Köln – Armin Laschet haben die Balkendiagramme, die die völlig unterschiedlich hohen Inzidenzwerten in den Stadtteilen von Köln zeigen, tief beeindruckt. „Daran kann man erkennen, wo unsere Schwierigkeiten sind“, sagte der Ministerpräsident von NRW in seiner Unterrichtung über die aktuelle Corona-Lage im Düsseldorfer Landtag. Da, wo Menschen in beengten Wohnverhältnissen leben würden, sie die Infektionsgefahr deutlich größer als in Stadtteilen mit großzügig angelegten Einfamilienhäusern. Das Infektionsrisiko sei also auch „eine soziale Frage“. Es dürfe „nicht von der Postleitzahl abhängen, wo die Inzidenzen hoch sind“, sagte Laschet.
Die Beobachtung, dass es in sozial benachteiligten Stadtteilen besonders hohe Ansteckungsraten gibt, teilen fast alle größeren Städte von NRW. In Düsseldorf liegen mit Lichtenbroich und Hasselt zwei Stadtteil an der Spitze, die einen hohen Migrantenanteile aufweisen. In Bonn ist der Norden mit dem sozialen Brennpunkt Tannenbusch besonders betroffen. In Essen soll jeder zweite, der mit dem Coronavirus infiziert ist, laut Gesundheitsamt einen Migrationshintergrund haben. „Köln-Chorweiler hat eine Inzidenz von 500, Köln-Hahnwald Inzidenz null “, stellte Laschet fest.
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Deshalb müsse dort, wo die Menschen enger zusammenleben würden, ein besonderer Schwerpunkt der Impfkampagne gesetzt werden. Menschen mit einer anderen kulturellen Erfahrung solle dabei die Skepsis gegen über der Impfung genommen werden. Eine Sprecherin der Stadt Essen erklärte, in der syrischen und arabischen Community seien Impfmythen im Umlauf, etwa die Angst vor einer angeblichen Unfruchtbarkeit.
Heinen-Esser gegen Aufgaben der RKI-Reihenfolge
Umstritten ist, unter welchen Rahmenbedingungen die Sonderaktionen in den Stadtteilen mit hoher Inzidenz genau stattfinden sollen. Ein Sprecher der Stadt Köln sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, man sei derzeit in Gesprächen mit der Landesregierung. Diese müsse eine Genehmigung erteilen, da „man ja von der vorgegebenen Impfreihenfolge abweichen würde“. In den Kölner Brennpunkten würden also auch die Menschen geschützt, die eigentlich noch nicht an der Reihe wären. Eine Bevorzugung, die nicht auf ungeteilte Zustimmung trifft.
Ursula Heinen-Esser, NRW-Umweltministerin und CDU-Politikerin aus Köln, spricht sich gegen die Pläne ihrer Heimatstadt aus. „Es ist richtig, mit mobilen Impfteams in die Stadtteile zu gehen, in denen es hohe Zahlen Corona-Infizierter gibt, aber gleichzeitig vielleicht auch weniger Haus- und Fachärzte“, sagte Heinen-Esser unserer Zeitung. Die Impfreihenfolge müsse dort aber „genauso wie überall“ eingehalten werden: „Sonst kann schnell der Eindruck ungerechter Behandlung entstehen“, so die Umweltministerin.
Grüne wollen Steuerung nicht komplett aufgeben
Auch Felix Bansaszak, Landeschef der Grünen, sprach sich gegen einen Wegfall der RKI-Reihenfolge aus. Man sei jetzt an einem Punkt angelangt, an dem die vulnerablen Gruppen größtenteils versorgt seien und die bisherige Priorisierung wegen der die Zunahme an verfügbarem Impfstoff absehbar fallen werde. „Es wäre vor diesem Hintergrund aber politisch extrem kurzsichtig, die Steuerung komplett aufzugeben“, sagte der Politiker aus Duisburg unserer Zeitung.
Es ist grundsätzlich richtig, gezielt in Brennpunktviertel zu gehen und dort mobile, mehrsprachig ausgerichtete Impfangebote zu machen. „Ziel von Politik muss immer sein, diejenigen besser zu schützen, die sich aus vielerlei Gründen selbst nur schlecht schützen können", sagte Banaszak. Es seien „insbesondere Geringverdiener, für die in ihren Jobs - ob an der Kasse, bei Lieferdiensten oder in Großbetrieben - kontaktarmes Arbeiten unmöglich ist“.
FDP will Geduld der Jugendlichen nicht überstrapazieren
Thomas Kutschaty, Chef der SPD im Düsseldorfer Landtag, sieht das ähnlich: „Corona ist vor allem ein Problem derer, die ohnehin schon viele Probleme haben, in engen, dicht besiedelten Stadtteilen wohnen.“ Christof Rasche, Fraktionsvorsitzender der FDP, erklärte: „Wir müssen bei der Pandemiebekämpfung auch die Gerechtigkeit zwischen Generationen und Gruppen im Blick behalten. Gerade Jugendliche egal wo sie leben, haben viel zurück gesteckt und leiden extrem unter den Kontaktbeschränkungen. Deren Geduld darf die Politik nicht überstrapazieren.“
Das NRW-Gesundheitsministerium hat noch keine Entscheidung über den Kölner Impfvorstoß getroffen. Der Zusammenhang von sozioökonomischem Status und Gesundheit sei seit langem bekannt, sagte ein Sprecherin auf Anfrage: „Ökonomisch schwächere Bezirke weisen tendenziell auch höhere Inzidenzwerte auf. Menschen mit niedrigem beziehungsweise geringerem sozioökonomischen Status leiden in der Regel häufiger unter Vorerkrankungen, die mit einem besonderen Risiko für einen schweren Verlauf einer Infektion verbunden sind“, hieß es. Wesentlich sei der dabei der sozioökonomische Status, nicht in erster Linie der Migrationshintergrund.
„Klar ist aber auch, dass Menschen, die nicht gut deutsch verstehen, nicht uneingeschränkt von den zahlreichen Informationsmaßnahmen profitieren“, so die Sprecherin. Für eine Aufhebung der Priorisierung bei der Impfreihenfolge sei es „zum jetzigen Zeitpunkt noch zu früh“. Es seien sind aber noch mehr Anstrengungen als bislang erforderlich, um die Menschen aus ökonomisch schwächerein Bezirken zu erreichen.