Weltkrisen, Jobanforderungen, private Probleme: Wankt die Psyche, wirkt sich das auch auf den Körper aus. Dagegen sind wir nicht machtlos.
Überall Krise!Wie wir unsere Psyche gut durch herausfordernde Zeiten navigieren
In Deutschland dominiert politisches Chaos die Schlagzeilen. Da sind die Kriege - etwa in der Ukraine, in Nahost. Trump kommt wirklich wieder. Geflüchtete wissen nicht, wohin. Wohngebiete in Spanien stehen komplett unter Wasser, politisch tut sich trotz düsterer Klimawandel-Szenarien wenig. Die Corona-Pandemie? Ist gar nicht mal so lange her. Wer die Nachrichten verfolgt, bekommt momentan selten gute Laune. Und in der Tat: Das spiegelt sich in unserer inneren Verfassung wider. Die seelische Not im Land wird immer größer.
Einflüsse von außen belasten die Psyche
Darauf weisen Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) hin. Nach tausenden Telefoninterviews mit monatlich rund 1000 bis 3000 Erwachsenen zwischen 2021 und 2024 kommt Deutschlands oberste Gesundheitsbehörde zu keinem guten Ergebnis. „Insgesamt zeigen sich negative Entwicklungen des psychischen Gesundheitszustands in der Bevölkerung“, heißt es im zugehörigen Bericht, der im August 2024 veröffentlicht wurde. „Ab Spätsommer 2022 überschritten etwa 20 Prozent, Ende 2023/Anfang 2024 etwa 22 Prozent der Bevölkerung den Schwellenwert einer auffälligen Belastung durch depressive Symptome, womit sich dieser Anteil gegenüber 2019 verdoppelt hat.“
Woran liegt das? Das RKI selbst räumt ein, das müsse vorsichtig interpretiert werden. Mögliche Ursachen könnten nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Dazu zählten saisonale Schwankungen, langjährige Trends und komplexe Effekte kollektiver Ereignisse - darunter Krisen wie die Pandemie, die wirtschaftliche Lage, Kriege, die Klimakrise.
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Die eigene Erwartungshaltung als Stressfaktor
Auch der Job fordert die Psyche vieler Menschen in Deutschland zunehmend - wie Krankenkassendaten belegen. 43 Prozent der Berufstätigen fühlen sich im Job häufig hohem Druck und Belastungen ausgesetzt, zeigt eine Forsa-Umfrage im Auftrag der KKH Kaufmännische Krankenkasse.
Stresstreiber sei weniger der Job selbst. Sondern vor allem Anforderungen an die eigene Person, aber auch Erwartungshaltungen anderer. Belastend könnten auch die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sein, auch ein geringes Gehalt. Rund jeder vierte Erwerbstätige sei schon einmal aufgrund von hohem Druck und Belastungen im Berufsleben ausgefallen. Die Zahl der Fehltage wegen Burnout bewegten sich seit 2022 „auf einem hohen Niveau“, mit elf Tagen pro 100 Erwerbstätigen, heißt es in einer entsprechenden Pressemitteilung.
Ist die Psyche gestresst, leidet auch die körperliche Gesundheit
Ob nun von außen durch Weltkrisen bedingt, von innen durch die eigene Anspruchshaltung hervorgerufen: Dauerhafter oder häufig wiederkehrender Stress kann eine ganze Reihe von Erkrankungen begünstigen. Bluthochdruck, koronare Herzkrankheiten, Typ-2-Diabetes, Kopf- und Rückenschmerzen, Hörsturz, Angststörungen, Depressionen etwa, wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung festhält.
Chronische Belastungen mit fehlenden Erholungspausen können auch zu einer Schwächung der immunologischen Abwehr führen. „Der Organismus ist dann insgesamt anfälliger für Infekte und andere Erkrankungen.“ Menschen in Belastungssituationen tendierten außerdem zu gesundheitsschädigenden Verhaltensweisen wie Rauchen, Alkoholkonsum, ungesunder Ernährung und Bewegungsmangel.
