AboAbonnieren

Union skeptischLindner will kleine Reform der Schuldenbremse

Lesezeit 4 Minuten
Bundesfinanzminister Christian Lindner spricht vor dem Detschen Bundestag.

Bundesfinanzminister Christian Lindner will die Schuldenbremse teilweise reformieren.

Ein Aussetzen der Schuldenbremse ist auch in der Ampel hoch umstritten. Jetzt äußert sich der Finanzminister zu einer möglichen Teilreform. Die Unionsfraktion warnt vor neuer Finanztrickserei.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) lehnt eine grundlegende Reform der Schuldenbremse, wie von SPD und Grünen gefordert, weiterhin ab - eine Teilreform aber nicht. Im kommenden Jahr will er sie angehen. Dabei soll sich die Höhe der möglichen Verschuldung stärker an Konjunkturschwankungen orientieren als bisher.

Generelle Änderungen an dem Mechanismus zur Begrenzung der Staatsverschuldung wollen aber auch einige Unionsministerpräsidenten. Sie wollen so mehr Investitionen ermöglichen, die sich erst später auszahlen. Andere in der Union sind dagegen - ihnen schloss sich jetzt auch Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther an.

Lindner sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, es sei geplant, die Berechnung der sogenannten Konjunkturkomponente, die bei einem Abschwung mehr Spielraum lasse, zu überarbeiten. Das habe aber nichts mit der aktuellen Haushaltssituation des Bundes zu tun. „Es ist beabsichtigt, die Berechnung an den aktuellen Stand derwirtschaftswissenschaftlichen Forschung anzupassen, was die Schwankungsbreite verändern wird“, erklärte er. „Das vergrößert aber über mehrere Jahre gesehen nicht die mögliche Verschuldung. Denn der größere Spielraum im Abschwung wird im Aufschwung wieder eingesammelt“, sagte Lindner. Die Reform wolle er 2024 angehen.

Wie wird das in der Koalition aufgenommen?

Diese Reform habe die Ampel bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, erklärte SPD-Fraktionsvize Achim Post im Berliner „Tagesspiegel“ (Sonntag). „Sie sollte nun sehr zeitnah umgesetzt werden.“

SPD und Grüne fordern darüber hinaus aber eine umfassende Reform. „Das Thema muss raus aus der Tabuzone“, sagte Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch dem Blatt. Nötig sei eine Investitionsklausel, „um in Klimatechnologien, in Jobs, in klimagerechten Wohlstand zu investieren“.

Was hält die Union von Lindners kleiner Reform?

Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg (CDU) äußerte sich skeptisch zur Anpassung der Schuldenbremse an Konjunkturschwankungen. „Die Schuldenbremse ist schon jetzt nicht starr, sondern hat zwei Komponenten der Flexibilisierung, eine strukturelle und eine konjunkturbezogene“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Diese beiden Komponenten erlaubten bereits zum Beispiel für 2024 eine verfassungskonforme Neuverschuldung von mehr 20 Milliarden Euro. „Weitere Flexibilisierungen der Schuldenbremse betrachten wir deshalb mit äußerster Zurückhaltung“, sagte der Haushaltsexperte. „Eine neue Trickserei zur Umgehung dieser Grundregel darf es nicht geben.“

Das Finanzministerium weist das aber zurück. „Die Prüfung des so genannten Konjunkturbereinigungsverfahren hat nichts mit Flexibilisierung oder insgesamt höheren Schulden zu tun, wie die Union insinuiert. Es geht lediglich darum, das bisher stark von veralteten statistischen Annahmen geprägte Verfahren zu modernisieren“, verlautete aus Lindners Ressort. „Im mehrjährigen Durchschnitt ergibt sich keinerlei höherer Verschuldungsspielraum.“

Könnte die Koalition eine Anpassung allein beschließen?

Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse steht nach dem Haushaltschaos beim Bund in der Kritik, weil sie nur einen bestimmten Spielraum zur Aufnahme von Krediten gibt. Für eine von SPD und Grünen geforderte größere Reform ist sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit nötig. Die FDP und weite Teile der Union stemmen sich dagegen. Für eine Anpassung der Konjunkturkomponente ist laut RND keine Grundgesetzänderung nötig. Es reiche die Mehrheit der Ampel-Koalition, weil dazu lediglich die Ausführungsgesetze der Schuldenbremse novelliert werden müssten.

Was spräche für eine größere Reform?

„Ich halte Investitionen in die Zukunft für absolut notwendig“, sagte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) der dpa. „Das können weder Berlin noch andere Bundesländer und auch nicht der Bund aus dem Haushalt stemmen.“ Bei Verkehrswegen, Brücken, Schulen, Polizei- oder Feuerwehrwachen sei der Investitions- und Sanierungsstau enorm, weil vieles auf Verschleiß gefahren worden sei. Zudem gehe es um Firmenansiedlungen gerade im Osten Deutschlands - und darum, diese Unternehmen zu halten. Hinzu kommen für Wegner enorme Herausforderungen etwa bei Klimaschutz oder beim Wohnungsbau.

Und was sagen die Gegner?

Zu ihnen zählt auch der CDU-Vorsitzende und Unionsfraktionschef Friedrich Merz, der Wegner wegen seiner Position bereits gerüffelt hatte. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Günther sieht das wie Merz. „Es wird nichts besser, wenn man Schulden um der Schulden willen macht und Lasten auf nachfolgende Generation verlagert“, sagte er der dpa. „Wir dürfen dauerhaft nicht mehr Geld ausgeben als wir einnehmen.“ Er ergänzte: „Ich halte die Schuldenbremse für richtig und auch das geltende Regelwerk.“

Warum ist die Diskussion entstanden?

Das Bundesverfassungsgericht hatte Mitte November nach einer Klage der Unionsfraktion die Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Etat 2021 in den Klima- und Transformationsfonds für nichtig erklärt. Außerdem entschieden die Richter, dass der Bund sich Notlagenkredite nicht für spätere Jahre zurücklegen darf. Damit waren Milliardenlöcher im Bundeshaushalt entstanden, über deren Finanzierung die Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP sich erst nach wochenlangem Streit in dieser Woche hatte einigen können. (dpa)