Immer wieder BauchwehPsychosomatische Schmerzen bei Kindern - was können Eltern tun?
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Wenn Kinder zum Beispiel über Bauch- oder Kopfschmerzen klagen, hat das oft auch psychische Ursachen. Doch was löst solche psychosomatischen Beschwerden aus? Und wie können Eltern im Moment richtig reagieren und langfristig helfen? Ein Gespräch mit Dr. Kirsten Mönkemöller, Fachärztin für Kinder und Jugendmedizin aus Köln.
Viele Kinder klagen hin und wieder über Kopf- oder Bauchschmerzen. Wie reagieren Eltern dann richtig?
Dr. Kirsten Mönkemöller: Das Wichtigste ist, dass Eltern diese Beschwerden ernst nehmen. Manche Eltern meinen, ihr Kind bilde sich die Schmerzen nur ein. Aber auch, wenn es vielleicht keine organische Ursache gibt: Für das Kind ist der Schmerz real.
Mönkemöller: Zunächst muss abgeklärt werden, ob es beim Kind körperliche Ursachen für den Schmerz gibt. Falls nicht, überlegen wir auf unserer Station zusammen mit den Eltern, woher die Schmerzen kommen könnten. Und, ganz wichtig ist die Frage: Was denkt das Kind? Vermutet es vielleicht eine schwere Erkrankung, hat es vielleicht etwas Belastendes erlebt oder gelesen, zum Beispiel über Krebs-Erkrankungen?
Gibt es psychosomatische Schmerzen, die in manchen Altersgruppen besonders häufig vorkommen?
Mönkemöller: Ja. Studien zeigen, dass Bauchschmerzen typisch für das Kleinkind- und Grundschulalter sind. Ältere Kinder klagen dagegen häufig über Kopf- und Gelenkschmerzen.
Mein vierjähriger Sohn sagt zum Beispiel vor dem Einschlafen hin und wieder, er habe Bauchschmerzen. Ich vermute dann, er will noch nicht ins Bett …
Mönkemöller: Beobachten Sie Ihr Kind. Wenn Sie aus dem Zimmer gehen und Ihr Sohn dann einschläft, müssen Sie sich wohl keine Sorgen machen.
Ab wann wird die Sache ernst?
Psychische Auffälligkeiten bei Kindern
Ein Fünftel (20,2 Prozent) der Kinder und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren kann der Risikogruppe für psychische Auffälligkeiten zugeordnet werden.
Experten sprechen von einem Wandel im Krankheitsspektrum: von den akuten hin zu den chronischen Krankheiten sowie von den somatischen Beschwerden hin zu den psychischen Auffälligkeiten.
Jungen zeigen signifikant häufiger Anzeichen für psychische Auffälligkeiten als Mädchen (23,4 Prozent gegenüber 16,9 Prozent).
Je höher der soziale Status der Herkunftsfamilie, desto geringer ist der Anteil der Kinder mit psychischen Auffälligkeiten. Dies gilt für Mädchen als auch für Jungen.
Quelle: Robert Koch-Institut, KiGGS-Studie 2014
Mönkemöller: Kinder, die ein- oder zweimal pro Woche über Kopfschmerzen klagen, sind noch nicht unbedingt krank. Wir Erwachsene haben ja zum Beispiel auch öfter mal Kopf- oder Rückenschmerzen. Entscheidend ist, ob der Schmerz von selbst wieder weggeht und ob es begleitende Symptome gibt, wie zum Beispiel Durchfälle, Gewichtsabnahme oder weitere Schmerzen. Wenn Alltag und Lebensqualität durch die Schmerzen deutlich eingeschränkt werden, besteht Handlungsbedarf.
Was können Eltern tun?
Mönkemöller: Sie sollten sich zunächst mit dem jeweiligen Kinderarzt besprechen. Er kennt das Kind meist lange und kann die Situation gut einschätzen. Zum Beispiel auch dann, wenn das Kind aufgrund der Schmerzen längere Zeit nicht zur Schule gehen will oder kann.
Wenn ein Kind wegen diffuser Schmerzen nicht zur Schule gehen will, liegt doch die Vermutung nahe, dass es simuliert.
Mönkemöller: Das sehe ich anders. Kinder im Grundschulalter können noch nicht so strategisch handeln, dass sie vermeintliche Schmerzen bewusst einsetzen. Der Schmerz ist eher der Ausdruck eines psychischen Konflikts. Wenn es ums Thema Schulvermeidung geht, ist das zum Beispiel häufig so.
Wie reagiert man als Eltern dann am besten?
Mönkemöller: Sie sollten gemeinsam mit dem Kind in Ruhe besprechen, warum es nicht gerne zur Schule geht und was passieren muss, damit es wieder regelmäßig und gerne die Schule besucht. Vorher wird der Schmerz nicht weggehen.
