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Bericht des VerfassungsschutzWie die Pandemie radikale Netzwerke in NRW wachsen ließ

Lesezeit 5 Minuten
Corona Rebellen

Demonstranten, auch der Gruppe „Corona Rebellen Düsseldorf“, bei einer Querdenken-Demo im November 2020.

Düsseldorf – Es die Mischung aus Verwirrtheit und Entschlossenheit, die Menschen wie Nikolay C. so gefährlich machen. Er bereite sich darauf vor, „in den Krieg zu ziehen“, schreibt der 35-Jährige am 8. Mai vergangenen Jahres, bevor er einen Tag später in einem Troisdorfer Supermarkt auf Polizisten einprügelt. Die Beamten hatten den Corona-Leugner aufgefordert, eine Maske anzuziehen. Der aber erkennt die Staatsmacht nicht an. Er habe „universelle Regeln“, richte sich nicht nach den Vorschriften „von Merkel“, so C. Menschen, die die Corona-Vorschriften beachten, seien „Marionetten“, denen bald schon ein „Chip von Bill Gates“ verpasst werde.Dies ist Unterlagen zu entnehmen, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegen. Die „Argumente“, mit denen C. begründen will, wieso die hiesigen Gesetze für ihn nicht gelten sollen, sind abstrus. Er beruft sich beispielsweise auf seine „Immunität aus der Autoritätsstruktur der Erde“, er sei „eine lebende Proklamation der Unabhängigkeit für die ewige Seele“.

Staatsanwaltschaft geht von Hinterhalt aus

Die Bonner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Aktion im Supermarkt ein Hinterhalt war. Die Auseinandersetzung sei provoziert worden, um später Video-Aufnahmen in „sinnentstellender und kompromittierender Weise“ zu veröffentlichen. So nutzten nach dem Übergriff sogar russische Blogger den Supermarkt-Clip, um auf der Internet-Plattform Youtube gegen angebliche Polizeigewalt und die Corona-Auflagen zu hetzen.

Die Schlägerei, für die sich Nikolay C. und zwei Verbündete von Donnerstag an vor dem Bonner Landgericht verantworten müssen, sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Der Angriff gehört sicher auch zu den Ereignissen, die Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul meint, wenn er am Dienstag bei der Vorstellung des NRW-Verfassungsschutzberichtes sagt: „Da braut sich was zusammen.“

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Studien belegen, dass in Deutschland schon vor der Pandemie Wertemilieus bestanden, die vom Staat enttäuscht waren und eine Anfälligkeit für populistische und radikale Botschaften aufwiesen. Zu diesem Ergebnis kommt ein „Corona-Lagebild“ des NRW-Verfassungsschutzes. Auch die größere Reichweite und Vernetzungsoptionen der Querdenker hätten sich nachhaltig auf die Prozesse öffentlicher Meinungsbildung eingewirkt. Die wesentliche Kommunikation finde über Messenger-Dienste wie Telegramm statt.

In Nordrhein-Westfalen rechnen die Verfassungsschützer den Netzwerken „Querdenken“ und „Corona-Rebellen“ den größten Einfluss zu. Ersteres wurde im April 2020 unter dem Namen „Querdenken– 711“ in Stuttgart gegründet. Die Gruppe verfügt über zahlreiche Ableger, die jeweils mit der telefonischen Vorwahl der Stadt gekennzeichnet sind. In Nordrhein-Westfalen gibt es 25 solcher Ableger.

„Corona-Rebellen“ im Visier

Auch die „Corona-Rebellen“ mit Schwerpunkt in Düsseldorf haben sich als „eine treibende Kraft in nordrhein-westfälischen Szene herauskristallisiert“, heißt es im Lagebild. Die Gruppierung initiiere und organisiere Proteste und dokumentieren die Ereignisse. Sie bemühe sich, „einen Event-Charakter zu entwickeln“ und die Bewegung zu emotionalisieren. „Die Menschen sollen inspiriert und mitgerissen werden“, heißt es im Bericht.

