Sie sollte Durchblick in das Pandemie-Chaos bringen. Oft hat sie uns nur ratlos zurückgelassen. Ab 1. Juni geht die Warn-App in den Ruhemodus.
Nie wieder rote KachelEin persönlicher Abschiedsbrief an die Corona-Warn-App
Liebe Corona-Warn-App... im April bist du zum Abschied nochmal rot geworden. Das ist lange nicht mehr passiert. Kein Wunder: Seit der Abschaffung der Testpflicht schieben sich die Menschen seltener ein Stäbchen in Rachen oder Nase. Die vielen Corona-Testbuden, die in den vergangenen drei Jahren hier wie dort errichtet wurden, haben ihre Rollläden heruntergelassen. Und nun sollst auch du verschwinden, als eines der letzten Mahnmale für diesen Wahnsinn, den wir in den vergangenen drei Jahren erlebt haben.
„Achtung, es wird nur noch bis zum 30. April 2023 möglich sein, andere Personen über die Corona-Warn-App zu warnen“, teilst du mir seit Tagen mit. Ab dem 1. Juni sollst du gänzlich in einen „Ruhemodus“ versetzt werden, heißt es auf deiner Webseite. Dann bist du nur noch dafür da, schon erfasste Impfzertifikate abzurufen.
Auch dieses Prozedere bei Reisen oder dem Besuch von Restaurants gehört länger schon der Vergangenheit an. So manche haben verdrängt, wie stressig das alles war. Wie alarmiert die ganze Welt zu deiner Einführung im Juni 2020 auf Inzidenzen, Infektionsverläufe und Virusvarianten blickte. Bald folgte der Ansturm auf die Impfzentren und wachsender Unmut über das Lavieren der Politik. Begriffe wie Lockdown und Kontaktsperre waren Teil unseres alltäglichen Wortschatzes geworden.
Bei jeder roten Kachel drehte sich das gleiche Gedankenkarussell
Du solltest ein wenig Durchblick in dieses Chaos bringen. Indem du alle warntest, die einen Risiko-Kontakt hatten, um so die Infektionskette zu durchbrechen. In vielen Fällen ist dir das gelungen. Aber genau so oft hast du uns ratlos zurückgelassen.
Denn verraten hast du uns ja immer nur den Tag der sogenannten Risikobegegnung. Aus Datenschutzgründen, die natürlich sinnvoll sind. Aber so drehte sich bei jeder neuen roten Kachel das immer selbe Gedankenkarussell. So auch diesmal, bei meiner letzten roten Meldung. Wo war ich an dem Tag, wen habe ich getroffen? War das lange oder kurz oder drinnen oder draußen? Habe ich Symptome? Wen habe ich seit der Risikobegegnung gesehen?
Manchmal hast du uns Rätsel aufgegeben. Nämlich an den Tagen mit Risikokontakt, an denen wir das Haus gar nicht verlassen hatten. Zumindest glaubten wir das. Oder waren wir doch kurz am Kiosk gewesen? Im Supermarkt? Sogar das RKI riet irgendwann, dich bei dem Besuch eines Testzentrums zu deaktivieren. Weil der angebliche Risikokontakt in Wahrheit im Coronatest-Drive-In einfach nur ein Auto weiter saß. Über das Bluetooth-Signal der Smartphones konnten zwar Dauer und Abstand einer Begegnung genau ermittelt werden. Nicht aber, ob die Besitzer des Handys durch Wände, Fenster oder Karosserien getrennt waren.
Und so hast du immer wieder Pläne durchkreuzt. Das war häufig schmerzhaft, schließlich waren soziale Kontakte rar. Wie oft hast du dich ausgerechnet vor diesem einen Termin gemeldet, auf den die Vorfreude groß war!
Was bei einer roten Warnung zu tun ist, war ein Streitthema
Besonders schlimm war es während der sogenannten „Omikron-Welle“. Die Infektionszahlen stiegen auf ein bislang beispielloses Hoch. Eine Bekannte berichtete von regelrechten Wettbewerben im Freundeskreis, wer die meisten „Risiko-Begegnungen“ hatte. Natürlich hast du uns damit einerseits genervt. Aber andererseits warst du wertvoll. Denn deine Warnungen waren immer ein Hinweis, dass man andere besser schützen sollte.
Wobei: Was genau zu tun ist, wenn du von grün auf rot schaltest, war ein willkommenes Diskussionsthema, unter Freunden, in der Familie. Reicht ein Schnelltest, um wieder ins Großraumbüro oder zur Oma zu fahren, wenn es zwischenzeitlich doch hieß, die seien gar nicht so verlässlich? Oder braucht es einen PCR-Test? Oder sogar eine mehrtägige Isolation, zur Sicherheit?
Inzwischen sind solche Debatten abgeklungen. Wir sollen lernen, „mit dem Virus zu leben“. Welche Auswirkungen das haben wird, werden wir erst noch erfahren. Ob du wohl irgendwann wieder geweckt werden musst, liebe Warn-App? Nimm es mir nicht übel, wenn ich dir abschließend schreibe: hoffentlich nicht! Deine Alexandra