Peinliche StilleWie redet man jemanden an, dessen Name einem entfallen ist?
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Aber bitte mit Stil! In unserer Kolumne „Wie geht’s?“ dreht sich alles um das richtige Verhalten. Ob bei offiziellen Anlässen, beim Essen, im Gespräch oder vor dem Kleiderschrank.
Protokollchefin i.R. Ingeborg Arians, Redakteurin und Modeexpertin Eva Reik, Restaurant-Chef Vincent Moissonnier sowie Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch schreiben abwechselnd über das richtige und stilvolle Auftreten.
Diesmal erklärt Ingeborg Arians, was Sie tun sollten, wenn Sie jemanden treffen, Ihnen aber partout dessen Name nicht einfallen will.
Köln – „Guten Tag, gnädige Frau!“ Als ich kürzlich diese Anrede hörte, fühlte ich mich mit einem Mal uralt. Vor meinen Augen tauchte Margaret Rutherford alias Miss Marple mit ihrem Kompotthütchen auf, bei der ich mir eine solche Anrede gut vorstellen konnte. Aber bei mir? Dabei hatte es mein Gegenüber, ein Herr der alten Schule mit formvollendeten Manieren - doch so gut gemeint. Erkennbar hatte er meinen Namen vergessen, wollte aber dennoch nicht auf eine freundliche und höfliche Begrüßung verzichten. Wäre mir ein einfaches „Guten Tag“ lieber gewesen, womöglich gefolgt von einer kleinen Kunstpause? Vielleicht. Dann hätte ich den Gruß erwidern und ganz nebenbei meinen Namen erwähnen können: „Wie schön Herr Schmitz, Sie hier zu treffen. Sie wissen doch, ich bin Ingeborg Arians.“ Oder ich hätte die launige Variante wählen können: „Sie können mich ruhig nach meinem Namen fragen, ich habe Ihren auch vergessen.“ Das empfiehlt sich aber nur, wenn sonst keiner zuhört, weil es sonst leicht brüskierend wirkt. Wie gehe ich generell mit der Situation um, wenn ich jemandem begegne, den ich schon lange kenne, dessen Name mir aber gerade nicht einfällt – erst recht, wenn das Gesicht, jetzt häufig durch eine Schutzmaske verdeckt, nicht zweifelsfrei wiederzuerkennen ist?
Am besten bleibe ich bei der Wahrheit und sage: „Guten Tag, es tut mir leid, mir fällt Ihr Name gerade nicht ein. Bitte helfen Sie mir! Ich heiße ….“ Ihr Gegenüber, das vielleicht in der gleichen Situation ist, wird Sie freudig begrüßen und Ihnen bereitwillig seinen/ihren Namen nennen.
Ingeborg Arians, geboren 1954, hat Sprachen und Volkswirtschaftslehre studiert und ist Dipl.-Übersetzerin für Französisch, Spanisch und Englisch. Von 1986 bis 2019 war sie Leiterin der Abteilung Repräsentation und Protokoll im Amt der Oberbürgermeisterin der Stadt Köln. In dieser Zeit arbeitete sie für insgesamt vier Oberbürgermeister und die amtierende OB Henriette Reker.
Und wie ist das in der Welt der Würdenträger? Dass Sie im Alltag der Queen oder dem Papst persönlich begegnen, ist ja eher unwahrscheinlich (es sei denn, Sie gehören zur Equipe des Kölner Dreigestirns). Schon eher könnten Sie die Kölner Oberbürgermeisterin auf dem Wochenmarkt treffen, den Stadtdechanten auf dem Weg zum Dom oder den polnischen Generalkonsul beim Spaziergang am Rheinufer. Wie ist dann die korrekte Anrede? Alle hier genannten Persönlichkeiten haben eines gemeinsam: Sie bekleiden ein öffentliches Amt, in das sie gewählt oder zu dem sie ernannt wurden. Abgesehen von der Intention, diesen Menschen mit Höflichkeit zu begegnen, zollen Sie ihnen mit Ihrer Anrede Respekt und Anerkennung für die Aufgabe, die sie ausüben.
Deshalb stellt man bei der persönlichen Anrede den Titel oder die Amtsbezeichnung vor den jeweiligen Familiennamen. Dies gilt insbesondere für die hohen Ämter in der EU, im Bund, den Ländern, den Kommunen, aber auch bei den Religionsgemeinschaften, der Wissenschaft und der Diplomatie. Wobei strenge, durch Hierarchie geprägte Gepflogenheiten heute vielfach durch praxisnahe Formen abgelöst wurden. Sprach man früher den Kölner Erzbischof mit dem Titel Eminenz und den Rektor der Universität mit Magnifizenz an, so heißt es heute eher Herr Kardinal Woelki oder Herr Professor Freimuth. Auch sind die weiblichen Sprachformen inzwischen selbstverständlich – spätestens seit Deutschland eine Bundeskanzlerin hat oder Köln mit Henriette Reker eine Oberbürgermeisterin.
In unserer Kolumne beantworten vier Experten abwechselnd in der Zeitung Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Ingeborg Arians, Protokollchefin der Stadt Köln a.D., weiß, wie man sich bei offiziellen Anlässen richtig verhält. Journalistin Eva Reik kennt sich bestens aus mit Mode und der passenden Kleidung zu jeder Gelegenheit. Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, hat die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete. Und Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren. (jf)
Etwas komplizierter ist es mit den Ehrentiteln, akademischen Graden und – immer wieder eine Fußangel - Adelstiteln. Da steckt der Teufel so sehr im Detail, dass ich mich damit noch einmal eigens befassen werde. Als Faustregel an dieser Stelle nur so viel: „Ober sticht Unter“ – wie beim Skat. Einen promovierten Juristen, der einen Lehrstuhl an der Universität bekleidet, würden Sie also mit „Herr Professor“ anreden. Ohne Professorentitel bleibt es beim „Herrn Doktor“ – und, bitte, immer in Verbindung mit dem Familiennamen. Sonst sind Sie nämlich ungewollt im Wartezimmer beim „Onkel Doktor“ gelandet.