Olaf Scholz reagiert mit einem Allgemeinplatz auf Moskaus Drohungen – nicht nur in Deutschland gibt es dafür Kritik.
„Wie verloren ist der Westen, wenn …“Spott und Häme für „Kindergärtner“ Scholz’ Antwort auf Putins Muskelspiele
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist für seine Reaktion auf die jüngsten Drohungen aus Moskau in die Kritik geraten. „Zur von Russland angekündigten Atomübung: Es ist immer wieder wichtig, deutlich zu sagen, dass Nuklearwaffen in diesem Krieg nicht eingesetzt werden dürfen“, hatte Scholz am Montagabend im sozialen Netzwerk X (vormals Twitter) geschrieben und somit auf eine vorherige Ankündigung des Kremls reagiert. Für seine Wortmeldung erntete Scholz auch aus den Reihen der eigenen Ampel-Koalition schnell deutlichen Widerspruch.
„Es ist vor allem immer wieder wichtig, zu betonen, dass man nicht immer wieder auf das Narrativ von Putin hereinfallen und es sich zu eigen machen darf“, erklärte FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Niemand wolle den Einsatz von Nuklearwaffen, führte die Düsseldorferin aus. „Aber mit solchen Statements schwächt man nur die Verteidigung von Freiheit und Demokratie“, fügte sie an und signalisierte Zustimmung für den Kurs des Bundesverteidigungsministeriums.
Kritik an Kanzler Scholz: „Nicht auf das Narrativ von Putin hereinfallen“
Das Ministerium von Boris Pistorius (SPD) hatte zuvor erklärt, es sehe in Russlands geplanter Atomübung „keine neue Situation“ und verzichtete auf einen weiteren Kommentar. Moskaus Drohungen zu ignorieren, sei „genau die richtige Reaktion“ lobte der Politikwissenschaftler Carlo Masala Pistorius‘ Kurs.
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Kritik an der Reaktion des Kanzlers kam derweil auch vom verteidigungspolitischen Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Florian Hahn. „Das wird Putin sicher beeindrucken“, kommentierte der CSU-Politiker Scholz‘ Wortmeldung.
Olaf Scholz reagiert auf Putins Säbelrasseln: „In die Falle Russlands getappt“
Aber auch in der Kanzlerpartei wurde Kritik laut. „Und wieder einmal sind wir in die Falle Russlands getappt“, schrieb Jan Claas Behrends. Zusammen mit anderen SPD-Historikern hatte Behrends die Russland-Politik von Scholz zuletzt bereits in einem Brief an die Parteiführung kritisiert.
International fielen die Reaktionen für den Bundeskanzler unterdessen noch schroffer aus. „Wie verloren ist der Westen, wenn der deutsche Bundeskanzler auf die jüngsten atomaren Erpressungsdrohungen des mörderischen russischen Diktators wie ein Kindergärtner reagiert, der den Kindern sagt, sie sollen nicht mit Steinen werfen“, schoss der russische Schachgroßmeister Garry Kasparow bei X gegen Scholz. „Unglaublich“, fügte der Kremlkritiker an.
„Jemand im Kanzleramt möge bitte den deutschen Bundeskanzler beraten“
Bei Politikwissenschaftlern und Russland-Experte herrschte derweil mitunter Fassungslosigkeit. „Ich weiß gar nicht, wie ich darauf reagieren soll“, kommentierte der Militärexperte Fabian Hoffmann die Antwort des Kanzlers auf Putins Säbelrasseln bei X. „Jemand im Kanzleramt möge bitte den deutschen Bundeskanzler beraten, wie er sich auf der internationalen Bühne präsentieren soll, insbesondere in Bezug auf die nukleare Abschreckung“, fügte Hoffmann an.
Anderswo flüchtete man sich in offenen Sarkasmus. „Warum ist eigentlich zuvor noch niemand auf die Idee gekommen, Russland zu sagen, dass es keinen Atomkrieg anzetteln soll?“, spottete der britische Russland-Experte Ian Garner. „Ich bin froh, dass wir das geklärt haben“, kommentierte derweil der amerikanische Politologe Ian Bremmer bissig den Allgemeinplatz des Kanzlers.
