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Moskau droht mit AttentatenFreigelassene Kremlkritiker sorgen erst für viel Wut – und reden dann Klartext

Lesezeit 4 Minuten
Ilja Jaschin (l.), Andrej Piwowarow (M.) und Wladimir Kara-Mursa kommen zur Pressekonferenz der Stiftung gegen Korruption, die von Kremlkritiker Nawalny gegründet wurde.

Ilja Jaschin (l.), Andrej Piwowarow (M.) und Wladimir Kara-Mursa kommen zur Pressekonferenz der Stiftung gegen Korruption, die von Kremlkritiker Nawalny gegründet wurde.

Ilya Jaschin und Wladimir Kara-Murza werden deutlich – auch in Richtung von AfD und BSW. Zuvor war scharfe Kritik laut geworden.

Die beiden bei einem Gefangenenaustausch befreiten russischen Kremlkritiker Wladimir Kara-Mursa und Ilja Jaschin haben in neuen Statements die Niederlage Russlands gefordert. „Der verbrecherische Angriffskrieg gegen die Ukraine muss sofort beendet werden“, erklärte Jaschin zu Wochenbeginn in einem Livestream bei Youtube. Russland müsse „absolut alle Truppen“ aus dem Gebiet der Ukraine abziehen, führte der russische Oppositionelle aus. „Die Hauptaufgabe der westlichen Welt besteht heute, wie mir scheint, darin, die Ukraine vor Putin zu retten.“

Ilja Jaschin: „Putin wird zu 100 Prozent weitermachen“

„Nicht einen Zentimeter“ ihres Territoriums dürfe die Ukraine dem Kreml überlassen, erklärte Jaschin. Derartige Zugeständnisse würden den russischen Präsidenten Wladimir Putin nur weiter in seinem Kriegskurs bestärken, erklärte der Freigelassene. „Wenn man Putin jetzt die Ukraine verschlingen lässt, wird er zu 100 Prozent weitermachen“, so Jaschin. Da brauche man sich „keine Illusionen“ zu machen, führte er aus.

Der Oppositionelle ging dabei auch auf die von AfD und BSW vertretenen Standpunkte ein, wo man für einen „Frieden“ in der Ukraine bereit zu sein scheint, ukrainisches Territorium aufzugeben. Denjenigen, die glauben, Putin werde sich damit zufriedengeben, könne er nur sagen: „Das wird nicht passieren“, erklärte Jaschin. „Das habe ich auch der deutschen Regierung gesagt“, fügte er an.

Wladimir Kara-Mursa: „Katastrophale Niederlage“ wäre Chance für Russland

Ähnlich äußerte sich auch Kara-Mursa im Gespräch mit der BBC. „Man darf Putin nicht erlauben, diesen Krieg zu gewinnen. Die Ukraine muss gewinnen, und es sollte mehr Unterstützung von westlichen Ländern geben, damit das passiert“, stellte der Weggefährte des 2015 erschossenen Kremlkritikers Boris Nemzow klar. Historisch gesehen öffne eine „katastrophale militärische Niederlage“ die Chance für einen demokratischen Wandel in Russland, erklärte Kara-Mursa.

Die beiden prominenten russischen Oppositionellen hatten kurz nach ihrer Freilassung zunächst Kritik auf sich gezogen – vor allem aus der Ukraine. Beide hatten zunächst betont, dass „normale russische Bürger“ keine Verantwortung für den Krieg tragen würden und Sanktionen kritisiert, die auch die „normale Bevölkerung“ in Russland treffen würden.

