„Schwiegertochter gesucht“Anwältin erklärt: Hier sind die TV-Macher zu weit gegangen
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Mit zwei eingeschleusten Kandidaten und versteckter Kamera hat Jan Böhmermann enthüllt, wie skrupellos die Macher der RTL-Reality-Show „Schwiegertochter gesucht“ vorgehen. Aber ist ein solcher Umgang mit Kandidaten noch erlaubt, oder schon teilweise rechtswidrig? Rechtsanwältin Renate Schmidt von der Kölner Kanzlei „Wilde Beuger Solmecke“ klärt auf, was hinter den fragwürdigen Klauseln und Methoden der RTL-Produktion steckt:
Die Kandidaten sollten eidesstattlich versichern, ob sie geistig behindert sind. Darf man voraussetzen, dass sie das selbst einschätzen können? Hätten die Redakteure das nicht nachprüfen müssen?
Renate Schmidt: Meiner Einschätzung nach muss man viel früher ansetzen und fragen, ob die Redakteure überhaupt nach einer geistigen Behinderung fragen durften. Auf diese Weise werden Daten erhoben, die zu einer unzulässigen Benachteiligung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz führen können, wie eben zum Beispiel die Kenntnis über eine Behinderung.
Aber natürlich gilt es auch zu beachten, dass eine vertragliche Einwilligung des Betroffenen in die Teilnahme an einer solchen Produktion immer nur insoweit rechtlich anzuerkennen ist, wie die Situation von dem Einwilligenden tatsächlich überschaut werden kann. So müsste im Einzelfall genau überprüft werden, ob der jeweilige Kandidat aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten überhaupt in der Lage war, abzusehen, worauf er sich einlässt. So kann das mediale Zurschaustellen privater und intimer Umstände durchaus eine Verletzung der Menschenwürde des Kandidaten darstellen.
Das ist Renate Schmidt
Renate Schmidt ist Rechtsanwältin in der Kölner Medienrechtskanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte sind die Beratung von Medienunternehmen, Agenturen und Künstlern im gesamten Bereich des Urhebervertragsrechtes sowie das Konfliktmanagement.
Außerdem wurde gefragt, ob die Kandidaten Alkoholiker sind. Der Kandidat bzw. dessen Vater gaben zwar mündlich an, 8 Bier täglich zu trinken, doch die Redakteurin sagte ihm, er solle trotzdem „Nein“ ankreuzen. Ist so eine Beeinflussung zulässig?
Nun, auch hier ist bereits fraglich, ob die Frage zum Alkoholkonsum überhaupt erlaubt ist, denn die Frage nach dem Alkoholkonsum oder gar einer Alkoholabhängigkeit ist nicht ohne Weiteres statthaft. Suchtkranke Menschen gelten regelmäßig als behindert und der Frage nach einer Behinderung oder einer Schwerbehinderteneigenschaft sind enge Grenzen gesetzt. Zulässig ist die Frage nach dem Alkoholkonsum nur, wenn die vom Bewerber angestrebte Tätigkeit, wie zum Beispiel Busfahrer, zwingend voraussetzt, dass dieser nicht alkoholabhängig ist. Das ist bei einem Sendeformat wie „Schwiegertochter gesucht“ nicht der Fall. Da die Kandidaten in aller Regel auch noch versichern müssen, dass sie wahrheitsgemäße Angaben machen, ist solch eine Beeinflussung nicht zulässig.
Der Vater hatte seine Lesebrille nicht dabei, um den Vertrag zu lesen. Er bat darum, dieser möge ihm von der Redakteurin vorgelesen werden. Das verweigerte diese und sagte ihm, sie habe ihm ja alles erklärt. Ist solch ein Vorgehen zulässig?
