Vizekanzler Robert Habeck war Liebling der Deutschen. Jetzt kämpft er eine Abwehrschlacht – und muss zeigen, wie sehr er sich treu bleiben kann.
Wirtschaftsminister unter DruckDer Kampf des Robert Habeck
Manchmal blitzt er noch auf. Der alte Robert Habeck. Der die großen Fragen stellt. Der Freude daran hat, über die Antworten zu sinnieren, ohne eine fertige Lösung parat zu haben. Und der sich dabei trotzdem nicht allzu ernst nimmt.
So wie am vergangenen Mittwoch beim Deutschen Sparkassentag in Hannover. Habeck tritt nach der Mittagspause auf die Bühne, sein Vorredner Olaf Scholz ist da schon wieder abgerauscht. Obwohl erst ein paar Minuten vergangen sind, wissen viele schon nicht mehr so genau, was der Bundeskanzler soeben vom Blatt abgelesen hat. Irgendwas mit Sparkassen und Volksbanken.
Dann kommt Habeck. Angekündigt ist eine Rede zu Klimaschutz und Energie, aber natürlich wollen nun alle wissen, was es Neues zum Dauerstreit um den Heizungstausch gibt. Habeck kennt diese Erwartungshaltung, er setzt einen verschmitzten Blick auf. „Heizungsgesetz. Mir kommt es vor, als hätte ich darüber schon ein paar Mal geredet.“
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Während die Halle noch lacht, legt er sein Redemanuskript demonstrativ zur Seite. Er wolle mal über „kognitive Dissonanzen“ sprechen, sagt Habeck. „Alle in diesem Saal sind für Klimaschutz und Klimaneutralität, am liebsten schon Morgen. Sobald es aber konkret wird, zerfällt die Debatte wieder.“ Die Frage nach dem „Warum“ könne er nicht abschließend beantworten, das sei Sache der Gesellschaftspsychologen, räumt Habeck ein. Aber er habe eine Idee. „Die Aufmerksamkeit der meisten Menschen ist vor allem auf Katastrophenszenarien und düstere Bilder gerichtet. Ein Problem könnte sein, dass die dadurch ausgelösten Emotionen nicht dauerhaft tragen, um eine kontinuierliche Veränderung durchzuhalten.“
Es ist ein typischer Habeck. Zwei Sätze reichen ihm, um die vergangenen eineinhalb Jahre zusammenzufassen. Seinen rasanten Aufstieg zum Krisenmanager der Nation – und seinen Absturz zu deren Prügelknaben, auf den jeder mal eindreschen darf.
Gestählt oder angepasst – Wie kommt Robert Habeck aus der Krise?
Es gibt Politiker, die erholen sich von einem solche Höllenritt nicht mehr. Und es gibt welche, die die Erfahrung stärker macht. Zu welcher der beiden Gruppen Robert Habeck gehört, klärt sich gerade. Es könnte sein, dass er gestählt aus der Krise hervorgeht - oder sich anpasst, weniger wird wie Habeck und mehr wie alle anderen. Das wäre trotz Selbstbehauptung ebenfalls eine Niederlage. „Das Amt verändert den Menschen schneller als der Mensch das Amt“, hat der letzte grüne Vizekanzler Joschka Fischer mal gesagt. Womöglich erlebt sein Nachfolger das jetzt am eigenen Leib.
Habeck ist ein ungewöhnlicher Politiker. Das sehen seine Gegner genauso wie seine Fans. Er ist nicht beizeiten in die Grüne Jugend eingetreten, um dort seine Karriere voranzutreiben. Stattdessen wurde der heute 53-Jährige erst 2002 Parteimitglied – mit damals 33 Jahren. Habeck wollte neue Ideen entwickeln, statt die Ideen der anderen kaputt zu machen. Er wollte eine Dafür-Politik, keine Dagegen-Politik. Und er setzt auf den Dialog mit der Gesellschaft, gern an der etablierten Politik vorbei. „Wir dürfen den Menschen keinen Scheiss‘ erzählen“, ist so ein typischer Habeck-Satz.
Er ist für seine Art gefeiert worden, direkt nach dem russischen Überfall auf die Ukraine und dem Ausbruch der Energiekrise. Die Deutschen trieb damals die Angst um, im Winter frieren zu müssen. Habeck sollte das verhindern. Also ließ der Grüne abgeschaltete Kohlekraftwerke hochfahren, bettelte bei Golf-Autokraten um Flüssigerdgas, stimmte nach anfänglichem Zögern sogar einer Laufzeitverlängerung der verbliebenen deutschen Atomkraftwerke zu.