Eindeutige Signale: Medwedew droht mal wieder mit Atomschlägen
Moskau hatte den Tag vor Putins bereits fünfter Amtseinführung am Dienstag für eindeutige Signale genutzt. Fast als wollte der Kremlchef die Marschroute für seine nächste Amtszeit deutlich machen, verkündete der Kreml zunächst, Putin habe eine Atomübung angeordnet, drohte später mit Angriffen auf britische Militärziele und ließ schließlich Dmitri Medwedew eine seiner wütenden Tiraden loslassen.
Der russische Sicherheitsratsvize und ehemalige Präsident Russlands drohte kurzerhand mit Atomschlägen auf London, Paris und Washington, sollte der Westen Truppen in die Ukraine entsenden, die Medwedew „das nicht existente Land“ nannte. Der enge Vertraute von Kremlchef Putin ist für seine oftmals mit zahlreichen Beleidigungen versehenen Wutausbrüche seit Kriegsbeginn bekannt geworden.
Putins Drohungen: Russland setzt auf „Selbstabschreckung“ des Westens
Die Drohungen rechtfertige Moskau derweil wie immer seit Kriegsbeginn mit angeblichen Provokationen des Westens. Explizit benannt wurden dabei die Bodentruppen-Gedankenspiele von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und das vom britischen Außenminister David Cameron angedeutete grüne Licht für die Ukraine, britische Waffen gegen Ziele in Russland einzusetzen.
Zuvor hatte Moskau seinen Ton bereits anlässlich des jüngsten US-Hilfspakets für die Ukraine deutlich verschärft. Die Waffenlieferung aus Washington enthält auch ATACMS-Raketen mit großer Reichweite, die der Ukraine neue Angriffsmöglichkeiten insbesondere auf der besetzten Halbinsel Krim eröffnen.
Ähnliche Drohungen bei früheren Lieferungen an die Ukraine blieben stets folgenlos, wie viele Kritiker des Bundeskanzlers am Montag betonten. Den Experten zufolge wolle Moskau mit seiner Propaganda eine „Selbstabschreckung“ im Westen herbeiführen. Die richtige Antwort auf die mitunter schrill vorgetragenen Drohungen sei daher Ignoranz oder Abschreckung.
London schweigt, Washington kritisiert „unverantwortliche Rhetorik“
Die Reaktion von Scholz‘ britischem Amtskollegen Rishi Sunak fiel entsprechend anders aus als die des Kanzlers. Vom englischen Premierminister wurde am Montag zunächst kein Statement zu den Drohungen gegen sein Land bekannt. Auch US-Präsident Joe Biden kommentierte Putins neuste Manöver zunächst nicht.
„Dies ist ein Beispiel für die Art unverantwortlicher Rhetorik, die wir in der Vergangenheit aus Russland gesehen haben“, erklärte allerdings Pentagon-Sprecher Pat Ryder gegenüber Reportern. „Angesichts der aktuellen Sicherheitslage ist sie völlig unangemessen.“
Bewegung bei den russischen Nuklearstreitkräften sei bisher jedoch nicht zu beobachten gewesen, führte der Pentagon-Sprecher aus. „Selbstverständlich werden wir dies weiterhin beobachten“, versicherte Ryder – und fügte an: „Abseits davon ist es einfach nur … unverantwortliche Rhetorik.“
Macron macht einen Schritt zurück: „Wir befinden uns nicht im Krieg mit Russland“
Macron näherte sich in seiner Wortwahl nach zuletzt mehreren Aussagen über die mögliche Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine zu Wochenbeginn unterdessen eher dem Kanzler an. In einer Rede an der Seite des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Paris sagte Macron am Montag: „Wir befinden uns nicht im Krieg mit Russland oder dem russischen Volk, und wir wollen keinen Regimewechsel in Moskau.“
Die Kommunikation der Ukraine-Unterstützer, die bereits in den letzten Wochen die unterschiedlichen Standpunkte in Paris, Berlin und Washington aufgezeigt hatte, bleibt auch in dieser Woche uneindeutig. Im Westen nichts Neues, könnte man fast sagen.