Scharfe Kritik an ersten Statements von befreiten Kremlkritikern

„Es ist, als wollten sie verzweifelt unbeliebt sein“, hatte nicht nur der Historiker und Russland-Experte Ian Garner die ersten Statements kritisiert – und in Richtung der Kremlkritiker gefragt: „Warum sagen sie nicht einfach: ‚Wir sind froh, frei zu sein. Jetzt ist es an der Zeit, dass unsere russischen Mitbürger ihre Waffen niederlegen, sich weigern zu kämpfen und zu arbeiten. Genug des Tötens und der Gewalt im eigenen Land und in der Ukraine‘?“

„Ich brauche mehr Informationen“, räumte Kara-Mursa, der wie Jaschin die letzten Jahre im Gefängnis und oft auch in Einzelhaft verbracht hat, in seinem jüngsten Interview schließlich ein. „Mir ist klar, dass der Februar 2022 viel verändert hat“ erklärte Kara-Mursa – und stellte klar: „Die Verantwortung für das, was das Putin-Regime dort tut, trägt die russische Gesellschaft, von der ein großer Teil die Augen vor den Übergriffen und der Unterdrückung verschlossen hat.“

Deal mit Moskau: „Sind 16 Menschenleben es nicht wert, einen Mörder freizulassen?“

Der Kremlkritiker betonte jedoch auch: „Aber vergessen wir nicht die Verantwortung der westlichen Länder, die es jahrelang vorgezogen haben, mit Wladimir Putin Geschäfte zu machen, obwohl sie genau wussten, wer er war und was er repräsentierte.“

Den Gefangenenaustausch verteidigt Kara-Mursa derweil gegenüber der BBC. „Ich möchte alle, die diesen Austausch kritisieren, höflich bitten, nicht an einen Gefangenenaustausch zu denken, sondern an die Rettung von Leben“, erklärte der Oppositionelle angesichts der Kritik an dem Deal mit Moskau, bei dem der als „Tiergartenmörder“ bekannt gewordene Wadim Krassikow frei gekommen war. „Sind 16 Menschenleben es nicht wert, einen Mörder freizulassen?“, fragte Kara-Mursa nun.

Moskau droht freigelassenen Kremlkritikern mit Attentaten

Aus Moskau kommen unterdessen erneut handfeste Drohungen, insbesondere in Richtung der freigelassenen Oppositionellen. Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew sprach erneut von „Verrätern“, die für Russland eine „existenzielle Gefahr“ darstellen würden.

Wladimir Kara-Mursa bei einem Gerichtstermin in Moskau im Juli 2023.

Wladimir Kara-Mursa bei einem Gerichtstermin in Moskau im Juli 2023.

„Sie sollen die Vergänglichkeit ihres Daseins in dieser Welt nicht vergessen“, schrieb Medwedew bei Telegram weiter – und drohte damit den Freigelassenen indirekt mit Attentaten durch russische Geheimdienste. Der jetzige Vizechef des russischen Sicherheitsrates riet ihnen, sich immer vorsichtig umzuschauen.

Russland sieht sich als Gewinner beim Gefangenenaustausch

Russland habe bei dem Deal das bessere Geschäft gemacht, behauptete Medwedew außerdem, der als enger Vertrauter von Kremlchef Putin gilt. Zuvor hatte der Vizechef des russischen Sicherheitsrates den Oppositionellen bereits gewünscht, sie mögen „in der Hölle schmoren“.

Bei dem großen Austauschgeschäft zwischen Russland und dem Westen waren am Donnerstag acht politische Häftlinge aus russischen Gefängnissen freigelassen und ausgeflogen worden. Dazu zählten Kara-Mursa, Jaschin und Oleg Orlov. Moskau erhielt dafür den in Deutschland wegen Mordes verurteilten Krassikow zurück.

Wladmir Putin empfängt den „Tiergartenmörder“ herzlich in Moskau

Krassikow hatte 2019 in Berlin in mutmaßlich staatlichem Auftrag einen Georgier tschetschenischer Herkunft erschossen. Kremlchef Putin begrüßte ihn und mehrere aus westlicher Haft entlassene russische Spione bei ihrer Ankunft in Moskau persönlich – und umarmte Krassikow dabei.

Kurz darauf gab der Kreml bekannt, dass Krassikow ein Agent des russischen Auslandsgeheimdienstes FSB ist. Zuvor hatte der Kreml genau das jahrelang immer wieder bestritten. Auch der russische Botschafter in Deutschland, Sergei Netschajew, wurde durch das nunmehrige Eingeständnis der Lüge überführt.