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Neun Ideen werden diskutiertWas wird aus den Bürger-Empfehlungen zur Ernährung?

Lesezeit 4 Minuten
Zwei Personen schneiden Gemüse auf einem Schneidebrett.

Verbraucherschützer fordern mehrere Empfehlungen des Bürgerrats umzusetzen.

Klarheit beim Lebensmittelkauf und gesünderes Essen: Dazu liegen jetzt Ideen beim Parlament, die nicht von Experten oder Verbänden stammen.

Gratis-Mittagessen für alle Kinder, neue Kennzeichnungen für Lebensmittel, Energydrinks erst ab 16 Jahren: Der Bundestag hat am Donnerstag kontrovers über Empfehlungen seines ersten Bürgerrats zur Ernährung debattiert, die auch auf Änderungen bei der Mehrwertsteuer zielen.

Verbraucherschützer fordern, mehrere Vorschläge umzusetzen. In der Ampel-Koalition wurden aber Differenzen deutlich. Zu den insgesamt neun Empfehlungen der zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürger sollen nun zunächst Ausschussberatungen folgen.

Matthias Miersch, SPD-Fraktionsvize: „Ganz wertvolle Impulse“

SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sagte, der Bürgerrat habe „ganz wertvolle Impulse“ gesetzt. Der Vorschlag zu kostenlosen Mittagessen für alle Kinder in Bildungseinrichtungen sei ein Punkt, der auch mit Gerechtigkeit zu tun habe. Er wandte sich gegen den Einwand, dass Länder und Kommunen fürs Thema zuständig seien. „Was spricht denn dagegen, dass der Bundeskanzler bei der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz dieses Thema mal auf die Tagesordnung setzt?“

FDP-Experte Gero Hocker sagte, dass einige Vorschläge einem „Wünsch-Dir-Was“ entsprächen. Es wäre unfair, wenn Kinderlose mit ihren Steuern kostenlose Mittagessen auch für Kinder von Eltern zahlten, die Anwälte oder Ärzte seien.

Kostenloses Mittagessen für den Bürgerrat oberste Priorität

Das Essensangebot ist der Vorschlag mit der obersten Priorität in einem „Bürgergutachten“ mit insgesamt neun Empfehlungen, das der Bürgerrat im Februar vorgelegt hatte. Demnach sollte es in allen Kitas und Schulen ein kostenfreies Mittagessen geben - nicht nur für Kinder aus ärmeren Familien.

Umgesetzt werden sollte es innerhalb von acht Jahren, beginnend bei Kitas und mindestens zur Hälfte finanziert vom Bund. Mit gefördert werden sollte dabei, dass ein Drittel der eingesetzten Lebensmittel Bio sind. Zur Finanzierung könnte Geld aus anderen Programmen oder für Kindergelderhöhungen umgewidmet werden.

Auch andere Vorschläge könnten nun noch einmal neuen Schwung bekommen. Die Verbraucherzentralen riefen die Bundestagsabgeordneten direkt auf, „die guten Ideen des Bürgerrats“ angehen. Dazu gehöre eine zweckgebundene Tierwohlabgabe, um den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren, sagte Verbandschefin Ramona Pop. Der Geschäftsführer der Organisation Foodwatch, Chris Methmann sagte, die Bundesregierung müsse die vielen sinnvollen Vorschläge des Bürgerrats jetzt umsetzen: „Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse runter, Energydrinks nur noch ab 16.“ Peter Felser (AfD) begrüßte Empfehlungen für ausgewogene Ernährung in Kliniken und Pflegeheimen.

Sind Bürgerräte prinzipiell sinnvoll?

Diskutiert wurde auch über die grundsätzliche Rolle des Rats. Die 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden. Dabei sollte mit bestimmten Kriterien auch eine „ausgewogene Beteiligung“ etwa nach Alter, Geschlecht, regionaler Herkunft und Bildungshintergrund gewährleistet werden - auch beim Anteil von Vegetariern.

Der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor machte Kritik am Vorgehen der Ampel-Koalition zur Einsetzung des Rats durch den Bundestag deutlich. Er warnte vor einer Auslagerung von Verantwortung an Kommissionen und „herbeiquotierte Räte“ zulasten des Parlaments.

Ob aus Bürgerideen tatsächlich konkrete Vorhaben werden, muss sich jetzt zeigen. Bindend für das Parlament sind sie nicht. Teils spielen sich auch in Streitthemen hinein, die ohnehin in der Koalition schwelen. Grünen-Fachpolitikerin Renate Künast sagte zu den Vorschlägen: „Wir sind verpflichtet, das ernsthaft zu prüfen.“ Auch der Vorsitzende des federführenden Ernährungsausschusses, Hermann Färber (CDU), sagte, es sei nötig, die Ergebnisse ernst zu nehmen. Man dürfe sich nicht darauf beschränken, nur zu sagen, warum, was nicht gehe.

Das waren die weiteren Empfehlungen

- Kennzeichnung: Um bewusstes Einkaufen leichter zu machen, sollte ein neues Label möglichst verpflichtend kommen. Jeweils einzeln berücksichtigt werden sollten die Aspekte Klimaschutz, Tierwohl und Gesundheit etwa mit dem Gehalt an Zucker, Fett und Salz.

- Lebensmittelverschwendung: Supermärkte ab 400 Quadratmetern Verkaufsfläche sollten verpflichtet werden, noch genießbare Produkte, die sonst in den Müll kommen, an Organisationen wie Tafeln weiterzugeben. Andernfalls sollen ihnen Geldstrafen drohen.

- Tierhaltung: Ein „Tierwohllabel“ sollte für Fleisch aller Tierarten Pflicht werden und Geburt, Aufzucht, Haltung, Transport und Schlachtung abbilden. Zu allen Stationen wäre auch das Bundesland anzugeben. Dies geht über ein schon beschlossenes Tierhaltungslogo hinaus.

- Steuern: Wegfallen sollte die Mehrwertsteuer für Obst und Gemüse aus der EU in Bio-Qualität, für Hülsenfrüchte wie Erbsen, Nüsse, Vollkorngetreide und Mineralwasser. Zucker sollte nicht mehr als Grundnahrungsmittel gelten und voll mit 19 Prozent besteuert werden.

- Gemeinschaftsverpflegung: In Krankenhäusern, Rehakliniken und Pflegeeinrichtungen sollte es eine ausgewogene Ernährung geben. So sollten alle Pflegeheime verpflichtet werden, sich mindestens an Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu halten.

- Tierwohlabgabe: Für tierische Produkte sollte eine zweckgebundene „Verbrauchsabgabe“ kommen, um den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren - darüber wird seit Jahren diskutiert. Gelten solle: Je besser die Tierhaltung, desto höher die Prämie für die Bauern.

- Jugendliche: Für den Kauf von Energydrinks sollte eine Altersgrenze von mindestens 16 Jahren kommen. Auf der Packung sollten farblich klar abgehobene Warnhinweise stehen, die auf gesundheitliche Risiken von Inhaltsstoffen wie Koffein oder Taurin aufmerksam machen.

- Überwachung: Für Lebensmittelkontrollen sollte mehr Personal verfügbar sein, auch durch bessere Arbeitsbedingungen. Ergebnisse von Kontrollen vom Acker bis zum Teller sollten der Öffentlichkeit als Aushang gut sichtbar zur Verfügung gestellt werden. (dpa)