Erst Corona, dann Inflation, Arbeitskräftemangel, jetzt die Rückkehr zur alten Mehrwertsteuer: Viele Gastronomiebetriebe kämpfen um die Existenz.
Gastronomie-BetriebeDas Ende vieler Restaurants könnte drohen
Es sind schwere Zeiten für die Gastronomie: Arg gebeutelt von der Corona-Krise, in der ein geregelter Betrieb kaum möglich war, folgten nach Ende der letzten Einschränkungen statt Erleichterung und Aufbruchstimmung schon die nächsten Probleme. Das Personal ist rar, die finanziellen Belastungen durch den Mindestlohn gestiegen. Vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine losgetreten, schossen dann auch noch die Energiepreise in die Höhe, die Inflation sorgte für massive Preissteigerungen – mit spürbaren Folgen.
Laut einer im März veröffentlichten Studie der Wirtschaftsauskunftei Creditreform, hat im vergangenen Jahr jedes zehnte Gastronomieunternehmen aufgegeben. Mit etwa 14.000 Schließungen erreichte die Zahl sogar ein Drei-Jahres-Hoch und lag nur knapp unter dem Vor-Corona-Niveau. Insgesamt haben seit Pandemiebeginn laut Studie rund 48.000 Betriebe geschlossen, für 6100 kam das Aus durch eine Insolvenz. Zwischen 2022 und 2023 stiegen die Insolvenzen in der Gastronomie sogar um 27 Prozent – und damit stärker als im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt.
Februar: Erlöse 15,7 Prozent niedriger als 2019
„Die Gastronomie ist einer der Hauptverlierer der Krisenabfolgen der letzten Jahre“, resümiert der Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung, Patrik-Ludwig Hantzsch. „Das Gastgewerbe hatte sich noch nicht von der Corona-Krise erholt, da kam mit der Inflation der nächste Nackenschlag.“ Die Branche sei den gestiegenen Kosten „nahezu hilflos ausgeliefert“, die notwendigen Preiserhöhungen würden die Kundschaft verjagen. Entsprechend lägen auch Umsätze und Erträge preisbereinigt sogar noch unter dem Stand des Jahres 2019.
Alles zum Thema Corona
- „Dringender Handlungsbedarf“ Wieso Kinder und Jugendliche psychisch immer stärker belastet sind
- Traktoren geschmückt Lichterfahrt mit Disney-Anklang zieht durch Elsdorf
- Betrugsfälle länger nachweisen Unterlagen zu Corona-Tests müssen bis 2028 aufbewahrt werden
- Corona, Grippe, RSV Wie sinnvoll sind Kombi-Selbsttests, um Infektionen zu erkennen?
- Nach fünf Jahren „Covid ist immer noch keine normale Erkältung“ – Müssen wir uns Sorgen machen?
- Kongress in Köln Weltweite Messe-Branche feiert Comeback
- Corona-Shitstorm RTL-Star nutzte Hasswelle, um Millionengeschäfte zu machen
Das bestätigen auch Zahlen des Statistischen Bundesamts vom Donnerstag. Demnach stieg im Februar der Umsatz in der Gastronomie zwar um 0,6 Prozent gegenüber dem Vormonat Januar. Im Vergleich zum Vorjahresmonat sank der Wert allerdings um 1,2 Prozent, verglichen mit Februar 2019 waren die Erlöse sogar 15,7 Prozent niedriger.
Bundesregierung hofft auf mehr Steuereinnahmen
„Die Lage im Gastgewerbe ist und bleibt angespannt“, sagt Dehoga-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Von einem historischen Tief will sie nicht sprechen, sie macht aber klar: „Die Aussichten sind trüb.“ Die Kostenbelastung sei hoch, die Ertragslage angespannt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlten, zudem würden die Betriebe unter den Folgen der Wiedereinführung des regulären Mehrwertsteuersatzes von 19 Prozent für Speisen in der Gastronomie seit dem 1. Januar 2024 leiden.
Der Steuersatz war während der Corona-Pandemie zur Entlastung der Branche vorübergehend auf 7 Prozent gesenkt und wegen der Energiekrise mehrmals – zuletzt bis Ende 2023 – verlängert worden. Trotz lauter Proteste aus der Branche, stimmte der Bundestag vergangenen September gegen einen dauerhaft ermäßigten Steuersatz. Die Bundesregierung erhofft sich durch die Rückkehr zum alten Mehrwertsteuersatz Mehreinnahmen von bis zu 3,4 Milliarden Euro pro Jahr.
Kunden bleiben weg
Zahlen muss am Ende der Kunde, denn viele Betriebe legen die höhere Steuer seither auf die Gäste um, wie aus der jüngsten Umfrage des Branchenverbandes Dehoga unter seinen Mitgliedern hervorgeht. Demnach sahen sich bereits gut vier von fünf Betrieben seit der Mehrwertsteueranpassung gezwungen, die Preise zu erhöhen.
