BA.5 oder BA.4Wie oft kann man sich mit den neuen Omikron-Varianten infizieren?
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Köln/Bonn – Wieder machen neue Omikron-Untervarianten von sich reden und sorgen für eine steigende Zahl an Infektionen. Laut Robert Koch-Institut (RKI) lag in der 23. Kalenderwoche der Anteil der Omikron-Subvariante BA.2 nur noch bei 50 Prozent. Das aktuell stärkste Wachstum zeigt der Anteil der BA.4- und BA.2.12.1-Varianten und auch BA.5 stieg auf knapp 24 Prozent. Anhand der rasanten Verdopplungszahlen gehen Experten davon aus, dass die Untervariante BA.5 bei uns derzeit vorherrschend ist. Da stellt sich vielen wieder einmal die Frage: Wie oft kann man sich mit demselben Virus anstecken?
Kann man sich nochmal mit BA.5 oder anderen Varianten infizieren, obwohl man schon Omikron hatte?
„Reinfektionen, also Mehrfachansteckungen, mit einem Virus der Omikron-Sublinie nach vorangegangener Infektion mit einem Virus einer anderen Omikron-Variante sind möglich. Die Daten hierfür verdichten sich mehr und mehr. Der Abstand kann mitunter wenige Wochen betragen", sagt Professor Annas Maria Eis-Hübinger. Die Virologin forscht am Universitätsklinikum Bonn unter anderem die Variationen und Mutationen des Virus'.
Ob geimpft, geboostert, genesen: Seit Omikron das Infektionsgeschehen dominiert, stecken sich laut Robert-Koch-Institut (RKI) etwa fünf mal mehr Menschen nochmal mit dem Coronavirus an, als das noch bei Delta der Fall war. Das liegt vermutlich daran, dass sich die Omikron-Viren besonders stark von den bisherigen Varianten unterscheiden. Experten vermuten: Je größer die Unterschiede, desto wahrscheinlicher ist es, dass man sich erneut ansteckt, ohne zwangsläufig schwer zu erkranken.
Eine Studie über BA.1 und BA.2 aus Dänemark bestätigt: Es ist grundsätzlich möglich, sich in kurzen Zeitabständen zweimal hintereinander mit Omikron zu infizieren. Meist sei das der Fall „bei jungen, ungeimpften Personen mit leichter Erkrankung“, heißt es in der Studie. „Wir liefern also den Beweis dafür, dass BA.2-Infektionen mit Omikron kurz nach einer BA.1-Infektion auftreten, aber selten sind.“ Häufiger sei, wer sich mit einem dieser Omikron-Subtypen infiziert hat, eine Zeit lang zu etwa 95 Prozent vor einer Reinfektion geschützt. Mit der Zeit nehme der Schutz vor einer erneuten Infektion ab, allerdings langsamer als nach Impfungen.
Experten vermuten allerdings, dass die Subtypen BA.4 und BA.5 wieder häufiger zu Reinfektionen führen könnten. Weil die beiden Varianten eine hohe Fähigkeit besitzen, die Immunantwort zu umgehen, sind sie zwar ansteckender aber laut EU-Gesundheitsbehörde ECDC nicht gefährlicher, als die bislang vorherrschende BA.2.-Omikronvariante.
Woran liegt es, dass mehr Reinfektionen vorkommen?
„Es deutet vieles darauf hin, dass sehr milde Verläufe weniger gut vor neuen Infektionen schützen, das Risiko für schwerere Verläufe aber nach wie vor gering ist“, sagt Dr. med. Christoph Boesecke, Oberarzt an der Infektiologischen Abteilung der Uniklinik Bonn. Durch den meist milden Verlauf bei Omikron sei die Immunabwehr geringer, sprich: es werden weniger Antikörper und T-Gedächtniszellen gebildet, die eine Neuinfektion abwehren können. „Wer schon einmal an Omikron erkrankt ist, ist nicht zwangsläufig vor Subvarianten geschützt.“ Zwar hatte der Körper die vorherige Virusvariante bekämpft und neutralisiert, aber das Immunsystem ist dann auf diese eingestellt, die neue Variante könne zumindest in Teilen dem Immunschutz entkommen. Auch kurz nach einer vorherigen Infektion.
Wie eine Studie aus Quatar zeigt, schützt aber auch eine Infektion mit einer Delta- oder anderen früheren Variante nicht besser vor einer Omikron-Ansteckung, nämlich nur zu maximal 56 Prozent. Bei der Delta-Variante lag der Schutz noch bei 92 Prozent.
Noch ein Grund: Die Omikron-Variante trägt mehr als 50 Erbgutveränderungen, davon 30 Mutationen im so genannten Spike-Protein, mit dem das Virus an der menschlichen Zelle andockt. Und auf das die Impfstoffe der ersten Generation abzielen. Verändert sich ein Virus in der Art, dass Antikörper von Genesenen und Geimpften weniger gut ansprechen, nennt man das Immunflucht. Erste Daten deuten darauf hin, dass BA.4 und BA.5 Varianten des gemeinsamen Omikron-Vorläufers sind, und nicht von BA.1 bis BA.3 abstammen, was eine Immunflucht wahrscheinlicher mache, die wiederum Reinfektionen begünstigt.
