. Haushaltsenergie und Sprit verteuerten sich im Februar innerhalb eines Jahres um 22,5 Prozent.
Der Krieg in der Ukraine, der an den Rohstoffmärkten unmittelbar für Preissprünge bei Rohöl und Erdgas sorgte, könnte die Energiepreise und damit die Inflation insgesamt weiter anheizen. „Eine Fünf vor dem Komma der Inflationsrate im Gesamtjahr 2022 wird gerade wahrscheinlicher als eine Drei“, prognostizierte jüngst der Konjunkturexperte des Münchener Ifo-Instituts, Timo Wollmershäuser.
Kommt die Wehrpflicht in Deutschland zurück?
Die Wehrpflicht ermöglicht es, Deutsche zum militärischen Dienst oder einem Zivildienst zu verpflichten. Seit 2011 ist die Pflicht ausgesetzt. Doch angesichts der zunehmenden russischen Aggression sagt etwa Joachim Krause vom Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel: „Wir werden möglicherweise wieder die Wehrpflicht einführen müssen.“
Das Wehrpflichtgesetz ist so formuliert, dass die Wehrpflicht im Falle des Ausrufens eines „Spannungsfalles“ oder des Verteidigungsfalles sofort in Kraft treten würde. Das könnte der Bundestag jederzeit mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschließen. Was ein „Spannungsfall“ ist, ist nicht näher definiert.
Die Wehrpflicht wieder einzuführen, wäre theoretisch also leicht möglich. Im Spannungs- oder Verteidigungsfall würde die Wehrpflicht für Menschen bis 60 Jahre gelten. Bei einer Wiedereinführung auf anderem Wege für Personen bis 45 Jahre.
In der Koalition ist das Thema heftig umstritten – die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD) hat sich gegen eine bloße Reaktivierung ausgesprochen. Der Wehrexperte der FDP, Alexander Müller, möchte „eine Armee von Profis“, sagte er der Heilbronner Stimme.
Könnte die Laufzeit von Kohle- und Atomkraftwerken verlängert werden?
Wer die Abhängigkeit von russischen Rohstoffeinfuhren senken wolle, müsse den verlängerten Betrieb von Kohle- und Atomkraftwerken befürworten, argumentiert Clemens Fuest, Präsident des Wirtschaftsforschungsinstitut ifo. Das müsse so lange geschehen, bis „Gas aus anderen Quellen und mehr Erneuerbare“ zur Verfügung stünden, argumentiert der Ökonom.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurden im 3. Quartal des vergangenen Jahres etwas weniger als neun Prozent des in Deutschland hergestellten Stroms mit Erdgas produziert.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat die Notwendigkeit einer möglichen Kohlereserve ins Gespräch gebracht, um die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen zu reduzieren. Mehr als die Hälfte der nach Deutschland importierten Steinkohle stammt aus dem Land.
Die Kohle wird zum größten Teil in Kraftwerken und zum geringeren Teil in Stahlwerken eingesetzt. Gemeinsam mit Kraftwerksbetreibern soll nun eine Reservebildung für Kohle vorangetrieben werden, so Habeck. Es dürfe zudem „keine Denk-Tabus“ mit Blick auf verlängerte Laufzeiten für Atom- und Kohlekraftwerke geben.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hält trotz der Unsicherheiten durch den russischen Krieg gegen die Ukraine einen früheren Kohleausstieg bis 2030 weiterhin für möglich.
Entwickelt sich ein neuer „Kalter Krieg“?
Der Begriff beschreibt das gegenseitige Aufrüsten der westlichen Mächte und des sogenannten Ostblocks aus Sowjetunion und einigen Anrainerstaaten bis in die späten 1980er-Jahre. Durch den Aufbau von Waffenarsenalen sollte einem Angriff durch den jeweils anderen Block vorgebeugt werden. Mit dem Zusammenfall der Sowjetunion Anfang der 1990er-Jahre endete diese Phase der globalen Machtpolitik.
Der FDP-Außenexperte Alexander Lambsdorff erwartet tatsächlich eine „Wiederbelebung der Struktur des Kalten Kriegs“ zwischen einem autokratischen Block im Osten und einem Freien Westen.
Die „atomare Abschreckung“ bestand allerdings de facto auch in den jüngsten Jahren. Das Friedensforschungsinstitut Sipri zählte Anfang 2021 insgesamt 13.080 Atomwaffen weltweit, knapp 12.000 davon in den Händen der USA (5.500) und Russlands (6.255).
Die Nato hat damit begonnen, mehr Kräfte an der Ostgrenze zu positionieren, die USA entsenden 7.000 Soldaten nach Deutschland auf ihre bestehenden Stützpunkte. Die ersten sind am Mittwoch bereits in Nürnberg gelandet.
Kann ich noch nach Russland reisen?
Gerade Moskau und Sankt Petersburg sind für viele Menschen beliebte Urlaubsziele. Von Reisen nach Russland rät das Auswärtige Amt jedoch derzeit ab. Der Flugverkehr zwischen Russland und europäischen Ländern sei eingeschränkt, die Nutzung nicht-russischer Kreditkarten in Russland nur begrenzt möglich.
Mehrere Kreuzfahrtanbieter wie Aida Cruises und Tui Cruises haben Angebote für Russland bereits aus dem Programm genommen. MSC-Kreuzfahrtschiffe steuern russischen Häfen ebenfalls nicht mehr an. Auch Reiseanbieter wie FTI und Studiosus verzichten vorerst auf Angebote für Reisen nach Russland. (mit dpa, nal, RND)