Nach dem guten Vorsatz kommt die nächste Grillparty: Nachhaltig auf Fleisch zu verzichten, ist für viele nicht einfach.
Moral und Umwelt sprechen für eine komplett vegetarische Ernährung – aber es gibt auch andere Wege.
Sozialpsychologin Simone Dohle über die Hintergründe der besonderen Beziehung zum Fleisch und das Austricksen unserer Ernährungsgewohnheiten.
Köln – Massentierhaltung, Tönnies-Skandal – Gründe, den eigenen Fleischkonsum zu überdenken, gibt es zuhauf. Trotzdem wird weiter billiges Fleisch gegessen. Wir haben die Sozialpsychologin Dr. Simone Dohle von der Uni Köln gefragt, warum vielen Menschen der Verzicht auf Fleisch so schwer fällt, wo der Verstand doch eigentlich dagegen sein müsste.
Das Thema Fleisch und Konsum hat durch die Corona-Ausbrüche in verschiedenen Fleischbetrieben nochmal an Aktualität dazugewonnen, gerade auch wegen der Arbeitsbedingungen dort. Glauben Sie, die meisten Menschen sind sich dessen nicht bewusst, ehe so ein Skandal an die Öffentlichkeit gelangt?Simone Dohle: Ich glaube schon, dass die meisten wissen, dass Fleisch oft aus Massentierhaltung kommt. Wahrscheinlich liegt das eher an einer Art kollektivem Verdrängungsprozess: Man schaltet dieses Wissen aus und will nicht wahrhaben, wie es in Wahrheit in Fleischbetrieben aussieht. Mit so einer aktuellen Problematik wie gerade rückt die Thematik wieder in den Fokus.
Warum fällt es trotzdem vielen so schwer, auf Fleisch zu verzichten? Hat das wirklich mit dem Fleisch an sich oder eher mit Gewohnheit zu tun, wie beispielsweise auch beim Verzicht auf Süßigkeiten?Dohle: Jeder hat seine typischen Abläufe: Seien es die Gerichte, die man immer wieder kocht oder das Restaurant, in das man schon immer zum Essen geht. Und wenn da bisher auch immer Fleisch dabei war, ist es eben nicht so einfach, mal eben zu sagen: Ich lasse das jetzt komplett weg. Vom Prinzip ist Fleisch-Verzicht ähnlich dem von Süßigkeiten: Der gute Vorsatz wird gefasst, aber die Umsetzung ist oft schwierig.
Wenn Menschen ihre Ernährung verändern möchten, kann man oft beobachten, dass sie sich zu Beginn viel zu hohe Ziele setzen und bestimmte Lebensmittel gleich komplett aus dem Speiseplan streichen. Außerdem vergisst man meist den sozialen Kontext der Nahrungsaufnahme: Ich esse eben nicht nur alleine, sondern es gibt Grillpartys mit Freunden, gemeinsame Mittagessen mit Kolleginnen, und auch die Familie möchte vielleicht ihre Essgewohnheiten nicht direkt komplett umstellen. Fleisch zu essen, ist also in individuelle, soziale und kulturelle Kontexte eingebettet – und oft emotional positiv verknüpft.
Glauben Sie, Fleischkonsum ist auch eine Generationen-Frage?Dohle: Im Nachkriegsdeutschland war Fleisch ein Luxusprodukt und kam nur sonntags als etwas Besonderes auf den Tisch – seitdem ist der Fleischkonsum in der Gesellschaft immer weiter gestiegen. Deshalb ist das Stück Fleisch auf dem Teller für die älteren Generationen auch sicher noch selbstverständlicher als für die Jüngeren. Gerade bei traditionellen Gerichten gehört es noch fest dazu. Hinzu kommt das Phänomen „Food Neophobia“, also eine gewisse Abneigung, neue Lebensmittel auszuprobieren. Da sollte man aber auch entsprechend Verständnis für die Generation aufbringen, die womöglich 50 Jahre lang mit Fleisch gekocht hat – und sich nicht von heute auf morgen umstellen kann.
Wenn Fleischkonsum auch mit Gewohnheit zu tun hat, wie lange braucht es denn nun, bis ich mich an eine neue fleischlose Routine gewöhnt habe?Dohle: Unsere Ernährungsgewohnheiten haben sich in der Regel sehr stark eingeprägt. Deswegen dauert es auch entsprechend lange, sie zu ändern. Ein halbes Jahr muss man da mindestens einplanen, wenn nicht gar länger. Eben, weil es immer wieder Momente geben wird, in denen man in alte Routinen zurückfällt. Bei einer nachhaltig gewünschten Veränderung können deshalb Zwischenschritte nützlich sein: Im Bezug auf Fleisch also beispielsweise erst einmal die Mengen verringern und darauf achten, woher das Fleisch kommt. Ich kenne zum Beispiel sehr viele, die sagen: „Ich achte darauf, mein Fleisch beim Metzger zu kaufen“. Allerdings kann ja auch das Fleisch vom Metzger aus Massentierhaltung stammen.
Sie haben von emotional positiver Verknüpfung mit Fleisch gesprochen – kann ich meinen Kopf womöglich austricksen, damit er stattdessen andere Lebensmittel positiv verknüpft und Fleisch negativ?
Dohle: Fakt ist: Auf diese Belohnungseffekte durch Lebensmittel kann man nur schwer verzichten. Für einige könnte es deshalb eine Hilfe sein, Fleischersatzprodukte auszuprobieren, die sich geschmacklich oft gar nicht so stark von richtigem Fleisch unterscheiden. Das Angebot dort ist inzwischen ja riesig. Und dadurch muss man zum Beispiel auch nicht mehr auf Grillen verzichten – das kommt aber natürlich ganz auf die persönlichen Präferenzen an.
Sie sagen, Fleischverzicht sei keine Alles- oder -Nichts-Entscheidung. Was meinen Sie damit genau?Dohle: Dafür muss man sich erstmal bewusst machen: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt maximal 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche. Durchschnittlich wird aber meist doppelt so viel verzehrt. Vielleicht kann man also erstmal mit einer Bestandsaufnahme anfangen: Wie viel Fleisch esse ich überhaupt – angefangen beim Wurstbrot zum Abendessen bis zum Sonntagsbraten. Dann kann man überlegen: In welcher Situation kann ich mir vorstellen, auf etwas davon zu verzichten?
Und wenn ich nicht darauf verzichten kann: Ist es dann nicht auch eine Frage der Gastfreundschaft, zum gemeinsamen Grillen auch Biofleisch anzubieten? Nachhaltig und achtsam im eigenen Fleischkonsum zu denken, kann auch schon ein Anfang sein. Oder mit der Familie einen gemeinsamen Mittelweg zu finden, wenn ein Teil fleischlos leben, ein anderer aber partout nicht auf Fleisch verzichten möchte.
Für Tiere und Umweltbilanz wäre eine Nichts-Entscheidung doch wahrscheinlich schon die bessere, oder?Dohle: Es ist jedenfalls keinem geholfen, wenn man mit erhobenen Zeigefinger eine Verhaltensänderung erzwingen will. Auch ein bewusster Umgang mit Fleisch kann schon im Sinne des Tierwohls sein. Je vorwurfsvoller man solche Diskussionen führt, desto schneller verschließt man sich und wird als Fleischesser reaktant. Auch wenn aus ethischer und auch umwelttechnischer Sicht natürlich sehr viel für Fleischverzicht spricht, ist es aus meiner Sicht wichtig, im Gespräch zu bleiben und nicht zu polarisieren.