Der Bundestag spricht Kanzler Olaf Scholz wie geplant das Misstrauen aus. Die nächste Koalition wird es nicht leichter haben.
Abrechnung im BundestagWie Scholz das Vertrauen verliert und sich als Sieger erklärt
Die SPD-Fraktion lässt erst einmal um die Ecke denken. Sie klatscht gleich zu Beginn der Rede von Olaf Scholz kräftig Beifall, als er betont: „Die Bundestagswahl vorzuziehen, das ist auch mein Ziel.“ Dabei hatten die Sozialdemokraten angekündigt, ihre 207 Abgeordneten würden in der Abstimmung über die Vertrauensfrage eben für ihren Kanzler stimmen und nicht gegen ihn. Aber nur umgekehrt kommt es zur Neuwahl – wenn ihm mehrheitlich das Misstrauen ausgesprochen wird. Aus den Reihen der Union dröhnt Gelächter. Das wird es in dieser historischen Bundestagssitzung oft geben: Geraune, Zwischenrufe, demonstrativen Applaus, Anfeindungen.
Auch nonverbal werden Zeichen gesetzt. Viele Genossinnen und Genossen tragen wie zum Trotz Rot. Roter Schal, rote Schuhe, roter Pulli, roter Schlips oder rotes Jackett. Rote Politik. Es ist doch schon Wahlkampf. Auch der als Erklärung zur Vertrauensfrage angekündigte Auftritt des Kanzlers wirkt wie eine Wahlkampfrede. Jetzt SPD pur, Rentenniveau stabil halten, 15 Euro Mindestlohn pro Stunde, Schuldenbremse reformieren und in großem Stil investieren, Besonnenheit in der Frage von Krieg und Frieden. Und schließlich bittet Scholz die Wählerinnen und Wähler um ihr Vertrauen.
Scholz auf einem anderen Stern?
Auf der anderen Seite sendet der von ihm als Finanzminister mit Schimpf und Schande aus der Regierung geworfene Christian Lindner ein Signal. Der FDP-Chef gesellt sich vor der Sitzung zu Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz. Er wird vielleicht am ehesten der nächste mächtige Mann im Land sein. Es wird freundlich geplaudert und gescherzt. Merz tadelt dann auch in seiner Rede Scholz dafür, wie er mit Lindner umgehe. Das sei das Gegenteil von dem, was der Kanzler als eigenen Politikstil verkaufe: Respekt.
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Die von Scholz beklagten Versäumnisse der letzten Jahre habe die SPD doch als langjährige Regierungspartei selbst mitverschuldet. „Waren Sie auf einem anderen Stern?“, fragt Merz. Gejohle bei der Union.
Der Kanzler klagt über FDP-Sabotage
Scholz hatte in Anspielung auf den Koalitionsbruchplan der FDP unter dem Titel „D-Day“ von „wochenlanger Sabotage“ gesprochen, die der ganzen Demokratie geschadet habe, und Lindner belehrt: „In eine Regierung einzutreten, dafür braucht es die nötige sittliche Reife.“ Lindner revanchiert sich später mit dem Hinweis, Scholz habe keine Kraft zu grundlegenden Veränderungen gehabt. Der Kanzler habe kein Vertrauen verdient.
Nach Scholz kommt aber erst einmal Merz, seine Unterstützer sorgen für Lautstärke im Plenum. Applaus, Applaus, Applaus. Merz rechnet mit der Wirtschaftspolitik der Ampel ab: Scholz hinterlasse das Land „in einer der größten Wirtschaftskrisen der Nachkriegsgeschichte“. Dessen Vorschlag, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zu senken, entlaste nicht nur Menschen mit geringem Einkommen. Schließlich sinke damit auch der Preis für Trüffel. „Das ist nicht nur Butter.“
Im Zuge des unionsinternen Zwists um eine mögliche schwarz-grüne Koalition – CSU-Chef Markus Söder schließt dieses Bündnis aus, während Merz die Tür zu den Grünen offenhält – geht Merz nun gezielt auf Konfrontation zu Wirtschaftsminister und Kanzlerkandidat Robert Habeck. Dabei hatte er ihn noch vor Kurzem als regierungsfähig bezeichnet. Habeck sei das „Gesicht der Wirtschaftskrise“, schimpft Merz nun. Abgehoben sei er zudem und ergehe sich in „inszenierten Selbstzweifeln“.
Grünes Kanzlerkandidatenoutfit
Habeck hat ein Kanzlerkandidatenoutfit für die Debatte über diese sechste Vertrauensfrage in der Geschichte der Bundesrepublik gewählt: schwarzer Dreiteiler, weißes Hemd, graue Krawatte. Die Grünen haben angekündigt, sich bei der Abstimmung zu enthalten, um die Neuwahl zu ermöglichen. Scholz will es ja auch. Habeck gibt sich staatstragend. Er warnt vor Autokraten dieser Welt und mahnt, Deutschlands Demokratie müsse stabil bleiben. Er appelliert an die Kompromissfähigkeit aller Parteien. Etwas, woran die Ampel gescheitert sei. Für die Attacke von Merz revanchiert sich Habeck inhaltlich: Seine Wahlversprechen seien nicht finanziert.
AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel konzentriert sich erwartungsgemäß auf die Migrationspolitik. Sie fordert schnelle Abschiebungen. In der Ukraine-Politik wirft sie Scholz ein Spiel mit den Ängsten der Bevölkerung und Merz einen Kurs in den Atomkrieg vor.
Mit dieser sechsten Vertrauensfrage in der Geschichte der Bundesrepublik ist der Bundestag noch nicht aufgelöst – auch die Neuwahl steht noch nicht endgültig fest. Denn erst muss Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Verfahren absegnen. Er hat gerade betont, das Ende einer Koalition sei außergewöhnlich, aber nicht das Ende der Welt: „Wir haben funktionierende Institutionen.“
Die nächste Regierung wird es nicht leichter haben als die Ampel. Zweierbündnisse werden zunehmend unwahrscheinlich. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich mahnt, die Vertrauensfrage müsse die Ausnahme bleiben. Scholz bekommt das Ergebnis, das er sich angeblich gewünscht hat: Er verliert die Vertrauensfrage. In namentlicher Abstimmung sprechen sich 207 Abgeordnete für den Kanzler und 394 gegen ihn aus.
„Lassen Sie uns im Wahlkampf ehrlich miteinander sein“, appelliert Scholz noch an die anderen Parteien. Es geht im Gelächter im Parlament unter.