Erstmals soll die Nato „rote Linien“ definiert haben. Russland hat derweil Angst um Putins Brücke – und zieht selbst mal wieder eine „rote Linie“.
Wirbel um MedienberichtNato definiert angeblich erstmals geheime „rote Linien“ für Kriegseintritt
Ein Bericht der „La Repubblica“ schaffte es am Sonntag schnell in die russischsprachigen Medien: Die Nato soll demnach erstmals inoffiziell „rote Linien“ für Russlands Krieg gegen die Ukraine definiert haben, berichtete die italienische Zeitung am Sonntag. Operative Pläne tatsächlich Truppen in die Ukraine zu entsenden, gebe es derzeit allerdings nicht, betonten die „La Repubblica“-Journalisten.
Es werde intern jedoch die Wahrscheinlichkeit einer direkten Kriegsbeteiligung der Nato bei bestimmten Szenarien in Russlands Krieg gegen die Ukraine beurteilt. Es handele sich um „Auswertungen möglicher Notfallpläne“, heißt es in dem Bericht. Zwei „rote Linien“ soll das westliche Verteidigungsbündnis, dem auch Deutschland angehört, demnach nun erstmals inoffiziell festgelegt haben, hieß es weiter.
Italienischer Medienbericht: Nato legt geheime „rote Linien“ für Kriegseintritt in der Ukraine fest
Das erste Szenario, bei dem eine Nato-Beteiligung am Krieg wahrscheinlich werde, sei der Kriegseintritt von Belarus beim gleichzeitigen Zusammenbruch der nordwestlichen Verteidigungslinie der ukrainischen Armee, so „La Repubblica“. Als zweites Szenario, das einen Kriegseintritt der Nato wahrscheinlich macht, gilt demnach eine militärische Provokation Russlands gegenüber dem Baltikum oder Polen sowie ein gezielter Angriff auf Moldau.
Dabei müsse es sich nicht notwendigerweise um eine Invasion handeln, auch ein Militärschlag, der dazu diene, die Nato auf die Probe zu stellen, könne demnach Grund für eine Intervention sein, berichtet die italienische Zeitung. Ziel der inoffiziellen Überlegungen sei es, darauf vorbereitet zu sein, sollte Russland bestimmte Szenarien umsetzen, heißt es weiter. Die Nato hat den Bericht von „La Repubblica“ bisher nicht kommentiert.
Auch Emmanuel Macron nennt Gründe für eine Truppenentsendung
Das Bekanntwerden der angeblichen „roten Linien“ der Nato folgt auf Wirbel um Aussagen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der in den letzten Wochen die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine mehrmals explizit nicht mehr ausschließen wollte.
Macron befindet sich mit seinem Kurs im Widerspruch zu vielen anderen westlichen Staatsführern, die seit Kriegsbeginn immer wieder bestimmte Maßnahmen öffentlich ausgeschlossen hatten, darunter auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der Macrons „Ambiguitätsstrategie“ auch nun prompt zurückgewiesen hatte.
Trotz Kritik bekräftigte der französische Präsident seine Worte in der letzten Woche jedoch erneut. „Wenn die Russen die Frontlinien durchbrechen sollten, wenn es eine ukrainische Bitte gäbe – was heute nicht der Fall ist –, dann sollten wir uns die Frage berechtigterweise stellen“, sagte Macron in einem Interview mit dem „Economist“ zur Frage nach möglichen Gründen für eine Entsendung von Bodentruppen.
Macron begründet Kurs mit Putin: „Weil wir jemand gegenüberstehen, der nichts ausschließt“
Diesen Schritt von vornherein auszuschließen, bedeute, keine Lehren aus den vergangenen beiden Kriegsjahren zu ziehen und sei vor allem mit Blick auf die Abschreckung Russlands falsch, erklärte Macron. „Wie ich schon gesagt habe, schließe ich nichts aus, weil wir jemand gegenüberstehen, der nichts ausschließt“, sagte der französische Präsident – offensichtlich mit Blick auf Kremlchef Wladimir Putin.
Allein ist Macron mit seinem Kurs im Westen nicht. Im Baltikum, das nun angeblich Teil der inoffiziellen „roten Linien“ der Nato geworden ist, war man Macron nach seinem Vorstoß im März zur Seite gesprungen. „Ich unterstütze Emmanuel Macron voll und ganz“, hatte der lettische Präsident Edgars Rinkevics erklärt. „Wir sollten keine roten Linien für uns selbst ziehen, wir müssen rote Linien für Russland ziehen und wir sollten keine Angst haben, sie durchzusetzen“, fügte er an.
Moskau reagiert mit schrillen Drohungen auf Debatte über Bodentruppen
Moskau hingegen hatte auf jegliche Aussagen über die mögliche Entsendung von westlichen Bodentruppen mit Drohungen reagiert. So sprach der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu in einem Gespräch mit seinem französischen Amtskollegen Sébastien Lecornu davon, dass Frankreich in diesem Fall „Probleme“ bekommen werde. In russischen Propagandamedien war zudem von Angriffen auf Paris die Rede.
Eine „rote Linie“ hat unterdessen auch Russland an diesem Wochenende definiert, offenbar aus Furcht vor ukrainischen Schlägen mit den von den USA kürzlich an Kiew gelieferten ATACMS-Raketen mit großer Reichweite. Angriffe auf die Krim oder die von Putin eilig errichtete Krim-Brücke würden einen „unzerstörbaren Vergeltungsschlag“ nach sich ziehen, drohte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa.
Russland droht mit „Vergeltungsschlag“ bei Angriff auf Putins Krim-Brücke
Moskau hat auf westliche Waffenlieferungen seit Kriegsbeginn immer wieder mit derartigen Drohungen reagiert, auch mit Atomschlägen drohten hochrangige russische Regierungsvertreter regelmäßig. Experten halten derartige Drohungen aus Moskau für reine Propaganda mit dem Zweck, weitere Waffenlieferungen des Westens zu unterbinden.
Angesichts der jüngsten Raketenlieferungen und der kolportierten nahenden Bereitstellung von F-16-Kampfjets für die Ukraine scheint in Moskau die Sorge vor einem erfolgreichen Angriff auf die strategisch wichtige Krim-Brücke zu wachsen. „Jedes aggressive Vorgehen“ gegen die Krim sei „zum Scheitern verurteilt“, behauptete Sacharowa.
Auch die russischen Medien spielten am Wochenende eifrig weiter mit in der Propagandaschlacht um die „roten Linien“ im Krieg – und verbreiteten auch mithilfe pro-russischer Influencer in Deutschland mal wieder Geschichten darüber, dass Frankreich angeblich bereits Truppen in die Ukraine geschickt habe. Belege dafür gibt es, wie immer bisher, keine.