Die Vogelgrippe breitet sich global aus. Die USA meldeten den vierten Fall einer H5N1-Infektion beim Menschen. Finnland impft bereits.
Expertinnen-InterviewH5N1-Virus: Sollten wir jetzt schnell gegen die Vogelgrippe impfen?
Frau Addo, wären wir in Deutschland, was die Impfstoffe betrifft, gut auf eine H5N1-Pandemie vorbereitet?
Marylyn Addo: Ja, seit Februar sind schon zwei sogenannte adjuvantierte Proteinimpfstoffe in der Europäischen Union zugelassen. Beide können neben Erwachsenen auch schon bei Säuglingen ab sechs Monaten angewendet werden. Einer von ihnen ist sozusagen als Blaupause zugelassen: Das heißt, wenn eine Pandemie offiziell erklärt würde, könnte man ihn schnell an den dann zirkulierenden Influenzastamm anpassen.
Das heißt, der fertige Impfstoff wäre bereits wirksam gegenüber H5N1-Stämmen, aber von dem bereits angepassten erhofft man sich eine noch bessere Wirkung?
Alles zum Thema Corona
- Billigflieger ab Düsseldorf Easyjet kehrt 2025 nach NRW zurück – Diese Ziele werden angeflogen
- „Niemandem zumuten“ Künstler sagt Ausstellung wegen Maskenpflicht in Seelscheider Altenheim ab
- Studie der Postbank Internetnutzung junger Menschen in Deutschland steigt wieder
- „Erfahrungen aus der Pandemie“ Krankenkassen sprechen sich für Erhalt von telefonischer Krankschreibung aus
- Es besteht „interner Klärungsbedarf“ Sondierungsgespräche zwischen CDU, BSW und SPD in Sachsen unterbrochen
- Zuletzt 409.000 Fälle Depressionen nehmen unter jungen Menschen erheblich zu
- Kölner Möbelmesse abgesagt Warum Kölns Flaggschiff nicht stattfindet
Der verfügbare Impfstoff passt gut zu dem aktuellen Stamm. Das Virus müsste sich, um zu einer Pandemie zu führen, aber besser an den Menschen anpassen, zum Beispiel durch Rekombination. Das System ist darauf angelegt, dass man den Impfstoff-Prototyp auf die dann aktuellen Stämme anpasst.
Aber die Herstellung eines Protein-Impfstoffs dauert relativ lange. Besonders die Produktion in Eiern war ja auch schon fehleranfällig.
Die traditionelle Herstellung in Hühnereiern hat den Nachteil, dass sie nicht so schnell auf große Mengen hochgefahren werden kann. Außerdem können Menschen, die allergisch auf Hühnereiweiß sind, mit den entsprechenden Impfstoffen nicht immunisiert werden.
Auf die beiden zugelassenen Impfstoffe, die für eine mögliche Pandemie infrage kämen, trifft das aber nicht zu. Sie werden in Zelllinien hergestellt, wie auch einige der saisonalen Grippeimpfstoffe. Die Technologie lässt sich auch deutlich schneller hochfahren als die Produktion in Hühnereiern.
Nichtsdestotrotz kamen solche klassischen Impfstoffe in der Corona-Pandemie zu spät. Die US-Regierung hat gerade dem Unternehmen Moderna 176 Millionen US-Dollar gegeben, um eine mRNA-Impfung gegen eine mögliche Influenza-Pandemie zu entwickeln.
Wir brauchen natürlich für den Pandemiefall Plattformen, mit denen wir schnell viel Impfstoff herstellen können. Die mRNA-Technologie ist dafür auch sehr gut für geeignet, denn man kann Impfstoffe sehr schnell an eine neue Virusvariante anpassen und die Produktion hochfahren. In der Corona-Pandemie sind Kapazitäten geschaffen worden, und die könnte man jetzt natürlich auch für eine Influenza-Pandemie nutzen. mRNA-Impfstoffe sind bereits in klinischer Entwicklung.
Finnland impft ja bereits – ein Vorbild für Deutschland?
Es gibt verschiedene Gründe, zu impfen. Die Infektionen bei Menschen, die wir in den USA beobachten, sind bisher sehr selten und verlaufen mild – obwohl recht viele Rinder infiziert sind und damit auch gar nicht so wenige Menschen, die in der Landwirtschaft arbeiten, mit dem Virus in Kontakt kommen. Der Erreger kann also in der jetzigen Form den Menschen nicht sehr gut infizieren und es gibt keine Übertragung von Mensch zu Mensch.
In Finnland ist die Situation eine besondere. Dort hatte man in den vergangenen Jahren in Nerzfarmen große Vogelgrippeausbrüche bei den Pelztieren. Diese Farmen gibt es ja bei uns nicht. Ich würde die Strategie in Finnland daher nicht als Vorbild für Deutschland bezeichnen. Man sollte das Impfen immer an die jeweilige Situation im Land anpassen.
