Wie Marlene geht es vielen Long-Covid-Patienten: Sie sind kurz davor, aufzugeben. Doch ihre Geschichte zeigt: Schon kleine Schritte versprechen Verbesserung.
Update zum Stand der ForschungKölnerin mit Post-Covid geht es besser – was ihr geholfen hat
Im vergangenen Dezember war der Tiefpunkt erreicht. „Ich hatte keine Hoffnung mehr“, sagt Marlene. Keine Energie mehr, mühsam all die Informationen über ihre Erkrankung zusammenzutragen. Keine Lust mehr, schon wieder vor einer Ärztin oder einem Arzt zu sitzen, die oder der auch nicht weiter weiß. Nach zwei Jahren Leid hatte Marlene, die eigentlich anders heißt, aufgegeben. Es war eine Freundin, die sie überredete: Noch ein letzter Arztwechsel, ein letzter Versuch, komm! Zum Glück hat Marlene sich aufgerafft. Denn seitdem sei zwar nicht alles, aber vieles besser geworden, sagt sie.
Marlene hat Long Covid, eigentlich ein sogenanntes „Post-Covid-Syndrom“. So heißt es in Fachkreisen, wenn die Symptome nach einer Corona-Erkrankung länger als drei Monate anhalten, neu oder wieder auftreten und anderweitig nicht erklärt werden können. Es ist nach wie vor unklar, wie viele Menschen betroffen sind, zu unsicher ist die Studienlage. Die WHO sprach im vergangenen Jahr von rund 36 Millionen Menschen, allein in der Europäischen Union.
Der „Brain Fog“ ist weg, das ist ein großer Fortschritt
Marlene ist eine davon, das weiß sie seit fast einem Jahr. Vor anderthalb Jahren begannen die Symptome. Als wir im vergangenen Spätsommer das erste Mal mit der damals 46-Jährigen sprachen, konnte sie sich höchstens drei Stunden am Stück konzentrieren. Ihre Tage verbrachte sie damit, dazusitzen, sie schlief viel. Lesen, Serien schauen, ein seltener Luxus, den ihre Konzentrationsschwierigkeiten kaum zuließen. Dazu Atemnot, Herzrasen, Reizhusten. Ihrem Beruf konnte Marlene nur sehr eingeschränkt nachgehen. Freunde traf sie kaum. An Sport war für die einst so Sportbegeisterte nicht mehr zu denken. Das Haus verließ sie, wenn überhaupt, für einen Arztbesuch.
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Heute, über ein halbes Jahr später, geht es ihr zwar nicht wieder so gut wie vor ihrer Erkrankung. Aber deutlich besser. „Mein Brain Fog hat sich fast komplett aufgelöst, das ist ein großer Fortschritt“, sagt Marlene. Sie arbeitet wieder, trifft Freunde, kann mit ihrer Familie etwas unternehmen. Darüber freut sie sich besonders. Was also ist seit Dezember passiert? „Ich habe eine Hausärztin gefunden, die meine Erkrankung ernst nimmt“, sagt Marlene. „Mit ihr bin ich Schritte gegangen, die für mich noch vor einigen Wochen undenkbar gewesen wären.“ Diese Ärztin habe bei ihr zum Beispiel eine Histamin-Unverträglichkeit festgestellt, sagt Marlene. Histamin dient dem Gehirn als Botenstoff. Es wird vom Körper selbst produziert und zusätzlich durch Nahrung aufgenommen.
Bei einer Histamin-Unverträglichkeit ist das Verhältnis zwischen dem Abbau von Histamin und seiner Produktion im Körper oder der Zufuhr durch Lebensmittel nicht im Gleichgewicht. Seit etwa zwei Monaten verzichtet Marlene deswegen auf eine Vielzahl an Lebensmitteln, die viel Histamin enthalten: Erdbeeren, Tomaten, Soja-Produkte oder Nüsse. „Kartoffeln gehen gut und Lachs auch“, sagt sie und lacht dann. „Ich muss an meinem neuen Speiseplan noch etwas arbeiten.“ Nur das Herzrasen und die Überlastung bei körperlicher Anstrengung sind geblieben. „Stress muss ich ganz vermeiden, sonst schlägt mein gesamtes System Alarm.“
Welche Ursache diese Reaktion haben könnte, weiß Marlene erst seit wenigen Tagen. Eine Untersuchung habe ergeben, dass ihre Zellen nicht mehr ausreichend Energie produzierten, erzählt die Long-Covid-Patientin, die Funktion ihrer Mitochondrien sei gestört. Mitochondrien sind wie kleine Kraftwerke, die sich in jeder Körperzelle befinden. Sie versorgen die Zellen mit der nötigen Energie. Und diese Energieproduktion kann durch eine Corona-Infektion eingeschränkt sein. Dadurch kann die Arbeit von Organen wie Herz oder Niere oder auch die Kraft der Muskeln beeinträchtigt werden, haben Studien aus den USA und den Niederlanden ergeben. „Das zu hören, war ein herber Rückschlag“, sagt Marlene.