Neben den „Corona-Rebellen Düsseldorf“ existierte noch eine Ausgliederung in Recklinghausen. Außerdem gebe es „ein Netzwerk lose verbundener Kanäle im Internet“. Diese würden aber nur unregelmäßig gepflegt, schreiben die Verfassungsschützer, die sich bei der Analyse der Bewegung auch intensiv mit den Verschwörungstheorien in der Szene auseinandergesetzt hat. Diese werden in den sozialen Netzwerken in unterschiedlichen Abwandlungen verbreitet – eine verrückter als die andere.

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Beispielsweise um den „großen Umbruch“ realisieren zu können, wolle der Staat unter dem Deckmantel der Pandemie seine eigene Bevölkerung dezimieren, wird im NRW-Lagebild eine der Verschwörungsfantasien beschrieben. Das Ziel sei demnach der „Einheitsmensch“, der für die „Eliten“ einfacher zu kontrollieren sei.

In einem vom Verfassungsschutz ausgewerteten Telegram-Chat heißt es: „Sie planen, die Weltbevölkerung mit dem Impfgift von 7 auf 0,5 Milliarden zu reduzieren. Es soll laut Gates & Co nur jeder 14. überleben. Und die sollen dann nichts besitzen. Und glücklich sein, den Weltholocaust von Gates überstanden zu haben. In Deutschland würden knapp 6 Mio. von 82 übrigbleiben. Und »dank« Migrationspackt soll dann mit Afrikanern und Afghanen aufgefüllt werden.“

Bekannte Ideologien

Die Pandemie sei das Werk einer elitären Verschwörung, die die Weltherrschaft anstrebe, lautet einer andere These. In einem von den Behörden mitgelesenen Telegram-Chat heißt es: „Circa alle 70 Jahre bricht das Zins-Schuldgeldsystem zusammen, deshalb will die Finanzmafia jetzt den „Great Reset“ bzw. die „Neue Weltordnung“. Die Pandemie ist dabei auch lukrativ für Big-Pharma, aber dient vorrangig zur Ablenkung der Bürger.“

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In einem anderen Chat wird andersdenkenden Menschen mit der Todesstrafe gedroht: „Das ganze Regime und seine Speichellecker vor ein Volksgericht.“ Angebliche „Volksfeinde“ werden auch namentlich bedroht: „In Düsseldorf geht es diesem Polizeihauptkommissar xxx an den Kragen. Und mit dieser Richterin xxx werden wir auch noch fertig.“ Und es wird offen zum Sturz des Systems aufgerufen: „Deutschland muss leben und Merkels BRD verrecken. Beseitigen wir diesen Unrechtsstaat!“

Nähe der Corona-Leugner zum Rechtsextremismus deutlich

In solchen Äußerungen wird die Nähe der Corona-Leugner zum Rechtsextremismus besonders deutlich. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass Verschwörungsideologien sich während der Pandemie verfestigt haben und eine dauerhafte gesellschaftliche Auseinandersetzung erfordern“, sagt Verena Schäffer, Fraktionschefin in der Grünen im Landtag. Ihre Partei fordert jetzt eine Beratungsstruktur, die Angehörige im Umgang mit Verwandten und Bekannten unterstützt, die an Verschwörungsideologien glauben.

„Wir müssen versuchen, unter anderem über solche persönlichen Kontakte diejenigen zu erreichen, die immer mehr ins Verschwörungsideologische abdriften, deren Weltbild aber noch nicht verfestigt ist“, so Schäffer.

Der Rechtswissenschaftler und Kriminologe Christina Pfeiffer glaubt indessen nicht, dass es sich bei den Querdenkern um ein nachhaltiges Phänomen handelt: „Ich wage die Prognose, dass die Querdenker-Bewegung in dem Maße an Bedeutung verliert, in dem die Pandemie abebbt“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der Staat werde Vertrauen zurück gewinnen, wenn die coronabedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens keine Rolle mehr spielten.