Das heißt aber, sobald H5N1 bei Milchkühen in der EU angekommen ist, wäre es schon sinnvoll, wenn die Landwirte und Landwirtinnen sich impfen lassen könnten?
In einem solchen Fall kann das Impfen von gefährdeten Personen wie Tierärzten und Landwirten ein Bestandteil der Eindämmung eines Ausbruchs sein. Es ginge dabei nicht nur um den Schutz vor der Erkrankung. Die ist ja derzeit mild. Wovor man sich auch sorgt, ist, dass das Virus sich adaptiert.
Wie kann sich ein Virus denn an den Menschen anpassen?
Zum Beispiel, wenn ein Tier oder ein Mensch mit H5N1 und gleichzeitig mit der saisonalen Grippe infiziert wäre, könnten sich diese Viren mischen und neu kombinieren. Dieses Szenario möchte man unter anderem mit dem Impfen verhindern.
Viele Menschen lassen sich jedes Jahr gegen die Grippe, also die „normale Influenza“ impfen. Bieten diese Impfstoffe auch gegen H5N1 einen gewissen Schutz?
Man geht derzeit nicht davon aus, dass die saisonalen Grippeimpfstoffe hier eine ausreichende Schutzwirkung haben. Deshalb passen wir ja auch die saisonalen Impfstoffe regelmäßig an die zirkulierenden Varianten an.
Aber wäre eine pandemische Grippe trotzdem weniger gefährlich als die Corona-Pandemie, weil gegen verschiedene Influenza-Viren in der Bevölkerung schon eine Vorimmunität existiert?
Das kann man so nicht sagen. 1918 hatten wir die sogenannte Spanische Grippe – mit sehr vielen Todesopfern, insbesondere bei der jungen Bevölkerung. Seitdem haben wir uns immer wieder auf eine Influenza-Pandemie vorbereitet. So schlimm wie 1918 wurde es seitdem nicht mehr, aber wir hatten trotzdem etwa die Hong-Kong-Grippe, 2009 die sogenannte Schweinegrippe. Zuletzt gab es einen Todesfall durch eine H7N2-Infektion. Eine seriöse Vorhersage, welche Folgen eine Influenza-Pandemie mit definierten Subtypen haben könnte, ist derzeit nicht möglich.
Wäre ein Lebendimpfstoff gegen Influenza denkbar wie etwa gegen Masern, der vielleicht dann auch eine breiter und länger anhaltende Immunität gewährleisten könnte als bisherige Impfstoffe?
Für die Grippe haben wir schon Plattformen, die jedes Jahr angepasst werden, die gut funktionieren und erprobt sind. Es gibt auch abgeschwächte Lebendimpfstoffe für die saisonale Grippe, die sogar nasal verabreicht werden. Fraglich, ob man jetzt für H5N1 noch mal den Weg über einen Lebendimpfstoff geht. Einen Ansatz, der nahe an der klinischen Erprobung ist, kenne ich derzeit jedenfalls nicht. Diese Impfstoffe können auch nicht an Menschen mit geschwächtem Immunsystem verimpft werden.
Wird der aktuelle H5N1-Ausbruch in der Öffentlichkeit als zu dramatisch wahrgenommen?
Verständlicherweise fokussieren sich Medien immer sehr auf den neuen Ausbruch – wir müssen diesbezüglich auch sehr wachsam sein. Der aktuelle Ausbruch bei den Vögeln ist ja der längste, den die Veterinäre jemals gesehen haben. Er hält schon über Jahre an, während wir sonst auch bei den Tieren Infektionswellen beobachtet haben. Über die Zeit gab es global immer wieder Berichte über infizierte Säugetiere. Aber dass nun massenhaft Kühe infiziert sind, ist neu und war so nicht vorhersehbar, insbesondere, dass die Viruskonzentration in der Milch so hoch ist. Das müssen wir also genau beobachten und möglichst schnell eindämmen.
Aber wenn vor dem kommenden Winter jemand fragt: „Kann ich den H5N1-Impfstoff haben?“ Aus Angst vor einem größeren Ausbruch auch bei uns, obwohl es keine Infektionen gibt, dann würde man erläutern, dass es in Deutschland derzeit keine H5N1-Impfempfehlung für die Allgemeinbevölkerung gibt. Daraus ergibt sich aber auch die Gelegenheit zur Gegenfrage: „Sind Sie denn gegen die normale Grippe geimpft?“ Denn hier gibt es eine klare Impfempfehlung, die Krankheit- und Todesfälle der saisonalen Grippe verringert. Deshalb ist es wichtig, dass sich zumindest die Risikogruppen im Herbst gegen Influenza impfen lassen. (rnd)
Zur Person: Marylyn Addo ist Professorin und Institutsdirektorin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.