Wie klappt das konkret?
Mönkemöller: Es muss nach Konflikten geschaut werden. Wird das Kind gemobbt? Fühlt es sich in der Klassengemeinschaft oder in Gruppen generell nicht wohl? Hier kann es für die Eltern oft sinnvoll sein, sich Unterstützung zu suchen, etwa durch den Kinderarzt. Wie immer gilt in der Medizin: Erst die Diagnose, dann die Therapie. Und die kann ganz unterschiedlich aussehen.
Was hilft den Kindern?
Mönkemöller: Kindern hilft es genauso wie Erwachsenen, wenn sie verstehen, wie ihre Schmerzen entstehen, wenn wir ihnen also den Schmerzkreislauf erklären. Manchen Kindern helfen Ablenkungsstrategien am besten oder ein Auspowern beim Sport. Wieder andere brauchen Ruhe. Wir suchen nach Ressourcen und versuchen, diese zu stärken. Das genau ist die Kunst in der Schmerztherapie – Ansätze zu entwickeln, die helfen. Für manche Kinder ist in der Tat auch eine langfristige Psychotherapie sinnvoll.
Was löst bei Kindern psychosomatische Beschwerden aus?
Gibt es bestimmte Auslöser für psychosomatische Beschwerden?
Mönkemöller: Manche, aber nicht alle Kinder haben zuvor ein Trauma erlitten, etwa den Wegfall einer Bezugsperson oder eine Trennung. Es müssen aber nicht immer die klassischen Krisen sein. Manchmal reicht es, dass der Hund gestorben ist oder dass es einen großen Streit mit der Freundin oder dem Freund gab. Mitunter lösen Erlebnisse, die einem Erwachsenen gar nicht so wichtig erscheinen, psychosomatische Beschwerden aus.
Hat nicht jede Krankheit einen psychosomatischen Hintergrund? Ist die trennende Sichtweise von Psyche und Körper noch zeitgemäß?
Mönkemöller: Nein, das ist sie in meinen Augen nicht. Deswegen behandeln wir auf unserer Station chronisch kranke Kinder ganzheitlich. Wir haben nicht nur das Kind oder den Jugendlichen, sondern die gesamte Familie im Blick. Doch das haben wir Ärzte in unserer Ausbildung bisher nur bedingt gelernt. Inzwischen verstehen wir die Entstehung von Erkrankungen immer besser. Früher hieß es salopp ausgedrückt: Weil die Seele spinnt, kommt die Krankheit. Heute wissen wir, dass jede Erkrankung auch die Psyche beschäftigt.
Nehmen psychosomatische Beschwerden bei Kindern zu?
Mönkemöller: Ja, das zeigt unter anderem die aktuelle KiGGS-Studie. Eine Ursache kann der sehr strukturierte Alltag unserer Kinder sein. G8 und der damit verbundene Stress ist in meinen Gesprächen mit den Jugendlichen immer wieder ein Thema. Es gibt immer weniger Zeit für freies Spiel und selbst zu gestaltende Freizeit. Wir haben heute einfach eine andere Art, unser Leben zu gestalten. Kinder verbringen heute viel Zeit in den Institutionen und immer weniger mit ihren Eltern, zumindest unter der Woche.
Oder werden die Beschwerden inzwischen einfach nur häufiger diagnostiziert?
Mönkemöller: Ja, das trifft sicher auch zu. Kinder stehen heute sehr im Fokus. Viele Eltern verspüren heute den dringenden Wunsch: Ich will ein „normales“ Kind, eines, das gut funktioniert. Treten dann Beschwerden auf, lenken Eltern ihre Aufmerksamkeit stark darauf.
Auch deswegen sehen es manche Eltern kritisch, wenn ihr Kind immer wieder über unspezifische Schmerzen klagt.
Mönkemöller: Sie sollten dann aber nicht versuchen, ihr Kind der Lüge zu überführen. Früher hätten manche Mediziner vielleicht ein Placebo-Präparat gegeben. Heute machen wir das nicht mehr, weil wir wissen, dass Placebos tatsächlich wirken.
Stimmt es, dass sich Eltern oft schuldig fühlen, wenn ihre Kinder krank werden?
Mönkemöller: Ja. Fast immer. „Was hätten wir anders machen können?“, das ist meist die erste Frage, die gestellt wird. Doch gerade die großen Erkrankungen wie Diabetes Typ 1 oder Rheuma, die wir auf unserer Station behandeln, sind schicksalhafte Erkrankungen. Die Ursachen sind multifaktoriell. Warum sie auftreten, können wir bis heute noch nicht abschließend klären. Das vermitteln wir den Eltern dann auch in vielen Gesprächen.