Statt versprochenen „Politikwechsel“ befürchten Unionspolitiker ein Weiter-So. Der Druck auf CDU-Chef Merz steigt.
„Viele sind verärgert“Wie Friedrich Merz seine eigene Partei gegen sich aufbringt

Friedrich Merz gibt vor Beginn der Fortsetzung der Koalitionsverhandlungen von Union und SPD ein Statement. (Archivfoto)
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Der Dienstagabend könnte für CDU-Chef Friedrich Merz unangenehm werden. Dann findet in Berlin der Jahresempfang der Jungen Union statt. Die Nachwuchspolitikerinnen und -Politiker von CDU und CSU gehörten vor nicht allzu langer Zeit zu den wichtigsten Unterstützern von Friedrich Merz.
Nun sind sie seine größten Kritiker.
JU-Bundesvorsitzender Johannes Winkel drohte gar mit einem Nein zur Koalition, falls der von Merz versprochene „Politikwechsel“ nicht kommt. „Alles andere entspräche ja dem Motto ‚Macht als Selbstzweck’“, sagte Winkel der „Süddeutschen Zeitung“. „Eine Regierung mit CDU-Kanzler, aber SPD-Inhalten wäre doch erst recht ein Konjunkturprogramm für die AfD.“
Ärger über Sondervermögen - und über Merz‘ Erwartungsmanagement
Winkel steht an der Spitze derer in der Partei, die ihren Augen nicht trauen. Das sind diejenigen, die mit den bisher zwischen Union und SPD vereinbarten Maßnahmen hadern. Vor allem das Sondervermögen Infrastruktur stößt auf Kritik. Es gibt auch die Befürchtung, dass sich die Union in den Verhandlungen mit der SPD in der Migrations- und Wirtschaftspolitik über den Tisch ziehen lasse. Und andere ärgern sich über Merz schlechtes Erwartungsmanagement, der seine Anhänger auf den Baum gebracht habe und jetzt nicht mehr herunterbekomme.
Für Unionskanzlerkandidat Merz bedeutet der JU-Aufstand eine Zäsur. Zwar galt der heutige JU-Chef, der zuvor die Junge Union Nordrhein-Westfalen führte, nie als Merz-Fan. Im Stil steht er eher NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst nahe. Doch der konservative Parteinachwuchs insgesamt hatte Merz bei den letzten Kandidaturen für den Parteivorsitz unterstützt.

Johannes Winkel, Bundesvorsitzender der Jungen Union, hält eine Rede beim Bundesausschuss der CDU, Friedrich Merz hört zu. (Archivfoto)
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Diesen Teil seiner Machtbasis droht der CDU-Chef verlieren. Die CDU sei kein Kanzlerwahlverein, warnte Winkel. Für Merz ist das ein Risiko, zumal die jungen Abgeordneten in der Unionsfraktion quasi eine Sperrminorität haben. So gehören 18 der 208 Abgeordneten der Jungen Gruppe an. Schwarz-Rot zählen zusammen 328 Abgeordnete - also eine 13-Stimmen-Mehrheit über den Durst. Falls sich die jungen Politikerinnen und Politiker zusammenschließen, könnten sie jedes Gesetzesvorhaben blockieren.
Die Jungen sind nicht die einzigen in der Bundestagsfraktion und in den Parteigremien, die das Vorgehen von Merz kritisch sehen. Dass das Adenauerhaus die für Montagmorgen anberaumten Gremiensitzungen abgesagt hatte, verärgerte einige im Bundesvorstand, die sich ohnehin nicht gut informiert fühlen oder die Kommunikation kritisieren. Bereits in der letzten Vorstandssitzung hatte Rheinland-Pfalz’ CDU-Chef Gordon Schnieder nach Informationen des RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) die schlechte Kommunikation des Adenauerhauses beklagt. In der Öffentlichkeit sehe es so aus, als ob sich die SPD durchgesetzt habe, heißt es in der Union.
Angespannte Stimmung an der Basis
So dürfte es auch zur angespannten Stimmung an der Basis kommen. Die Telefone, so erzählen es Abgeordnete hinter vorgehaltener Hand, stünden nicht still. Es kämen viele E-Mails und Anrufe von wütenden Wählerinnen und Wähler rein. Es komme auch zu Parteiaustritten, dabei handele es sich aber nicht um langjährige Mitglieder, heißt es. „In unserer Partei sind viele sehr verärgert“, berichtet Kevin Gniosdorz, Landesvorsitzender der NRW-JU, am Telefon. „Das Problem ist: Viele Maßnahmen sind noch unklar, der einzige wirklich konkrete Punkt ist das Sondervermögen - und das widerspricht dem CDU-Markenkern“, sagt der CDU-Mann aus dem Paderborner Kreisverband, in dem auch Generalsekretär Carsten Linnemann Mitglied ist.
Die Stimmung spiegelt sich in den Umfragen wider: So sind die Unionsparteien zuletzt gesunken, die AfD ist gestiegen. CDU und CSU kommen im ARD-Deutschlandtrend gemeinsam nur noch auf 26 Prozent. Sie fallen damit auf den tiefsten Wert seit Oktober 2022. Die AfD erreicht mit 24 Prozent einen Höchststand. Beim Institut Insa sind die Schwesterparteien und die AfD gar gleich auf. Intern macht man sich keine Illusionen, dass dies an der Schuldenwende liege, nachdem die Ampel für die Verdopplung der AfD-Werte in den vergangenen Jahren verantwortlich sei.
Bundesvorstandsmitglied Steiniger mahnt zur Ruhe
CDU-Bundesvorstandsmitglied Johannes Steiniger mahnt seine Parteikollegen im Gespräch mit dem RND gleichwohl zur Ruhe: „Die Umfragewerte der Union werden wieder wachsen, wenn wir ins Regieren kommen“, sagt der Generalsekretär der CDU Rheinland-Pfalz. „Union und SPD verhandeln erst seit wenigen Wochen, diese Beratungen für einen Politikwechsel brauchen Zeit. Es kommt auch auf uns Abgeordnete an, wieder etwas Ruhe hereinzubringen, wenn wir in den Wahlkreisen sind.“
Dennoch erhöht die angespannte Lage den Druck auf die Verhandler, aus Unionssicht überzeugende Inhalte zu präsentieren. CDU/CSU-Parlamentsgeschäftsführer Torsten Frei zeigte sich „sehr zuversichtlich“, dass Union und SPD diese Woche zu einem Ergebnis kommen. Christdemokrat Gniosdorz fordert Zugeständnisse der SPD: „Der Ball liegt bei Friedrich Merz, er muss nun in Sachen Migration und Wirtschaft liefern. Wenn nicht, wird sich die Stimmung nicht verbessern. Und auch die SPD muss ein Interesse an einer Migrations- und Wirtschaftswende haben.“
Nach RND-Informationen wird intern spätestens der kommende Freitag für den Abschluss der Koalitionsverhandlungen angepeilt. Dann könnte der SPD-Mitgliederentscheid beginnen. Die Kanzlerwahl könnte Anfang Mai folgen. (rnd)