Düsseldorf – Armin Laschet wirkt müde und ausgepumpt, sein Blick ist leer wie der eines Boxers, der Mitte der zwölften Runde nach Punkten aussichtslos zurückliegt. Doch noch steht er im Ring, noch kämpft er.
Noch will er nicht einfach so aufgeben nach der historischen, demütigenden Niederlage der Union bei der Bundestagswahl. Immer noch der „Rocky Balboa“ der Politik eben.
Armin Laschet sieht noch Chance für ein Jamaika-Bündnis
Doch weiß er nach dem beispiellosen Absturz, nach der dramatischsten Woche seiner politischen Karriere überhaupt noch, wofür er kämpft? Tapfer beteuert der CDU-Chef, er sehe immer noch eine Chance für ein Jamaika-Bündnis aus Union, Grünen und FDP. Am Sonntag will Laschet gemeinsam mit CSU-Chef Markus Söder mit der FDP sprechen, am Dienstag dann mit den Grünen.
So mancher in der Union ist überrascht darüber, wie der Aachener es überhaupt geschafft hat, die Woche nach dem größtmöglichen Wahldebakel noch auf dem Fahrersitz zu überstehen. Laschet hält sich über Wasser – und hofft auf die einzige Chance, die ihm noch bleibt: ein Scheitern der Ampel-Verhandlungen von SPD, Grünen und FDP.
Irgendwie muss er doch noch Kanzler werden, sonst ist seine politische Karriere beendet. Was für eine irrwitzige Konstellation. Wie konnte es soweit kommen, dass ein erfolgreich regierender NRW-Ministerpräsident so kurz vor der völligen Selbstdemontage steht. Klar ist: Die Hauptschuld am Wahldebakel muss Laschet bei sich selbst suchen. „Seine Kampagne war falsch angelegt, und dann kamen Patzer hinzu, die das öffentliche Bild von ihm prägten“, sagt Thomas Jäger, Politik-Professor an der Universität zu Köln, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Sein Kollege Volker Kronenberg, Politologe an der Uni Bonn, macht auch die missliche Gesamtlage der Union für Laschets Absturz verantwortlich.
Die CDU habe durch die „Corona-bedingt fast über ein Jahr verschleppte Klärung der Führungsfrage nach dem Rücktritt Annegret Kramp-Karrenbauers nicht ausreichend Zeit gehabt, langfristig Themen zu setzen und eine Wahlkampagne zu planen, die darauf aufbaut“, so der Politik-Professor.
Alleine an Laschet hat es sicher nicht gelegen, das zeigen auch Analysen nach der Wahl. Dennoch waren laut Forschungsgruppe Wahlen die schlechten Werte des Kandidaten in fast allen Kompetenzfeldern eine der Hauptursachen des Debakels. Die Zahlen zeigen zudem ein dramatisches Imageproblem Laschets auf. Auf einer Skala von plus fünf bis minus fünf lag der CDU-Vorsitzende bei minus 0,5. „Nie zuvor hatte ein Kanzlerkandidat weniger Ansehen“, heißt es in der Analyse.
„Eine geschlossene Partei ist im Wahlkampf ein Pfund, mit dem man wuchern kann. Die SPD hat es gezeigt. Dass Laschet immer wieder unter Druck aus den eigenen Reihen kam, gegen den er ziemlich alleine stand, hat ihm geschadet“, sagt Parteienforscher Jäger. Laschet habe sich in der kurzen Zeit als Parteichef nicht die Autorität verschaffen können, die es brauche, um die CDU als „Club von rivalisierenden Karrieristen“ zu führen.
Und so büßte laut Forschungsgruppe Wahlen auch die gesamte Union massiv an Ansehen in der Wählerschaft ein. Einbrüche gab es sowohl bei den Themen Wirtschaft und Zukunft, bei denen CDU und CSU eigentlich große Kompetenz zugemessen wird, als auch bei den Themen Rente und Bildung. Hier landete die Union wie auch beim Thema soziale Gerechtigkeit klar hinter der SPD.
Verluste bei Über-60-Jährigen
Laut Analyse von Infratest dimap verlor die Union insgesamt fast 1,4 Millionen Wählerinnen und Wähler an die SPD, 830.000 an die Grünen. Immerhin 470.000 wanderten zur FDP ab. Überraschend stark brach die Union auch bei einer Wählergruppe ein, die bis zuletzt eigentlich immer eine sichere Bank war: bei der Generation der Über-60-Jährigen verlor die CDU/CSU sieben Prozentpunkte, die SPD hingegen gewann elf Punkte hinzu. In der Gruppe der jungen, unter 30 Jahre alten Wählerinnen und Wähler fiel die Union gnadenlos durch und landete mit einem Anteil von nur noch elf Prozent hinter Grünen (22), FDP (20) und SPD (17).
Offenbar hat die Union also – neben dem missratenen Wahlkampf ihres Kandidaten – auch ihre programmatischen Schwächen dramatisch unterschätzt. Das Vertrauen einer bürgerlich-konservativen Wählerschaft ist nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel tiefer erschüttert, als die Union es lange wahrhaben wollte.
