Erneute Medikamentenengpässe will Gesundheitsminister Lauterbach vermeiden und hat einen 5-Punkte-Plan vorgestellt. Er richtet auch einen Appell an Eltern.
Karl Lauterbach5-Punkte-Plan gegen Medikamente-Notstand – Apotheker sollen mehr selber mischen
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will gerade verspätet mit der Pressekonferenz beginnen, da schrillen die Sirenen. Das ist geplant, immerhin findet an diesem Donnerstag der jährliche Warntag statt. Die Handys im Raum tönen laut, sodass kaum etwas zu verstehen ist. Also wartet Lauterbach kurz, zeigt sein Handy, auf dem die Warnung auch angekommen ist und lacht.
Als die Sirenen langsam wieder leiser werden, wird der Gesundheitsminister wieder ernst. Lauterbach will von Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern von Ärzten, Apotheken und Pharmabranche berichten und erklären, wie er eine erneute Kinderarzneimittelknappheit verhindern will. Grundsätzlich blickt Lauterbach optimistisch auf den Herbst und Winter. Dank Produktionssteigerungen der Hersteller sei man nun deutlich besser aufgestellt als im Vorjahr, sagt er.
Im vergangenen Winter waren nach einer Infektionswelle Probleme bei Lieferungen von Kindermedikamenten wie unter anderem Fieber- und Hustensäften eskaliert. Eltern mussten mitunter mehrere Apotheken abklappern, um die Mittel für ihre kranken Kinder zu bekommen. Schon lange warnen Gesundheitsverbände, dass im Herbst und Winter wieder eine ähnliche Situation droht.
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Karl Lauterbach: Eltern sollen keine Hamsterkäufe tätigen
Am Donnerstag hat Lauterbach einen 5-Punkte-Plan vorgestellt, wie er das Problem angehen möchte. So sollen Apothekerinnen und Apotheker, Rezepturen selber herstellen und Darreichungsformen ändern dürfen, ohne dass die Krankenkasse Zuschläge verweigert. Darüber hinaus bekräftigt das Ministerium, dass die Höchstbeträge bei dringlichen Kinderarzneimitteln weiterhin ausgesetzt werden sollen, wie aus dem Papier hervorgeht. Vor allem appelliert das Bundesgesundheitsministerium an Eltern, keine Hamsterkäufe zu tätigen. Dann sei die Versorgung „weitgehend gesichert“, heißt es.
Mit Blick auf mögliche Hamsterkäufe verglich Lauterbach die Lage mit der Gaskrise im vergangenen Winter. Man müsse sich wie in der Gaskrise zusammen nehmen, sagt er und betont gleichwohl, dass die Infektionswellen eine große Rolle spielen. Wenn diese stark ausfielen, könnten Engpässe nicht komplett ausgeschlossen werden. Dann sollen dem Gesundheitsminister zufolge aber zusätzliche Importe ermöglicht werden.
Bei den Beratungen war auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin dabei: Jörg Dötsch mahnt, es müssten weitere Anstrengungen unternommen werden. Man stehe allerdings vor einer „günstigeren Ausgangssituation“.
30 Kinderpräparate sollen mit Hochdruck besorgt werden
Auf der Engpassliste des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stehen aktuell 510 Arzneimittel. Aufgezählt sind nur rezeptpflichtige Medikamente, die Meldung der Engpässe ist freiwillig. Das Institut erstellte kürzlich zudem eine „Dringlichkeitsliste“ mit rund 30 Kinderpräparaten, die mit höchster Priorität beschafft werden sollen. Darauf stehen unter anderem Antibiotika, Nasentropfen und Zäpfchen.
Die Vize-Chefin des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands, Nicola Buhlinger-Göpfarth, sagt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Die Situation rund um die Lieferengpässe bei wichtigen Medikamenten wird die Hausarztpraxen auch in diesem Herbst und Winter extrem fordern.“ Sie warnt: „Die Kuh ist nicht vom Eis.“ Das Problem betreffe nicht nur Medikamente für Kinder, sondern auch für Erwachsene. Die Pharmaindustrie habe zugesagt, dass sie ihre Produktionsmengen deutlich ausweiten wird. „Wir erwarten, dass den Ankündigungen jetzt Taten folgen“, so die Verbandsfunktionären. „Auch das Bundesgesundheitsministerium muss jetzt liefern.“
Grund für den Mangel ist Gesundheitsverbänden zufolge etwa der Aufholeffekt nach Corona. Die Immunität ging auch bei Kindern durch die Schutzmaßnahmen während der Pandemie zurück, sodass sich mehr Menschen Infektionen einfangen und Medikamente benötigen. Ein weiterer Grund für Engpässe ist die Abwanderung von Produktionsstätten nach Indien und China.
Vorräte für Medikamente – Hersteller müssen Reserven vorhalten
Um den Kostendruck auf Pharmaunternehmen zu senken, verabschiedete der Bundestag im Juni das Lieferengpassbekämpfungsgesetz. Es macht als Sicherheitspuffer Vorräte von mehreren Monatsmengen für vielgenutzte Mittel zur Pflicht. Preisregeln sollen gelockert werden, um Lieferungen nach Deutschland für Hersteller lohnender zu machen.
Trotz der verbesserten Lage könne man sich nicht zurücklehnen, sagt der Bundessprecher des Kinderärzte-Berufsverbands, Jakob Maske. Es seien konkrete Maßnahmen für die Behebung des Mangels nötig. Maske fordert unter anderem, dass Deutschland als Produktionsstandort attraktiv gemacht werden müsse.
Kritik an den Ankündigungen des Bundesgesundheitsministeriums übt CDU-Vize und Expertin für Familienpolitik, Silvia Breher: „Wenn Gesundheitsminister Lauterbach schon jetzt Familien auffordert, Medikamente nicht zu horten, ist das ein offenes Eingeständnis dafür, dass die bisher getroffenen Maßnahmen offensichtlich nicht wirken.“ Die CDU-Politikerin bekräftigt ihre Forderung nach einem Beschaffungsgipfel. „Als Union haben wir schon im Januar einen Beschaffungsgipfel mit langfristig wirkenden Maßnahmen, insbesondere auch für Kinder und Jugendliche, gefordert. Das ist bis heute nicht umgesetzt.“ Die aktuelle Situation sei eine erhebliche Belastung für die Eltern, Kinderärzte und Apotheken.
Ob drastische Engpässe mit dem 5-Punkte-Plan von Lauterbach ausgeschlossen sind, ist also unklar. Das Schrillen der Sirenen könnte man auch als Warnung vor dem Winter verstehen.