Nicht nur manch Gelehrter, sondern nun auch Kamala Harris nennt Donald Trump einen Faschisten. Dafür gibt es gute Gründe, sagt der Kölner Politologe Thomas Jäger.
Ein Faschist im Weißen Haus?„Es gibt nur zwei Dinge, die bei Trump nicht erfüllt sind“
„Nazi-Kundgebung“, „Trumps Hitler-Monat“ und „Faschist durch und durch“ – Es sind nur drei der vielen Formulierungen, die zuletzt Verwendung gefunden haben. Ob in der Presse, bei Weggefährten des früheren US-Präsidenten, Gelehrten oder bei Kontrahentin Kamala Harris – die Frage, ob Donald Trump ein lupenreiner Faschist ist, rückt nicht nur in den USA immer mehr in den Fokus. Die Antworten fallen dabei immer deutlicher aus – auch bei deutschen Professoren wie Thomas Jäger von der Universität zu Köln. Könnte nach der US-Wahl am 5. November also bald ein Faschist ins Weiße Haus einziehen?
Neu sind die Vorwürfe gegen Donald Trump keineswegs. Spätestens seit seiner ersten Amtszeit als US-Präsident wabert der Faschismus-Begriff rund um den populistischen Republikaner herum. Neu ist aber, wie weit sich die Debatte aus den Universitäten mittlerweile auf die große Bühne verschoben hat.
Donald Trump: Ein Faschist auf dem Weg ins Weiße Haus?
Der jüngste Grund dafür waren die Äußerungen des ehemaligen Stabschefs des Republikaners. Trump falle „unter die allgemeine Definition eines Faschisten“, hatte John Kelly kürzlich der „New York Times“ erklärt. Wenig später pflichtete Harris der Aussage schließlich öffentlich bei – ein Novum.
„Ja, das tue ich“, antwortete die Demokratin also auf die Frage, ob sie Trump für einen Faschisten halte. „Und ich glaube auch, dass den Menschen vertraut werden sollte, die ihn in dieser Sache am besten kennen“, fügte Harris an.
Für manchen amerikanischen Gelehrten stellt sich die Frage ohnehin nicht mehr. Timothy Snyder, Historiker an der Yale University, nennt Trumps Faschismus bereits seit langer Zeit beim Namen – und scheut auch Vergleiche mit Adolf Hitler nicht.
„Trump hatte gerade einen ziemlich hitlerhaften Monat“
„Trump hatte gerade einen ziemlich hitlerhaften Monat“, schrieb der Historiker Ende September in seinem Blog. „Trump und Vance führen einen faschistischen Wahlkampf“, so Snyders Urteil. Trumps Faschismus zeige sich nicht nur in den letzten Wochen, sondern bereits seit Jahren, erklärte der Historiker, der auch Vergleiche mit dem schlimmsten Faschisten der Weltgeschichte für legitim hält.
„Die gesamte Wahl findet inmitten einer großen Lüge statt. Hitler riet, eine so große Lüge zu erzählen, dass die eigenen Anhänger niemals glauben würden, dass man sie in einem solchen Ausmaß täuschen würde. Trump befolgte diesen Rat im November 2020“, erklärt Snyder und spielt damit auf die zentrale Lüge des Republikaners an, dass er die Wahl, die er verlor, eigentlich gewonnen habe.
Sturm auf das Kapitol als Wendepunkt
Bis heute erzählt Trump regelmäßig diese Unwahrheit, die schließlich in einer Zäsur mündete, als radikale und gewaltbereite Anhänger des Republikaners am 6. Januar 2021 zum Sturm auf das US-Kapitol ansetzten, wo Joe Biden als neuer US-Präsident bestätigt werden sollte. Die Szenen gingen um die Welt.
Der Sturm auf das Kapitol ist auch für Robert Paxton, einen der weltweit renommiertesten Faschismusforscher, ein entscheidender Einschnitt gewesen. Lange hatte Paxton davon abgesehen, Trump als Faschisten zu bezeichnen. Nach dem Sturm auf das Kapitol revidierte das Schwergewicht unter den US-Historikern seine Meinung.
„Das Etikett scheint jetzt nicht nur akzeptabel, sondern notwendig“
Drei Jahre später hat sich das nicht geändert, wie Paxton vor wenigen Tagen der „New York Times“ bestätigte. „Die Hinwendung zur Gewalt war so explizit, so offen und so absichtlich, dass man seine Meinung dazu ändern musste“, sagt der mittlerweile 92-jährige Historiker.
„Das Etikett scheint jetzt nicht nur akzeptabel, sondern notwendig“, erklärt Paxton. „Es brodelt auf sehr besorgniserregende Weise von unten herauf, und das ist dem ursprünglichen Faschismus sehr ähnlich. Das ist die Realität.“
Donald Trump und Wladimir Putin: Faschisten der Gegenwart
Während man sich in den USA längst nicht mehr scheut, Trump als Faschisten zu benennen, hört man in der deutschen Debatte davon nur wenig. Schnell ist von Verharmlosung des Faschismus die Rede, schnell heißt es, Trump sei ja kein Hitler. Es sind Reflexe, die es auch angesichts des russischen Faschismus gibt – auch hier scheut man die Bezeichnung international deutlich weniger, als das in Deutschland der Fall ist.
Vom „Ruschismus“ liest man hierzulande wenig. Wladimir Putin gilt vielen weiterhin mehr als Verbrecher denn als Faschist. Dabei erfüllt der vom Republikaner oft gelobte Kremlchef die allermeisten Faktoren, die Faschisten ausmachen. So wie Donald Trump auch.