Habeck hat die Öffentlichkeit an diesem Prozess teilhaben lassen. Vor allem auf seinem Instagram-Account ließ sich der Krisenmanager in Echtzeit verfolgen. Habeck wie er grübelt. Habeck wie er abwägt. Habeck wie er hadert. Und wie er dann am Ende meistens das tut, was die Lage erfordert.
Offener und reflektierter als Olaf Scholz
Das Konzept funktioniert eine Weile blendend. Es katapultiert Habeck an die Spitze der Beliebtheitsumfragen. Der Mann aus dem Norden scheint genau jener neue Politikertypus zu sein, auf den viele Deutsche gewartet haben: pragmatisch wie Angela Merkel und Olaf Scholz, aber offener als sie und reflektierter als er. Habeck avanciert zum Kanzler der Herzen. Die Konkurrenz reagierte mit Häme – und Hilflosigkeit. „Wir dürfen ihm immer wieder beim Denken zusehen, und er kann gefällig formulieren“, sagt CDU-Chef Friedrich Merz. Es ist wie all die Anspielungen auf Habecks Vergangenheit als Schriftsteller und Philosoph eher Spott als Lob. Und doch spricht daraus auch Anerkennung.
Man würde Habeck unterschätzen und ein bisschen seiner Selbstinszenierung auf den Leim gehen, wenn man ihn nur als selbstlos-verwuschelten Weltverbesserer darstellte. Auch Habeck kann hart sein. Das zeigt sich im Januar 2018, als der geborene Lübecker trotz seiner Wahl zum Parteivorsitzenden darauf besteht, das Amt als schleswig-holsteinischer Umweltminister noch monatelang zu behalten, obwohl das gegen die Statuten der Grünen verstößt. Als Habeck im Herbst 2021 ins Bundeskabinett aufsteigt, kündigt er hingegen an, den Parteivorsitz sofort räumen zu wollen. Alles andere sei „mit unserer Parteikultur nicht vereinbar“, sagt Habeck da. Plötzlich scheint der Vorsitz nur Mittel zum Zweck zu sein. In jenem Herbst ist es auch, als er hilft, den Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter abzuservieren. Im Kabinett soll der Parteilinke nicht sitzen.
Und dann ist da noch die Sache mit der damaligen Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock. Zwar hat Habeck ihr nach wochenlangem Ringen die Kanzlerkandidatur überlassen, aber nicht ohne einen Preis zu verlangen. Verpasst sie das Wahlziel, wird er Vizekanzler – so lautet der Deal, und so kommt es. Habeck darf sich ein Vizekanzleramt nach seinen Wünschen schneidern. Er greift nach dem Wirtschaftsministerium und ergänzt es um die Filet-Stücke des Umweltressorts. Wirtschaft, Energie und Klimaschutz - viel mehr Macht geht kaum. Zumindest für einen Minister. Gleichzeitig lädt sich Habeck ein Vorhaben auf die Schultern, das gigantisch ist: die Dekarbonisierung des Landes bei gleichzeitigem Erhalt seines Wohlstandes. Nein, Verantwortung scheut er nicht.
Das Ausschlachten von Fehlern Robert Habecks
Der Moment, in dem Habecks Glückssträhne reißt, lässt sich präzise datieren. Es ist der 22. Juli 2022 – und bezeichnender Weise tritt er an diesem Tag gar nicht selbst in Erscheinung. Es ist der Kanzler, der seinen Sommerurlaub unterbricht, um eine Gasumlage zur Rettung der wegen der Turbulenzen an den Märkten in Schieflage geratenen Importeure zu verkünden. Die Gaskunden sollen mehr pro Kilowattstunde bezahlen, über Entlastungen werde man später reden, lässt Scholz wissen. Der Kanzler fährt nach seiner Ankündigung zurück ins Allgäu, der Sturm der Entrüstung trifft seinen Vize, aus dessen Ministerium die Idee für die Umlage gekommen war und der sie nun verteidigen muss.
Schlecht gemacht, schlecht kommuniziert – und das Verhetzungspotenzial nicht erkannt. Das ist das Muster, das in den folgenden Monaten immer wieder auftaucht, ob beim Gebäudeenergiegesetz oder der Affäre um Habecks Staatssekretär Patrick Graichen, der seinen Trauzeugen zum Chef der Deutschen Energie-Agentur befördert. Und da inzwischen von der SPD bis zur Springer-Presse genügend Menschen Interesse an der Habeck-Krise haben, werden seine Fehler stärker ausgeschlachtet als die der anderen. Der Ton im politischen Berlin wird rau wie selten.
