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Kommentar

Kolumne
Warum „Klimakleber“ nicht automatisch straffrei bleiben

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
06.01.2023
Köln:
Klimakleber auf der Pipinstr in beiden Richtungen
Foto: Martina Goyert

„Klimakleber“ im Januar 2023 auf der Pipinstraße in Köln

Klimaaktivisten handelten im Allgemeininteresse, wird oft argumentiert. Aus juristischer Sicht ist dies nicht haltbar.

Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren darüber diskutiert, ob die Bestrafung bestimmter Protestformen, mit denen sich vor allem junge Menschen für den Fortbestand des Planeten einsetzen, nicht neben der Sache liege; ob das Strafrecht in genau solchen Fällen nicht zu schweigen habe. Schließlich machen die Aktivisten auf ein besonders wichtiges Anliegen aufmerksam. Und sie haben auch einen Punkt, wenn sie meinen, dass auf globaler Ebene zu wenig gegen den Klimawandel getan wird.

Das Pariser Übereinkommen ist weit davon entfernt, effektiven Klimaschutz zu garantieren. Selbst wenn nämlich die bislang abgegebenen nationalen Selbstverpflichtungen zu einhundert Prozent erfüllt werden, sind sie nicht ausreichend, um die notwendigen Emissionsreduktionen zu erreichen – zumal viele Staaten nicht einmal ihren mitunter deutlich zu schwachen Selbstverpflichtungen nachkommen.

Das Pariser Übereinkommen ist ein stumpfes Schwert im Kampf gegen den Klimawandel. Es beruht auf Freiwilligkeit und enthält keine Sanktionsmechanismen.

Die internationale Klimapolitik hat sich in eine Sackgasse bewegt. Warum also nicht darauf aufmerksam machen? Und warum nicht durch Straftaten – denn eines steht fest: Durch die gezielte Verletzung des Rechts erhalten Klimaproteste eine besondere Aufmerksamkeit. So wird seit Beginn der Proteste von verschiedenen Seiten wiederholt gefordert, Klimaaktivisten für ihre Taten nicht zu bestrafen.

Sind Klimaproteste im Allgemeininteresse?

Im Wesentlichen lautet die Argumentation dafür immer gleich: Die Klimaproteste stünden im Allgemeininteresse, sie machten auf ein Anliegen aufmerksam, das alle betreffe, das von höchster Bedeutung sei und zu dem sich die Bundesregierung ohnehin bereits im Pariser Übereinkommen völkerrechtlich verpflichtet habe.

Aus juristischer Perspektive sind diese Argumente weder neu noch originell. Schließlich beschäftigt die Strafbarkeit von Protestaktionen die Gerichte nicht erst seit der „Letzten Generation“. Angesichts der Vehemenz und Häufigkeit, mit der mittlerweile dafür gestritten wird, Klimaproteste von Strafe auszunehmen, lohnt es dennoch, einmal mehr an die durch höchste deutsche Gerichte herausgearbeiteten Grundsätze im Umgang mit „zivilem Ungehorsam“ zu erinnern.

Klimaproteste können Nötigung sein

Im Vordergrund stehen zwei Einsichten: Erstens sind Klimaproteste nicht pauschal „gewaltfrei“. Rechtlich handelt es sich beispielsweise dann um Gewalt, wenn Menschen sich auf der Fahrbahn festkleben, dadurch herannahende Pkw zum Halten veranlassen, die dann wiederum den Nachkommenden ein unüberwindliches physisches Hindernis bieten. Hierin liegt eine strafbare Nötigung. Kommen Menschen zu Schaden, ist außerdem an weitere Straftatbestände wie Körperverletzungsdelikte zu denken.

Hieran ändert – zweitens – selbst eine als noch so wünschenswert empfundene Gesinnung oder Motivlage des Protestierenden nichts. Der Bundesgerichtshof hat hierfür eine nach wie vor überzeugende Begründung geliefert: Die Ziele des Täters können die Strafbarkeit wegen Nötigung nicht aufheben, weil „die Beurteilung, ob die Täter sich in billigenswerter Weise für die Lösung einer die Öffentlichkeit wesentlich interessierenden Frage eingesetzt haben (…), damit letztlich (…) von der nicht kalkulierbaren politischen Einstellung des zuständigen Richters zu der im Einzelfall erhobenen Forderung“ abhinge.

Es liegt nahe, dass man immer dann geneigt ist, lohnenswerte Ziele zu unterstellen, wenn man selbst mit diesen sympathisiert.

Das Strafrecht darf nicht politisiert werden

Gerade eine solche Politisierung – insbesondere des Strafrechts – ist aber unbedingt zu vermeiden. Sie führt nicht zuletzt dazu, dass innergesellschaftliche Gräben zementiert oder sogar vertieft werden, indem sich die Rechtsprechung zu einem Spieler auf dem Feld der Politik erhebt. Ein Beispiel: Sind es nicht gerade Reichsbürger oder „rechtsautoritäre“ Strömungen, die besonders häufig in ihren Protesten die Verletzung von Grundrechten, deren Wahrung zweifelsohne im Allgemeininteresse steht, behaupten?

Im Recht sind sachlich gleich gelagerte Sachverhalte gleich zu behandeln – wer daher für Klimaproteste eine strafrechtliche Ausnahmeregelung fordert, sollte sich der alles andere als unproblematischen Reichweite seiner Argumentation bewusst sein.