„Es gibt nur zwei Dinge, die bei Trump nicht erfüllt sind“
„Im Prinzip gibt es nur zwei Dinge, die bei Trump nicht erfüllt sind“, erklärt der Kölner Professor für internationale Politik, Thomas Jäger, im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Zum lupenreinen Faschisten fehle dem Republikaner nur noch eine „voll ausgearbeitete, gegen die Moderne gerichtete Ideologie“, die in eine völkische Tradition – der zweite Faktor – gestellt werde. Bei Trump sei das so nicht der Fall, erklärt Jäger. Das mache den Ex-Präsidenten jedoch nicht weniger faschistisch, sondern sei der Lage in den USA geschuldet, so der Politologe.
„Im Gegensatz zu Putin hat Trump eine Massenbewegung“
Angesichts der Einwanderungsgeschichte des Landes sei es schließlich grundsätzlich schwierig, sich auf völkische Traditionen zu berufen. Zumal sich daraus nicht nur für Trump selbst, der Vorfahren in Deutschland und Schottland hat, sondern auch für prominente Unterstützer des Republikaners wie Tech-Milliardär Elon Musk, der aus Südafrika stammt, argumentative Schwierigkeiten ergeben würden.
Wenn man diese Umstände für die USA berücksichtige, müsse man die Frage, ob Trump ein Faschist ist, also „schlicht mit Ja beantworten“, erklärt Jäger. Der Republikaner habe zudem das, was Putin als einziger Faktor zum lehrbuchartigen Faschisten noch fehle: „Im Gegensatz zu Putin hat Trump eine Massenbewegung.“
Warum Kamala Harris Donald Trump jetzt Faschist nennt
Dass der Republikaner im Wahlkampf nun auch von Kamala Harris als Faschist benannt und als solcher von den Demokraten bekämpft wird, sei neu, aber nicht überraschend, sagt Jäger. „Harris übernimmt in der Schärfe der Sprache nur, was Trump die ganze Zeit bereits gemacht hat, wenn er von ihr als einer linksradikalen Kommunistin gesprochen hat.“ Ob das aus Sicht der Demokraten die richtige Strategie im Wahlkampfendspurt sei, bleibe jedoch schwer zu bewerten.
Möglicherweise sehe man im Harris-Lager nun vor allem die Aufgabe, die eigenen Wähler zu mobilisieren und die anderen zu demobilisieren, führt Jäger aus. „Es könnte also sein, dass es gar nicht so sehr darum geht, noch jemanden von Harris zu überzeugen, sondern darum, mögliche Trump-Wähler durch diese Kampagne davon abzuhalten, ihn zu wählen.“
Republikaner vor der Wahl: Parteibindung oder Ablehnung von Trump?
Schließlich hätten rund 20 Prozent der Republikaner bei den Vorwahlen für Nikki Haley gestimmt, weil sie Trump nicht wollten, erinnert der Professor für Internationale Politik von der Universität Köln an die Vorwahlen in Trumps Partei. Nun stelle sich die Frage, was bei dieser Wählergruppe stärker sei: „die Parteibindung oder die Ablehnung von Trump“.
Sollte es den Demokraten gelingen, diese Gruppe mit der klaren Benennung von Trumps Faschismus von der Wahl abzuhalten, könne daraus ein „kräftiger Schub für Harris“ resultieren, erklärt Jäger.
Donald Trumps treue Unterstützer: „Die überzeugt man nicht“
Auf einen Sinneswandel bei glühenden Trump-Unterstützern brauche man angesichts der Faschismus-Vorwürfe aber nicht spekulieren – ganz egal, ob die Warnungen von renommierten Gelehrten oder von Harris kommen. „Diese grundlegende ‚Wir gegen die anderen‘-Spaltung ist ja selbst ein Zeichen faschistischer Bewegungen“, sagt der Politologe. „Trump hat seine Anhänger in einer Echokammer gefangen. Da kann passieren, was will.“
Trump habe schlussendlich sogar mit seiner Jahre alten Behauptung recht behalten, dass er mitten in Manhattan jemand ohne große Folgen erschießen könnte. „Wir haben damals den Kopf geschüttelt“, erinnert sich Jäger. „Heute muss man sagen, es stimmt, genau das geht“, erklärt der Professor und verweist auf die zahlreichen Prozesse, die der Republikaner bisher politisch unbeschadet überstanden hat. „Die typischen Trump-Anhänger überzeugt man nicht.“
Donald Trumps vielsagende Reaktion
Und Trump selbst? Der Republikaner reagiert auf die Faschismus-Vorwürfe so, wie man es von ihm kennt. „Ich bin das Gegenteil eines Nazis“, behauptete der 78-Jährige in dieser Woche, nachdem seine Kundgebung in New York mitunter als „Nazi-Veranstaltung“ tituliert worden war. Die wahre Faschistin sei Harris, lautete Trumps Konter. Es war eine so erwartbare wie vielsagende Reaktion.
Auch da hat Trump einiges mit dem anderen prominenten Faschisten der Gegenwart, Wladimir Putin, gemeinsam. Der Kremlchef rechtfertigt seinen Vernichtungskrieg schließlich ebenfalls mit dem vorgeblichen Kampf gegen ein herbei fantasiertes „Nazi-Regime“ in Kiew.
Neu ist diese Strategie unter Faschisten nicht, wie ein altes Zitat zeigt, das dem italienischen Schriftsteller Ignazio Silone zugeschrieben wird: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‚Ich bin der Faschismus.‘ Nein, er wird sagen: ‚Ich bin der Antifaschismus‘.“ Ganz genau wie nun Wladimir Putin und Donald Trump.