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Ein Stück Geschichte kehrt zurückDas Bundesbüdchen darf endlich wieder nach Hause

Lesezeit 6 Minuten
Bundesbüdchen

Einst war Rausch (hinter der Theke) mit seinem Büdchen das Herz des Regierungsviertels.

  1. Er galt als Symbol der Bonner Republik: Am berühmten Kiosk von Jürgen Rausch trafen sich die Spitzenpolitiker zu Bockwurst und Brötchen.
  2. Dann zog der Bundestag nach Berlin, es gab Pläne für ein Kongresszentrum, ein Hotel. Das Büdchen musste weichen – und wartet seitdem in einer Spedition auf bessere Zeiten.
  3. Diese könnten nun beginnen: Das Büdchen soll wieder aufgebaut werden.

Bonn – Helmut Kohl ließ seinen Chauffeur Käsebrötchen holen, Norbert Blüm kaufte Zeitungen und Gummibärchen, Hans-Dietrich Genscher aß gern Bockwurst, Guido Westerwelle mochte das Eis. Als Bonn noch Regierungssitz war, kamen alle wichtigen Politiker an Jürgen Rauschs Kiosks vorbei. Ging auch nicht anders, denn er stand mitten in der Bonner Republik zwischen Bundesrat, Bundestag und Kanzleramt und die Namensgebung verlieh ihm einen offiziellen Klang: „Bundesbüdchen“ sagte man. Deutschlands Zentrum war klein damals, die Organe der Macht lagen nur wenige Hundert Meter auseinander. Und im Zentrum der Macht stand Jürgen Rausch.

Kurz nach der Gründung der Bundesrepublik 1949 hatte seine Mutter Christel damit begonnen, vor dem Bundestag Obst aus ihrem Garten zu verkaufen, zunächst aus einer Karre, dann aus einem Bretterverschlag. 1957 wurde das „Bundesbüdchen“ im Stil der Zeit als nierenförmiger Pavillon mit breitem Flachdach und beinahe Rundumverglasung gebaut. Es gab Zeitungen, Zigaretten, Süßigkeiten, Eis, Brötchen und Bockwurst – und jede Menge bekannte Gesichter vor der Verkaufstheke. „Alle trafen sich hier: Spitzenpolitiker, Hinterbänkler, Journalisten, Parlamentsboten. Eine klassenlose Gesellschaft der Würstchenesser und Kaffeetrinker, eine Informationsbörse ohnegleichen“, fasst es die Homepage „Förderverein historischer Verkaufspavillon e.V.“ zusammen.

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Schon 1949 hatte Rauschs Mutter Christel erst Obst, später auch Zeitungen an Politiker verkauft.

Norbert Blüm wird zitiert: „In keinem Regierungsviertel der Welt gibt es einen solchen unprätentiösen Ort für die spontane Kommunikation ohne Tagesordnung.“ Im großen Berlin könnte es so einen Treffpunkt nicht geben, meint Jürgen Rausch. Seine Erklärung: „In Bonn war es einfacher, bodenständig zu sein. Das war der Grundgedanke der Bonner Republik. Sie war nach dem Krieg dazu verdonnert, bescheiden zu sein.“

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Rausch übernahm das Büdchen – vorübergehend

Rausch übernahm das Bundesbüdchen 1984 mit 28 Jahren. Eigentlich sollte es nur etwas Vorübergehendes sein. Jetzt ist Rausch 63 Jahre alt. „Ich dachte, ich gucke es mir mal an. Ich war hin- und hergerissen, weil ich eigentlich noch mehr rumkommen wollte. Aber dann war es so interessant, dass ich geblieben bin. Trotz des ganzen Stresses und der Anstrengung“, erzählt Rausch. Ferien und freie Tage hatte er kaum. „Wäre ich Arbeitnehmer gewesen, hätte ich sicher noch mehrere Jahre Resturlaub“, glaubt er.

Aus „ich schaue es mir mal an“ wurden 22 Jahre im Kiosk, weil ihn die Menschen vor seinem Verkaufsfenster so interessierten. Wie sie ihr Leben hinkriegten, Beruf und Familie unter einen Hut bekommen mussten, wie angespannt sie aufgrund all der Verantwortung waren, die sie in der Politik hatten. Natürlich gab es auch unfreundliche, überhebliche Blender, aber ihr Gerede prallte an ihm ab, weil er sich für die Menschen begeisterte, die wirklich etwas zu erzählen hatten.

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Zwischengelagert wartet das Büdchen seit 13 Jahren auf dem Hof der Spedition Baumann in Bornheim auf sein Comeback.

Joschka Fischer war so ein Mensch, der ihn faszinierte. Nach seiner Joggingrunde am Rhein habe er oft die Zeitungen in der Auslage durchgeblättert, die Schlagzeilen gelesen und Comics gekauft. Rausch bewundert Fischer für seinen Willen und sein Durchhaltevermögen. „Es hat mich tief beeindruckt, dass ein Steinewerfer Vizekanzler werden kann.“ Auch Guido Westerwelle fällt ihm ein, der einst eher arrogant gewirkt habe, aber nach seiner Krebsdiagnose nachdenklich und zurückhaltend geworden sei. „Dass ich als Zeitungsverkäufer solche Sachen beobachten durfte, dass ich gesehen habe, wie sich die Mächtigen gequält haben und auch Probleme hatten, hat mich gelehrt, meinen Weg so zu gehen, wie ich es getan habe“, ist Rausch überzeugt.