Stress kann auch stark machen
Die gute Nachricht: Es gibt Strategien, mit denen man sich rüsten kann, wenn psychische Belastungen zunehmen. Die Psychologie spricht da von der sogenannten „Resilienz“: also der Fähigkeit, möglichst widerstandsfähig gegen psychische Belastungen zu sein. Zwar hängen 30 bis 50 Prozent der Resilienz von genetischen Voraussetzungen ab, erklärte die psychologische Psychotherapeutin Isabella Helmreich dem RND. Sie leitet den Bereich „Resilienz und Gesellschaft“ am Leibniz-Institut für Resilienzforschung (LIR) in Mainz. Auch das Umfeld, in dem man aufwächst, prägt den Umgang mit Stress. Aber auch der eigene Einsatz ist relevant. „Resilienz ist trainier- und veränderbar, bis ins hohe Lebensalter“, betont die Wissenschaftlerin.
In der Stressforschung ist man sich inzwischen einig, dass nicht die Art einzelner Strategien ausschlaggebend ist. Ein „breites Repertoire“ an Strategien, das man flexibel einsetzen könne, sei entscheidend, erklärt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Unterstützt werde diese Flexibilität durch persönliche und soziale Ressourcen, die einer Person zur Verfügung stehen, beispielsweise soziale Netzwerke, finanzielle Reserven, externe Hilfeangebote. Helmreich nennt konkret folgende Dinge, die dabei helfen können, resilienter zu werden:
Die eigenen Akkus regelmäßig wieder aufladen: Man darf auch in schwierigen Zeiten schöne Dinge machen und sich darüber freuen. Ein schlechtes Gewissen braucht man deshalb nicht zu haben.Das eigene Leben weiterführen: Freie Kraftressourcen dafür einsetzen, sich zu engagieren und anderen zu helfen.Lieber zweimal am Tag gezielt Zeit nehmen, um sich mit der Weltlage auseinanderzusetzen statt permanent: Am besten nicht direkt nach dem Aufstehen oder unmittelbar vor dem Schlafengehen.Sich bei belastenden Themen mit anderen austauschen. So gerät man nicht in eine Abwärtsspirale und sieht nur noch das Schlechte.Die Aufmerksamkeit gezielt auch auf positive Nachrichten und Ereignisse richten. So kann man sich auch Zeit dafür einplanen, Berichte über erfreuliche Ereignisse zu lesen – etwa Erfolgsgeschichten im Naturschutz oder über soziales Engagement.Es kann helfen, sich abends die schönen Erlebnisse des Tages aufzuschreiben. Schon von der Kichererbsen-Übung gehört? Dabei steckt man sich eine Handvoll in die Hosentasche. Immer, wenn im Lauf des Tages etwas Schönes passiert, lässt man eine Kichererbse von der einen Hosentasche in die andere wandern. So lässt sich das Gehirn auch auf das Wahrnehmen der positiven Momente im Leben trainieren.
Trotz Schwäche: Gut zu sich selbst sein
Geht es um innere Widerstandskraft, ist eines besonders wichtig: eine wohlwollende Haltung sich selbst gegenüber. Zu diesem Schluss kommt zumindest ein Forschungsteam der Duke University in Durham (USA). Dieses hatte über vier Jahre hinweg die dynamische Beziehung zwischen Stress, Selbstmitgefühl und Resilienz bei 1137 Universitätsstudierenden, die besonders oft über psychische Belastungen berichten, untersucht.
„Im Gegensatz zu der weit verbreiteten Annahme, dass Stress schwächend wirkt, zeigten die Ergebnisse einen positiven Zusammenhang zwischen einer Zunahme von Stress und einer anschließenden Zunahme des Selbstmitgefühls“, resümieren die Forschenden die 2024 in der Fachzeitschrift „Social and Personality Psychology Compass“ erschienenen Studie. „Wenn das Stressniveau parallel zum Selbstmitgefühl anstieg, zeigten die Studierenden zudem eine höhere Widerstandsfähigkeit.“ Das heißt also auch: Stress muss nicht zwangsläufig vermieden werden. Unter den richtigen Bedingungen kann er sogar positiv wirken - und die innere Widerstandsfähigkeit stärken.
Habe ich phasenweise schlechte Laune oder schon Symptome einer Depression? Ein Selbsttest ist auf der Homepage der Deutschen Depressionshilfe zu finden. Unter der Stiftungstelefonnummer 0800 / 33 44 533 bekommt man ebenfalls Hilfe. Montag, Dienstag, Donnerstag: 13 bis 17 Uhr. Mittwoch und Freitag: 8.30 bis 12.30 Uhr.