Bolton/UK – Britische Experten sorgen sich um die Ausbreitung der sogenannten indischen Corona-Variante B.1.617.2 im Vereinigten Königreich. In einigen Regionen sei die Mutante bereits dominant und habe die britische Variante B.1.1.7 überholt.
Eigentlich hatte Großbritanniens Premier Boris Johnson angekündigt, am 21. Juni alle Corona-Maßnahmen aufzuheben. Doch nun könnte sein Versprechen an der indischen Corona-Variante scheitern. Insgesamt ist die Zahl der Neuinfektionen landesweit zwar noch immer auf niedrigem Niveau. Die Sieben-Tage-Inzidenz – also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche – wurde zuletzt mit 24,9 angegeben (Stand: 28.5.2021). Doch inzwischen gehen die Zahlen der Neuinfektionen und Krankenhauseinweisungen wieder hoch.
Experten rufen zum Handeln auf
Unabhängige Experten in Großbritannien riefen deshalb dringend zum Handeln auf. Die Ausbreitung von B.1.617.2 erfordere eine sofortige Einleitung von Maßnahmen, um die Fallzahlen zu senken, teilte die als „Independent Sage“ bekannte Gruppe mit. Sie ist nicht identisch mit dem nur als „Sage“ (Scientific Advisory Group for Emergencies) bezeichneten offiziellen Expertengremium der Regierung. Schätzungen zufolge sei die indische Variante in Teilen des Landes bereits vorherrschend, hieß es in der Mitteilung von „Independent Sage“ am Mittwoch.
Es sei wahrscheinlich zu spät, um zu verhindern, dass sie sich im ganzen Land als dominant durchsetze. Daher empfehlen die Experten Maßnahmen wie zusätzliche Unterstützung für Menschen mit geringen Einkommen bei der Selbstisolierung, bessere Belüftungsmaßnahmen in Schulen und eine Rückkehr der Maskenpflicht in allen weiterführenden Schulen. „Das Risiko nichts zu tun und abzuwarten ist einfach zu hoch“, betonen die Experten. Wegen der Ausbreitung der Variante wird Großbritannien von der deutschen Bundesregierung seit Sonntag als Virusvariantengebiet eingestuft.
B.1.617.2 betrifft vor allem jüngere Menschen
Eine Grafik des Financial Times-Datenjournalisten John Burn-Murdoch zeigt den exponentiellen Anstieg der Corona-Infektionen mit der indischen Variante in einigen Regionen des Landes. Besonders betroffen sind derzeit die Städte Bolton, Blackburn und Bedford. In Bolton etwa liegt die Sieben-Tage-Inzidenz aktuell bei 449 Ansteckungen pro 100.000 Einwohner (Stand: 28.5.2021). Ende April lag der Wert noch bei knapp 50. Während zu diesem Zeitpunkt noch etwa gleich viele Infektionen auf die indische und auf andere Virus-Varianten zurückzuführen waren, ist B.1.617.2 in Bolton mittlerweile dominant. Die Ausbrüche hätten besonders in Vierteln von Bolton ihren Ausgang genommen, in denen die Impfrate sehr niedrig sei, analysiert der Datenjournalist auf Twitter.
Auffällig sei auch, dass sich jüngere Menschen häufiger mit der Variante infizierten. Bei älteren und vollständig Geimpften sei die Rate niedrig. „Es gibt keine Anzeichen, dass sich dieses Muster verändert und stützt Hinweise des Englischen Gesundheitsamtes, dass zwei Impfdosen B.1.617.2 gut standhalten können“, so Burn-Murdoch.
In Bolton könne man weiterhin gut sehen, dass die Impfungen in den älteren Bevölkerungsgruppen auch bei der indischen Variante Todesfälle wirkungsvoll verhindern können. Seit dem 1. April hat es 3387 Corona-Infektionen in der britischen Stadt gegeben. Im Zuge der zweiten Welle sind es im Herbst 3386 Fälle gewesen, 35 Menschen sind verstorben. Umgerechnet auf die Todesrate in jüngeren Bevölkerungsschichten geht Burn-Murdoch davon aus, dass von den aktuell Infizierten insgesamt neun Menschen sterben werden. „Eine Reduktion um 75 Prozent“, twittert der Journalist. Der Grund: Seit Anfang April haben sich verglichen mit der Welle im Herbst 75 Prozent weniger über-80-Jährige mit dem Virus infiziert.
Dennoch warnt Burn-Murdoch vor der weiteren Ausbreitung der indischen Variante: „Obwohl die Todesrate bei jüngeren Leuten viel niedriger ist, kann ein kleiner Prozentsatz ernsthaft erkrankter jüngerer Menschen innerhalb einer großen Gesamtanzahl (von Infizierten Anm. d. Red.) dennoch viele Hospitalisierungen und einige Todesfälle verursachen.“ Auch der Berliner Virologe Christian Drosten warnt: „B.1.617.2 macht Sorgen, großteils geimpfte Jahrgänge sind weitgehend geschützt. Nicht so die Jüngeren.“
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Vorherrschend bleibt in Deutschland laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) die zuerst in Großbritannien entdeckte Variante B.1.1.7, mit einem Anteil von 90 Prozent. Auch bei den Nachweisen der beiden weiteren als besorgniserregend eingestuften Mutanten (P.1/Brasilien und B.1.351/Südafrika) gab es im Vergleich zu früheren RKI-Berichten keine wesentlichen Veränderungen – sie bleiben auf niedrigem Niveau. In Deutschland wird nur ein Teil der positiven Proben auf Varianten untersucht. (mit dpa)