Bei dem Vertrag dürfte es sich um sogenannte Allgemeine Vertragsbedingungen handeln, die dafür bestimmt sind, vielfach verwendet zu werden. Das Gesetz verlangt, dass der Verwender eines solchen Vertrages dem Vertragspartner vorab die Möglichkeit verschaffen muss, in zumutbarer Weise vom Inhalt des Vertrages Kenntnis zu nehmen. Tut er das nicht, riskiert er, dass der Vertrag nicht wirksam ist. Hier hätte die Redakteurin daher auf den Wunsch des Vaters eingehen müssen.
Die Kandidaten konnten auf Anfrage keine Ausweise vorzeigen, daran störten sich die Redakteure aber nicht. Geht das bei einem Vertragsabschluss?
Es gibt keine rechtliche Bestimmung, die die Vorlage eines Personalausweises bei dem Abschluss von Verträgen dieser Art verlangt. Aber es stand den Redakteuren natürlich frei, sich vor dem Vertragsabschluss die Ausweise der Kandidaten zeigen zu lassen.
Die Redakteure legten dem Kandidaten Worte in den Mund, gaben ihm Sätze vor. Ist das erlaubt? Was, wenn sich der Kandidat diesbezüglich weigern würde?
Das ist grundsätzlich durchaus erlaubt, denn der Anspruch ist ja nicht, eine wahrheitsgemäße Dokumentation zu zeigen, sondern ein Scripted-Reality Format. Bei Scripted-Reality-Formaten ist allerdings oft nur schwer zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden. Daher hatten sich die Landesmedienanstalten und die Mitgliedsunternehmen des Verbands Privater Rundfunk und Telemedien e.V. (VPRT) 2014 über „Leitlinien für die Kennzeichnung und deren Wahrnehmbarkeit bei Scripted-Reality-Formaten“ geeinigt. Danach sollten Scripted-Reality Sendungen zum Beispiel im Abspann als solche gekennzeichnet werden. Auf diese Weise sollte für den Zuschauer mehr Transparenz und Orientierung geschaffen werden. Die Kennzeichnung jedoch ist bislang freiwillig. Nach #verafake wird hierüber sicherlich erneut heftig diskutiert werden.
Sollte sich ein Kandidat weigern, gewisse Sätze oder Wörter in der Sendung zu sagen, so könnte der Sender ihn womöglich von der weiteren Teilnahme ausschließen mit der Folge, dass der Kandidat dann auch die Aufwandsentschädigung nicht erhält.
Für bis zu 30 Drehtage gab es gerade mal 150 Euro Aufwandsentschädigung, also umgerechnet fünf Euro pro Tag. Ist das nicht eine Form des Dumpings? Gibt es Untergrenzen, die hier verletzt wurden?
Die Frage lässt sich leider nicht pauschal beantworten. Es gilt der Grundsatz der Privatautonomie. Daher steht es den Vertragsparteien grundsätzlich frei, ihre Lebensverhältnisse im Rahmen der Rechtsordnung durch Rechtsgeschäfte eigenverantwortlich zu gestalten. Hierbei kommt es immer auf den konkreten Einzelfall an. Fünf Euro pro Tag als Aufwandsentschädigung erscheinen erst einmal wenig.
Zu berücksichtigen sind jedoch auch etwaige Vorteile, welche den Kandidaten zu dem Vertragsabschluss bewegt haben mögen. Da die Begleitumstände und die einzelnen Vertragsbedingungen nicht bekannt sind, kann eine abschließende Stellungsnahme nicht vorgenommen werden.
RTL hat den Kandidaten keine Kopie des Vertrags übergeben nach der Unterzeichnung, sondern erst Wochen später eine solche zukommen lassen. Eigentlich nicht zulässig, oder?
Grundsätzlich hat bei einem schriftlichen Vertrag jeder Vertragspartner zumindest eine Kopie dieses Vertrages zu erhalten. Es gibt hierfür zwar keine festgelegte Frist. Ich meine aber, dass der im Gesetz verankerte Grundsatz von Treu und Glauben es gebietet, dem Vertragspartner eine Kopie zeitnah zur Verfügung zu stellen, insbesondere dann, wenn eine solche Kopie problemlos angefertigt und übergeben werden kann.