Zum Phänomen einer nachlassenden Bindung der Unionswählerschaft kam hinzu, dass Laschet auf die falsche Strategie setzte. Viel zu lange verfolgte er einen möglichst geräuschlosen „Weiter so“-Wahlkampf. Ein schwerer Fehler, wie eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Civey aufzeigt.
Gefragt nach den wichtigsten politischen Themen, hatten die Deutschen übers Jahr hinweg immer wieder die Bereiche Renten und Soziales sowie die Umwelt- und Klimapolitik genannt. Während SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz soziale Fragen wie bezahlbares Wohnen, Mindestlohn, Bildungsgerechtigkeit und stabile Renten in den Vordergrund stellte und die Grünen sich naturgemäß mit einer modernen Umwelt- und Klimapolitik profilierten, hob Laschet allzu lange auf sein Lieblingsthema Europa und den Dauerbrenner Clan- und Kriminalitätsbekämpfung ab.
Bundesminister waren eine Belastung
Der Politikexperte Jäger ist der Meinung, Laschet hätte rechtzeitig vor der Wahl auch „neue CDU-Minister ins Kabinett schicken sollen“. Die Amtsinhaber seien eine Belastung gewesen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier etwa habe sich sogar von Laschet distanziert. Hätte Merkel einen Personalwechsel akzeptiert, „hätte Laschet wirklich ein Team gehabt – und nicht ein sogenanntes Zukunftsteam, vom dem selbst professionelle Beobachter heute keine drei Namen mehr erinnern.“
Laschets Lacher war ein schwerer Patzer
Zu all diesen Befunden gesellt sich erschwerend das Gewicht von Laschets persönlichen Fehlern und Patzern. Sein vieldiskutierter Lacher während der Rede des Bundespräsidenten vor Flutopfern in Erftstadt-Liblar und seine in der Folge fahrigen Auftritte als Krisenmanager erschütterten seine Wahlkampagne in den Grundfesten.
Dass Laschet heute mit letzter Kraft um sein politisches Überleben kämpft, erscheint umso unwirklicher, als er sich im April schon fast am Ziel aller Träume wähnen durfte. Nach seinem Erfolg im beiderseits hart geführten Zweikampf mit CSU-Chef Markus Söder um die Kanzlerkandidatur schien das höchste Regierungsamt greifbar nahe. Doch eben dieser Schein trog und wurde schließlich zum Selbstbetrug.
Letztendlich waren es die CDU-Granden Wolfgang Schäuble und Volker Bouffier, die Laschet mit einem Machtwort zum Sieg gegen den Bayern verhalfen. Getragen von der Mehrheit der gesamten Partei wurde Laschet bis zum Wahlabend nicht. Sein Mandat war von Anfang an extrem wacklig. Die CSU blieb offen feindselig. Die Kanzlerin gab sich wortkarg, einige CDU-Ministerpräsidenten ließen durchblicken, dass sie Laschet für den falschen Mann hielten. Die eigene Überzeugung, er könne als „rheinischer Versöhner“ die Reihen schließen, lief ins Leere.
Söders Störmanöver
Nicht zu vergessen die permanenten, bis heute anhaltenden Störmanöver aus München. „Söder hat den Politikstil Laschets, der auf einen größtmöglichen Ausgleich aller Interessenlagen zielt und dem er auch in der Corona-Krise treu geblieben ist, ganz bewusst flatterhaft aussehen lassen wollen. Damit hat er bis ins Wahljahr hinein die zentrale Qualität Laschets, nicht zu polarisieren, sondern abzuwägen und einen Ausgleich zu suchen, ins Negative gewendet“, sagt der Politologe Kronenberg.
Wüst ist Favorit für die Nachfolge in NRW
In Nordrhein-Westfalen bleibt Laschet nur noch, sein Erbe zu regeln. Bereits auf dem CDU-Landesparteitag am 23. Oktober in Bielefeld sollen die Weichen für einen Neuanfang gestellt werden. Die CDU braucht einen neuen Parteichef und Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2022. Das Land braucht bis dahin einen neuen Ministerpräsidenten. Beste Aussichten, alle drei Posten künftig zu bekleiden, hat Verkehrsminister Hendrik Wüst. Doch entschieden ist noch nichts.
Die Landes-CDU plant einen würdigen Abschied von Laschet auf dem Parteitag. Dennoch gibt es auch bei den Parteifreunden an Rhein und Ruhr Stimmen, die seine politische Hinterlassenachschaft kritisch sehen. Sie befürchten, dass sich die SPD nach der krachenden Niederlage der Union im Bund im kommenden Jahr auch die Macht im Land zurückholt. „Dann wird Armin Laschet in die Geschichte eingehen“, sagt ein Mitglied des Landesvorstands. „Aber nicht als der Rocky Balboa der Politik, sondern als Unglücksrabe“.