Köln – Die Zahlen sind alarmierend: Etwa die Hälfte der Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter hat im Job schon sexuelle Belästigung erfahren. Das geht aus einer aktuellen Umfrage der „Unabhängigen Flugbegleiter-Organisation“ (UFO) mit mehr als 1000 Teilnehmern hervor.
Bei den Frauen waren es 52 Prozent, bei den Männern 44 Prozent. Zwischen Mitte Dezember 2018 und Ende März 2019 konnten Flugbegleiter anonym an der Befragung auf der Webseite der Gewerkschaft teilnehmen.
Oft sexuelle Belästigung durch Vorgesetzte
Den Ergebnissen zufolge finden sich die Täter nicht nur in den Reihen der Passagiere. Sogar in fast der Hälfte der Fälle (46 Prozent) wurden Flugbegleiter von ihren Vorgesetzten an Bord sexuell belästigt. Bei je etwa einem Viertel der Antworten gingen die sexuellen Übergriffe von Fluggästen beziehungsweise Kollegen aus.
Das Erschreckende: Der Großteil der Belästigungen wurde weder Vorgesetzten, der Personalvertretung noch der Polizei gemeldet. Nur 16 Prozent wagten diesen Schritt. Insgesamt wurden nur drei Übergriffe angezeigt (0,5 Prozent).
Viele Flugbegleiter melden Übergriffe nicht – aus Angst
Die Hälfte der Betroffenen gab an, den Vorfall aus Angst vor beruflichen Konsequenzen nicht gemeldet zu haben. Für diejenigen, die den Übergriff mitgeteilt hatten, wirkte sich dies nicht unbedingt positiv aus. Etwa jeder sechste Betroffene erklärte, ihm seien dadurch persönliche Nachteile entstanden.
Besorgniserregend ist auch, dass es bei nur knapp einem Fünftel der gemeldeten Fälle Konsequenzen für die Täter gab. Darunter etwa Abmahnungen, berufliche Degradierungen und Flugverbote.
Sexuelle Belästigung schon in der Ausbildung zum Thema machen
UFO erklärte in einer Pressemitteilung, die Ergebnisse seien „klare Alarmsignale“. Arbeitgeber müssten eine geeignete Anlaufstelle für Betroffene einrichten. Außerdem solle das Thema „sexuelle Belästigung“ für alle Angestellten im Flugbetrieb zur Grundausbildung gehören, forderte die Gewerkschaft der Flugbegleiter. Regelmäßige Kurse müssten für alle Beschäftigten zum Pflichtprogramm werden. Auch Werbung dürfe keine sexistischen Tendenzen enthalten und den „Arbeitsplatz Kabine“ herabwürdigen. Entsprechend müssten auch Passagiere sensibilisiert werden.
Eine Untersuchung der US-Gewerkschaft des Flugpersonals, Association of Flight Attendants-CWA (AFA) kam im vergangenen Jahr sogar zu noch krasseren Ergebnissen. 68 Prozent der 3500 befragten Kabinenbeschäftigten gaben darin an, dass sie während ihrer beruflichen Laufbahn schon sexuelle Belästigung erfahren haben. In der Umfrage wird zwischen verbaler und körperlicher sexueller Belästigung unterschieden. Etwa jeder Dritte war allein im Vorjahr verbalen Attacken von Passagieren ausgesetzt, fast jeder Fünfte erlebte im selben Zeitraum körperliche Übergriffe durch Fluggäste.
Passagiere griffen Flugbegleitern unter die Uniform
Die befragten Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter erklärten, im Falle der verbalen Belästigungen hätten die Passagiere sich nicht nur in zweideutigen oder anrüchigen Kommentaren geäußert. Teilweise seien sie auch explizit von Fluggästen um „sexuelle Gefallen, pornographische Videos und Bilder“ gebeten worden.
Betroffene, die körperliche Übergriffe erlebt hatten, berichteten etwa, „am Hintern, an den Brüsten und im Schrittbereich“ betatscht worden zu sein. Die Passagiere griffen ihnen demnach auch unter die Uniform. Teilweise lauerten die Fluggäste den Crew-Mitgliedern auf, um sie zu umarmen, zu küssen oder sich an ihnen zu reiben.
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Welche Art von Belästigungen die Betroffenen erlebt hatten, wurde in der deutschen Umfrage dagegen nicht erfasst. Die Fragen seien teilweise unscharf formuliert gewesen, räumte die Gewerkschaft ein. Bei der anonymen Befragung, die öffentlich auf der UFO-Webseite zugänglich war, habe es zudem keine Kontrolle gegeben, ob die Teilnehmer tatsächlich als Flugbegleiter tätig sind.
Was deutsche Fluggesellschaften gegen sexuelle Belästigung tun
Zu den Ergebnissen der Umfrage äußerten sich auf Anfrage auch große deutscher Arbeitgeber für Kabinenbeschäftigte. Bei der Lufthansa würden Mitarbeiter regelmäßig für den Umgang mit sexueller Belästigung an Bord geschult und es gebe zahlreiche Anlaufstellen für Betroffene, erklärte eine Sprecherin. Ein internes unabhängiges Gremium arbeite Fälle sexueller Belästigung auf. Je nach Schwere des Übergriffs könne es zu einer Ermahnung, Abmahnung oder zur Kündigung kommen. Passagiere, die Flugbegleiter sexuell belästigten, müssten neben einer Anzeige im Einzelfall auch damit rechnen, von Lufthansa-Flügen generell ausgeschlossen zu werden. Bei Condor hieß es, betroffene Mitarbeiter könnten Verstöße über eine eigens eingerichtete Hotline anonym melden.