Doch das birgt bereits das nächste Problem für die Gastronomen. „Viele Betriebe spüren eine wachsende Preissensibilität und Konsumzurückhaltung der Gäste“, berichtet Dehoga-Präsident Guido Zöllick. Rund die Hälfte der Gastronomiebetriebe leidet seit der Mehrwertsteueranpassung unter weniger Gästen. Etwa ein Drittel der Befragten gab zudem an, dass der Durchschnittsbon pro Gast seither niedriger ausfalle.
Gastronomie profitierte von staatlichen Hilfen
Eine Entwicklung, die zusätzliche Sorgen verbreitet. Fast die Hälfte der Betriebe rechnet mit einer weiterer Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Situation in den nächsten drei Monaten. Und auch Branchenbeobachter rechnen im laufenden Jahr mit harten Zeiten für die Gastronomie.
„Die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind für das Gastgewerbe derzeit alles andere als günstig“, betont der Leiter der Creditreform-Wirtschaftsforschung. Die staatlichen Hilfen hätten das Überleben vieler Gastronomiebetriebe gesichert und so Schließungen zunächst verhindert.
Das betont auch das Bundeswirtschaftsministerium. So sei das wirtschaftlich schwer betroffene Gastgewerbe während der Pandemiezeit mit über 23 Milliarden Euro an direkten Hilfen „mehr als jede andere Branche“ unterstützt worden, heißt es gegenüber dem RND. Hinzu kamen Kurzarbeitergeld, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und die befristete Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Speisen. „Mit diesen milliardenschweren Unterstützungsleistungen ist es erfolgreich gelungen, die Strukturen in der Branche zu erhalten“, so eine Sprecherin.
Union fordert politisches Eingreifen
Für die Dehoga-Hauptgeschäftsführerin kommt es dennoch „mehr denn je“ auf die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen an. Der Verband fordert eine Rückkehr zur reduzierten Mehrwertsteuer von 7 Prozent, sowie mehr Freiheit und Flexibilität, Bürokratieabbau und den sofortigen Stopp drohender neuer Reglementierungen.
Unterstützung erfährt er dabei von der wirtschaftspolitischen Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Julia Klöckner (CDU). „Die Zahlen sind ein Weckruf. Der negative Trend beim Gastronomiesterben muss durchbrochen werden“, sagt sie dem RND. Die Ampel habe mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer „die falsche Entscheidung getroffen und den Trend verschärft“.
Klöckner fordert deshalb ein rasches Maßnahmenbündel. Neben der Einführung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit müssten auch die Energiekosten von Betrieben durch eine Reduzierung der Netzentgelte gesenkt sowie bürokratische Lasten deutlich reduziert werden. Außerdem: „Das Bürgergeld muss zu einer Grundsicherung umgebaut werden, um die Anreize für Arbeit zu stärken“, so Klöckner. Sie betont: „Jetzt muss endlich gegengesteuert werden.“
„Gastronomiebranche wird weiter ausgedünnt“
Das Wirtschaftsministerium erklärt, man sei mit der Branche „laufend im Gespräch“. Die Regierung sei mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz bereits auf das zentrales Branchenthema der Fach- und Arbeitskräftesicherung eingegangen. So könnten Nicht-EU-Ausländerinnen und -Ausländer inzwischen einfacher Nebenjobs ausüben und würden darüberhinaus mehr Zeit erhalten, um ihre berufliche Qualifikation anerkennen zu lassen.
Mit dem Wachstumschancengesetz und dem Bürokratieentlastungsgesetz IV seien zudem Erleichterungen vorgesehen, „von denen das Gastgewerbe profitieren wird“. Als Beispiele nennt das Ministerium gekürzte Aufbewahrungspflichten für steuerliche Unterlagen, die Möglichkeit, Arbeitsverträge digital zu vereinbaren, digitale Zeugnisse auszustellen oder Gesetze und Verordnungen digital auszuhängen. Dies seien alles Maßnahmen, „die auch direkt aus der Branche gefordert wurden“.
Dennoch steht die Gastronomie laut Wirtschaftsforscher Hantzsch vor existenziellen Problemen. „Unsere Auswertungen lassen einen weiter anhaltenden Insolvenztrend im Gastgewerbe erwarten. Die Welle hat gerade erst begonnen.“ Er rechne für 2024 mit einem Anstieg der Insolvenzen auf Vor-Corona-Niveau – möglicherweise sogar darüber hinaus. Er ist sich sicher: „Die Gastronomiebranche in Deutschland wird weiter ausgedünnt.“