Betroffene müssen lernen, ihr neues Energie-Level einzuschätzen – und zu akzeptieren
Vor allem, weil nicht klar ist, wie eine solche Schwäche der Zellen behoben werden kann. „Obwohl diese Störung der Mitochondrien sehr früh als einer von vielen möglichen Auslösern der Beschwerden bei Long Covid erkannt wurde“, sagt Pantea Pape, Ärztliche Direktorin des Cellitinnen-Krankenhaus St. Marien. Die Neurologin zählt zu den Expertinnen und Experten in Köln, die schon in einer frühen Phase der Corona-Pandemie die Langzeitfolgen der Viruserkrankung ins Auge gefasst haben. Am „Neurologischen Therapiecentrum“ und in der „Klinik für Neurologische und Fachübergreifende Frührehabilitation“ entwickelt und erforscht sie seither mit ihrem Team Reha-Maßnahmen für Long-Covid-Betroffene. Es gibt nicht die passende Therapie für alle, sagt Pape: „Manchen hilft Sport und Bewegung als Ausgleich, für andere kommt das gar nicht infrage.“ Konzentrationsübungen am PC, Massagen, Logopädie, Ergotherapie, auch solche Maßnahmen können auf dem Therapieplan stehen. Ziel sollte sein, mit der „Pacing-Methode“ oder „Fatigue-Tagebüchern“ Aktivitäten zu dokumentieren, um zu verstehen, welche Belastungen zu Zusammenbrüchen führen. Ein entscheidender Schritt sei es zudem, dass die Betroffenen lernen, ihr neues Energie-Level einzuschätzen – und zu akzeptieren.
Bislang beläuft sich die Therapie also auf eine Linderung der Symptome. „Es gibt noch keine Biomarker für Long Covid“, sagt Pape. Warum die einen nach einer Corona-Infektion Long Covid entwickeln und die anderen nicht, ist auch rund vier Jahre nach Ausbruch der Pandemie nicht klar. „Dass die Mitochondrien eine Rolle spielen, wissen wir zum Beispiel. Aber nicht jeder, der diese Dysfunktion hat, entwickelt deswegen automatische ein Fatigue-Syndrom“, sagt Pape. Das gilt auch für die Histamin-Unverträglichkeit, die im Zusammenhang mit Long Covid auftreten kann. „Natürlich gibt es Betroffene, bei denen eine histaminarme Ernährung zu einer Linderung der Symptome führt. Bei anderen aber hilft das womöglich nicht. Und gleichzeitig wissen wir nie ganz genau, ob die Symptome mit der Zeit nicht auch ohne diese veränderte Ernährung zurückgegangen wären.“ Eine Studie, die diesen Zusammenhang geprüft hat, gibt es bislang nicht.
Die sei aber dringend notwendig, beispielsweise um einen Placeboeffekt auszuschließen, sagt die Infektiologin Clara Lehmann von der Uniklinik Köln. „Es handelt sich hier um einzelne Anekdoten. Das ist genau, was uns nicht weiterhelfen wird, um Wissen und Evidenz zu generieren.“ Ein Problem, das viele Fragen zum Thema Post-Covid betrifft. Auch die Wirksamkeit von Medikamenten mit dem Wirkstoff Nirmatrelvir, von Apharese oder Antikörpertherapie sind bisher nicht ausreichend durch Studien überprüft worden, obwohl es erste positive Erkenntnisse über die Verwendung gab. Der Forschungsbedarf ist also enorm.
Lehmann leitet die Infektionsambulanz an der Uniklinik Köln, wie Pape beschäftigt sie sich schon lange mit den Ursachen und den Behandlungsmöglichkeiten des Post-Covid-Syndroms. Etwa zwölf Monate dauert es, bis die meisten Menschen wieder gesund werden, haben ihre Untersuchungen ergeben. Auch, wenn sich die Art der Symptome im Verlauf der Zeit verändern könnten. Und Müdigkeit und Atemnot oft bestehen blieben. Bislang arbeiten Ärztinnen und Ärzte bei Verdacht auf Post Covid nach Ausschlussverfahren, um keine andere Erkrankung zu übersehen, die die Symptome stattdessen auslösen könnte. „Das ist sehr zeitaufwändig“, sagt Lehmann.
Es gibt verschiedene Hypothesen, wie es zu Long Covid kommen kann
Es gibt inzwischen mehrere Hypothesen, wie es zu den langanhaltenden Beschwerden nach einer Corona-Infektion kommen kann: „Das Immunsystem könnte weiterhin aktiviert bleiben, zum Beispiel durch Reste von nicht mehr aktiven Krankheitserregern“, sagt Lehmann. Es könnten Probleme auftreten, bei denen das Immunsystem fälschlicherweise körpereigene Zellen angreift, was durch die Infektion ausgelöst wird. Veränderungen im Gleichgewicht der Darmbakterien könnten ebenfalls eine Rolle spielen. „Manche Symptome könnten auch durch bleibende Schäden an Organen entstehen, die während der Infektion entstanden sind“, sagt Lehmann. Das Corona-Virus könne zum Beispiel direkt Nervenzellen befallen und zu einer Entzündungsreaktion im Gehirn führen, was zu Konzentrationsproblemen und anhaltender Müdigkeit beitragen kann.
Ein Lichtblick: „Insgesamt ist das Post-Covid-Syndrom deutlich weniger häufig, wir gehen davon aus, dass die Fallzahlen niedriger liegen als in der Anfangsphase der Pandemie“, sagt Clara Lehmann. „Dennoch ist klar, dass es nicht verschwunden ist.“ Es ist also noch ein langer Weg.