Daneben hat eine US-amerikanische Studie gezeigt, dass auch die Anzahl der Kontakte mit dem Virus entscheidend sein kann, ob und wie oft man sich ansteckt. Und dass der dreifache Kontakt mit dem Virus den besten Schutz zu bieten scheint. Dreifach geimpfte Teilnehmer reagierten nämlich ähnlich auf Omikron, wie Genesene, die zweifach geimpft wurden. Bei Menschen, die nur zwei Impfdosen erhalten hatten, fiel die Immunantwort deutlich geringer aus.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, sich mehrfach zu infizieren?
Ob sich jemand mehrfach infiziert, „hängt sehr stark von verschiedenen individuellen Bedingungen ab: Vom Alter, davon, ob man an einer Vorerkrankung leidet, von der Blutgruppe, vom Genesenen- oder Impfstatus und wie lange beides her ist“, sagt Boesecke. Vor allem Ältere und Menschen, die chronisch erkrankt sind und/oder Medikamente einnehmen, die die Immunabwehr herunterfahren, stecken sich leichter an. Auch Personen, die bereits eine Infektion mit Alpha- oder Delta-Variante durchgemacht, aber keinen vollständigen Impfschutz haben, laufen erhöhte Gefahr, an Omikron zu erkranken. Auch mehrfach.
Was bedeutet das für geboosterte und ungeimpfte Genesene?
Egal mit welcher Corona-Variante sie sich infiziert hatten: „Ungeimpfte Genesene sollten sich dringend entsprechend der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission impfen lassen. Denn da die Immunantwort im Fall von Omikron ohnehin schwächer ist, geht sie auch früher verloren. Vor allem die Drittimpfung steigert die Abwehr gegen Omikron erheblich und schützt sehr gut vor einem schweren Krankheitsverlauf", appelliert Boesecke. Eine US-amerikanische Studie gibt ihm Recht: Laut dieser ist die Wahrscheinlichkeit für Ungeimpfte, sich erneut zu infizieren, mehr als doppelt so hoch wie für Genesene, die zusätzlich vollständig geimpft sind.
Wie lange bleibt man nach einer Infektion und/oder Impfung immun?
Eine Analyse der US-Gesundheitsbehörde CDC zeigt: In der Omikron-Phase der Pandemie nahm der Schutz einer Zweifachimpfung vor Behandlungen in der Notaufnahme von 69 Prozent innerhalb von zwei Monaten nach der Impfung auf 37 Prozent nach fünf Monaten ab. Wurde eine dritte Impfdosis verabreicht, konnte der Schutz gesteigert werden. Zwei Monate nach der Auffrischungsimpfung betrug er 87 Prozent und sank nach vier bis fünf Monaten auf 66 Prozent, nach fünf Monaten waren es nur noch 31 Prozent. Was den Schutz vor Klinikaufenthalten betrifft: Nach zwei Monaten lag die geschätzte Wirksamkeit der Zweifachimpfung bei 71 Prozent und ging nach fünf Monaten auf 54 Prozent zurück. Dreifachgeimpfte hatten zwei Monate nach der Impfung einen Schutz von 91 Prozent und nach vier Monaten von 78 Prozent.
Boesecke: „Die Impfung schützt aufgrund der zellulären Immunabwehr, die wesentlich robuster gegenüber Immunflucht-Mutationen ist, immer noch zu einem hohen Grad vor schweren Verläufen, auch bei BA.2. und BA.5."
Was bedeuten Reinfektionen für den Pandemie-Verlauf?
Vor allem impfskeptische Menschen haben auf eine natürliche Immunität durch Ansteckung spekuliert, die so genannte Durchseuchung. Die ist mit der Tatsache, dass sich Menschen vor allem an der Omikron-Variante mehrfach anstecken können, offenbar passé. Und dient auch als Begründung für die Entscheidung des RKI, den Genesenen-Status von Menschen, die bereits eine Corona-Infektion durchgemacht haben, von sechs auf drei Monate zu verkürzen.
Boesecke: „Die so genannte Durchseuchung ist sehr kurz gedacht, und wird nicht den gewünschten Effekt bringen, da die Immunantwort von Omikron zu schwach ist, nicht lange anhält und nicht so effizient wie nach der vollständigen Impfung ist, die einen deutlich höheren und dauerhafteren Schutz bietet als eine Erkrankung.“ Das bestätigt auch Björn Jensen: „Gerade eine Kombination von vollständiger Impfung, idealerweise angepasst an die jeweils vorherrschende Variante, und im Verlauf stattfindenden – nach vorherigen Impfungen milden – Infektionen werden zu einer Situation führen, in der SARS-CoV-2 nur noch ein Virus unter anderen Erkältungsviren wird, um das wir Ärzte uns kümmern müssen. Derzeit kann keiner von uns genau vorhersagen, was die nächsten Monate bringen – allerdings gibt es sicher im Moment einige Entwicklungen, die uns Grund für einen hoffnungsvollen Ausblick geben!“