Zwei Russen schildern schlimme Zustände in der russischen Armee – und sprechen von der Heimat als Land voller „Zombies“.
Suizid-Befehle in „Zombie-Armee“„Er muss entfernt werden“ – Russische Soldaten rechnen mit „König Putin“ ab
Berichte über mangelnde Ausrüstung bei russischen Soldaten gibt es bereits seit kurz nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine. Nun scheinen die Aussagen von zwei russischen Kriegsgefangenen die vorherigen Informationen über schlechte Vorbereitung und Ausbildung der russischen Truppen zu bekräftigen. Die beiden russischen Soldaten übten im Gespräch mit der ukrainischen Zeitung „Kyiv Post“ scharfe Kritik am russischen Militär und Kremlchef Wladimir Putin.
„Sergei“, einer der beiden von ukrainischen Truppen gefangen genommenen Russen, gehört eigenen Angaben zufolge zu den tausenden Straftätern, die durch den freiwilligen Dienst in der russischen Armee ihre Haftstrafe verkürzen wollten. Die tatsächlichen Namen der beiden Kriegsgefangenen wurden aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht, erklärte die „Kyiv Post“.
Suizid-Befehl bei russischer Armee: „Nimm eine Granate“
Der Gefangene bestätigte einen rücksichtslosen Umgang mit den Soldaten – und berichtete von menschenverachtenden Anweisungen der russischen Kommandeure. „Nimm eine Granate“, sei ihm für den Fall einer Gefangennahme von seinen Vorgesetzten geraten worden, erklärte Sergei. Es sei besser zu sterben und dabei Ukrainer mit in den Tod zu reißen, als dem Feind lebendig in die Hände zu fallen.
Die meiste Zeit hätte seine Einheit, die komplett aus Ex-Häftlingen bestanden habe, Gräben ausheben sollen. „Sie haben uns im Wald herausgeworfen und gesagt, wir sollen graben“, schilderte der russische Soldat das Vorgehen seiner Kommandeure. „Sie haben uns aber nichts zum Graben gegeben.“
Ohne Ausrüstung und warme Kleidung: „Sie haben uns im Wald rausgeworfen“
Die Einheit habe Spaten und weitere Ausrüstung auf eigene Kosten beschaffen müssen, erklärte Sergei. Manche der Ex-Häftlinge seien direkt aus dem Gefängnis an die Front gebracht worden – und hätten sich dort erstmal mit warmer Kleidung eindecken müssen.
Interesse am Krieg habe er eigentlich nicht gehabt, behauptete der Kriegsgefangene. Er habe lediglich die Chance gesehen, schneller aus dem Gefängnis frei zu kommen. „Ich habe mich verpflichtet, weil ich gerne zu meinen Kindern zurückkehren würde“, sagte der verurteilte Mörder.
Gefährliche Rückkehr nach Russland: „Sie werden mich erschießen“
Nun wisse er nicht, ob er sich über einen Gefangenenaustausch und damit die Rückkehr nach Russland noch freuen könnte. „Sie werden mich erschießen“, befürchtet Sergei, weil er sich ergeben habe, statt sich wie befohlen mit einer Granate in die Luft zu sprengen.
Der Krieg gegen die Ukraine sei „dumm“, erklärte der Ex-Häftling. Aber alleine könne man in Russland nichts gegen Wladimir Putin und den Kreml ausrichten. „Sie würden uns einfach an die Wand stellen“, erklärte der Soldat.
Kritik am Kremlchef: „Putin hat alles – er ist wie ein König“
„Putin hat alles – die Nationalgarde, die Milizen und das Militär. Er ist wie ein König, anders kann man das nicht nennen“. Ändern werde der Kremlchef sich nicht mehr, glaubt Sergei. „Er muss entfernt werden, aber wie macht man das?“
Auch „Viktor“, der andere Interviewte, der einen Vertrag als Fahrer bei Armee unterschrieben hatte, und schließlich doch an der Front endete, glaubt nicht, dass man auf den Kremlchef einwirken könnte. „Er hört eh nicht zu“, sagte der 56-Jährige.
„Nach dem, was ich hier gesehen habe“, würde er sich nicht noch einmal verpflichten, erklärte Viktor. Bereits vor seiner Gefangennahme habe er seinen Freunden in Russland abgeraten, es ihm gleich zu tun.
Russischer Kriegsgefangener: „Auch ich war ein bisschen zombifiziert“
Die Russen seien jedoch von Propaganda beeinflusste „Zombies“, sagte Viktor. „Ein bisschen“ treffe das auch auf ihn zu, räumte der 56-Jährige ein. Er habe keine Ahnung gehabt, worauf er sich eingelassen habe. „Auch ich war ein bisschen zombifiziert.“
Seit Kriegsbeginn haben ukrainische Geheimdienste und westliche Analysten immer wieder von vermeintlich mangelhafter Ausrüstung, geringer Motivation und unmenschlichen Anweisungen innerhalb der russischen Truppen berichtet.
Russlands „Fleischwolf“ in Awdijiwka: Ex-Häftlinge als Kanonenfutter
Ein weiterer vielfach vorgetragener Vorwurf: Insbesondere die Ex-Häftlinge würden von der Armeeführung als „Kanonenfutter“ betrachtet. Mehrfach tauchten zudem Videos in sozialen Netzwerken auf, in denen sich russische Soldaten über ihre Lage beklagten.
Zuletzt berichteten die ukrainischen Streitkräfte, die russische Armee bringe rund um die Stadt Awdijiwka erneut eine sogenannte „Fleischwolf“-Taktik zur Anwendung. Dabei setzen die russischen Kommandeure auf die reine zahlenmäßige Überlegenheit – und nehmen so enorme Verluste in Kauf. Rund 6.500 Soldaten hat Russland im „Fleischwolf“ laut Kiew in den letzten Wochen rund um Awdijiwka verloren.
Kritik am Kreml: „Sollen die doch ein Gewehr nehmen und losziehen“
Was er zu Putin sagen würde, hätte er die Gelegenheit dazu, wollte die „Kyiv Post“ von Sergei noch wissen. „Ehrlich? Hör auf! Es reicht. Es geht um das Leben von Menschen“, lautete die Antwort des Russen.
Wladimir Putin und sein Machtzirkel hätten die Menschen in Russland erst in Armut und Schulden getrieben – um nun die „verzweifelte Lage“ mit verlockenden Armeegehältern ausnutzen zu können, führte Sergei aus. Im Kreml säßen „2000 Politiker“ nur herum. „Sollen die doch ein Gewehr nehmen und losziehen, sie würden sich in die Hosen machen. Aber das machen sie nicht, sie haben das Geld und sind nicht dumm.“