Da ist zum Beispiel Wolfgang Kubicki, den Habeck aus Schleswig-Holstein kennt. „Ihm ist es wichtig, dass alle die ganze Kreativität darauf verwenden, wie man Brücken bauen kann und nicht die Gräben vertieft“, hatte der FDP-Hardliner den Ober-Grünen mal gelobt. Inzwischen hat sich die Geschäftsgrundlage derart verändert, dass Kubicki nicht mehr davor zurückschreckt, seinen Landsmann mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu vergleichen – auch wenn er sich später dafür entschuldigt. Ein anderer Liberaler wirft Habeck „Hinterfotzigkeit“ vor. Überhaupt sind es vor allem die FDP und deren Finanzminister Christian Lindner, die Habeck auflaufen lassen, mit gar nicht mal heimlicher Sympathie des Kanzlers.
Robert Habeck verliert seine Lockerheit – und schaltet auf Angriff
Fehlt Habeck die Kaltschnäuzigkeit im Umgang mit abgezockten Typen wie Lindner und Scholz? Manche bei den Grünen meinen das. Anton Hofreiter warnt öffentlich vor „Naivität“ - und meint den Parteifreund. Die Angriffe kommen von allen Seiten. Und sie zeigen Wirkung.
Der Vizekanzler verliert zunehmend seine Lockerheit. Immer öfter zeigt er sich einem Zustand zwischen Genervtheit und Verwundbarkeit. Als Boxer würde Habeck als angezählt gelten. Er reagiert – eigentlich untypisch –, in dem er zurückschlägt. So äußert er in einem „Tagesthemen“-Interview den Verdacht, der Gesetzentwurf zur Wärmewende sei in einem sehr frühen Stadium „bewusst an die Bild-Zeitung geleakt worden, um dem Vertrauen in der Regierung zu schaden“. Später spricht er im Kontext der Trauzeugenaffäre von „Beleidigungen, teilweise Lügen“.
Bei der jüngsten Sitzung der Bundestags-Ausschüsse für Wirtschaft sowie Klimaschutz und Energie spielt der Attackierte unverhohlen auf die Russland-Verbindungen des linken Ausschuss-Vorsitzenden Klaus Ernst an. Um seinen wegen finanzieller Beteiligung an Start-Up-Unternehmen in die Kritik geratenen zweiten Staatssekretär Udo Philipp zu verteidigen, sagt Habeck, man könne natürlich über die Veröffentlichung von Beteiligungen an Aktienfonds reden. Doch dann müsse das für alle gelten. Also auch für Bundestagsabgeordnete. Da wird es ruhig im Saal.
Plötzlich ist da einer, der sich wehrt und bei Bedarf mit ähnlicher Münze heimzahlt. Es ist der neue Habeck – einer freilich, der trotzdem weiter den Draht zur Gesellschaft sucht, etwa indem er sich abends ans Telefon klemmt und besorgte Bürger anruft, um ihnen die Angst vor dem Heizungsgesetz zu nehmen. Er will aus dem Kampfmodus zurück ins Gespräch.
Das Amt verändert Menschen – das gilt auch für Robert Habeck
Den alten Habeck kann man unverändert erleben, wenn er sich vor Angriffen sicher fühlt. Bei den Sparkassen etwa oder bei der Feier zum 30. Jahrestag der Vereinigung von Ost- und West-Grünen in Leipzig. Da steht er eine halbe Ewigkeit für Selfies mit der Parteijugend bereit. Auch im Bundestag sucht er die Wärme der eigenen Reihen. Als es darum geht, die wichtige Befragung in der Doppel-Ausschusssitzung vorzubereiten, ist er vor dem Fraktionsaal von Kollegen umringt. Es ist ein Schulterschluss.
Ob er sich noch Hoffnungen auf die Kanzlerkandidatur 2025 macht? Tatsächlich stimmt zwar nicht, dass Habecks Verhältnis zu Außenministerin Annalena Baerbock zerrüttet sei. Beim Leipziger Grünen-Jubiläum stehen die beiden beim geselligen Teil einträchtig nebeneinander und scherzen. Das wirkt nicht gespielt. Wahr ist aber auch: Der Schaden des einen ist in der Politik nicht selten der Nutzen der anderen. Eine Kanzlerkandidatur des Vizekanzlers wäre derzeit jedenfalls wenig aussichtsreich. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass er im Moment häufiger die Ritter-Rüstung anzieht.
Ja, Robert Habeck ist angetreten, um das Amt zu verändern. Doch es scheint, als behalte Joschka Fischer Recht, wonach das Amt den Menschen verändert. Sollte es Habeck trotz allem gelingen, diese These zu widerlegen, hätte er den Kampf wohl gewonnen.