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Rausch hatte seine Bestimmung gefunden, er fühlte sich im Zentrum der Macht als Verkäufer und Beobachter angekommen. Und dann? Stimmte der Bundestag am 20. Juli 1991 darüber ab, nach der Wiedervereinigung den Regierungssitz nach Berlin zu verlegen. Und Rauschs Leben geriet in Schieflage. Im Juli 1999 tagten die Bundestagsabgeordneten zum letzten Mal in Bonn und zogen dann in die neue Hauptstadt. Beinahe wäre Rausch mitgegangen. „Ich hatte schon die Zusage für einen Standort am Brandenburger Tor“, erzählt er. Aus familiären Gründen blieb er doch in Bonn und öffnete weiter jeden Tag seinen Kiosk. Nur war jetzt keiner mehr da, der bei ihm kaufen wollte: „Das war eine ganz schlimme Zeit.“

Das WCCB hätte Rausch retten können

Der Bau des neuen World Conference Centers (WCCB) auf dem Areal hätte Rausch retten sollen. Im Zuge der Ausgleichsvereinbarungen aus dem Berlin/Bonn-Gesetz sollte hier 2006 ein Kongresszentrum für bis zu 7000 Gäste entstehen. Auch ein großes Hotel wurde geplant. Rausch sollte für die Zeit des Umbaus kurzzeitig mit seinem Büdchen Platz machen und eröffnete einen Rundholzhaus-Imbiss neben dem ehemaligen Bundeskanzleramt. Das Bundesbüdchen wurde mit einem Kran hochgehoben und auf das Gelände der Spedition Baumann nach Bornheim gebracht. Dort steht es bis heute, aus „kurz Platz machen“ wurden 13 Jahre. Die Finanzierung des WCCB-Großprojekts geriet ins Schlingern, der Investor meldete Insolvenz an, es folgten Baustopp und Gerichtsverfahren. Es dauerte noch bis 2015, bis das Konferenzzentrum schließlich eröffnet wurde. „In diesen Strudel bin ich hineingeraten und beinahe untergegangen“, sagt Rausch. Den Platz verlassen hat er aber nie. Das Rundholzhaus, das als Provisorium eröffnet wurde, ist noch in Betrieb. Das Geschäft läuft nicht gut, die Konkurrenz ist groß: die Kantine der Deutschen Welle nebenan beschäftigt einen Sternekoch, dazu säumen australische und asiatische Streetfoodwagen die Kurt-Schumacher-Straße.

Diesen Sommer wird Rausch sein Rundholzhaus am Zaun des ehemaligen Kanzleramts verlassen und wieder in die erste Reihe vorrücken. „Wir sagen jedes Jahr: Im nächsten Jahr eröffnen wir das alte Büdchen wieder, aber jetzt ist es tatsächlich so weit. Das Geld ist da, die Finanzierung steht.“ Die NRW-Stiftung hat dem Förderverein 55 000 Euro für den Tiefbau zugesagt, etwa die gleiche Summe stellt die Stadt Bonn bereit. Die Sanierung wird aus dem Denkmalschutzprogramm der Bundesregierung und von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz gefördert. An der Ecke Heussallee/Platz der Vereinten Nationen soll das Büdchen aufgebaut werden. Eine Stelle, an der täglich Hunderte von Menschen vorbeikommen, die bei den Vereinten Nationen, der Deutschen Welle oder der DHL arbeiten. Rausch will dann nicht mehr selbst hinter dem Tresen stehen, sondern hat das Büdchen über den Förderverein an den Traditions- und Handwerksbäcker Peter Mauel aus Meckenheim verpachtet.

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Oktober 2006: Deutschlands wohl berühmtester Kiosk hängt am Kran.

Bis zur Wiedereröffnung ist noch viel zu tun. Die Inneneinrichtung wird derzeit für die Denkmalschutzbehörde fotografiert und archiviert, die Hülle steht weiterhin in Bornheim und soll demnächst mit einem Kran zurückgebracht werden. Es ist geplant, das Büdchen am neuen Standort hinter einem Sichtschutz zu restaurieren – der Überraschung wegen. Da der Pavillon unter Denkmalschutz steht, soll die neue Fassade möglichst nah am Ursprungszustand bleiben. Es wird wieder Zeitungen und die berühmte Bockwurst geben. Rausch will aber auch noch eine andere Aufgabe erfüllen: „Als Zeitungsverkäufer und Bürger möchte ich erreichen, dass jeder zu schätzen weiß, was es bedeutet, in Frieden und Freiheit zu leben. Hier in Bonn hat Helmut Kohl – und nicht nur er – an einem friedlichen Europa gebastelt.“

Das Büdchen sei wie unsere damalige Republik: einfach, bescheiden, friedlich. So wie Rausch selbst, der zwar stolz darauf ist, dass sein Traum von der Wiedereröffnung endlich wahr wird, aber den Verdienst nicht bei sich sieht und das auch so in der Zeitung stehen haben will: „Ohne den Förderverein mit seinem Vorsitzenden Peter Storsberg, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die NRW-Stiftung, die Hilfe von Peter Mauel und vielen anderen Menschen, die alle noch genannt werden, hätte ich das nicht geschafft. Ohne sie wäre ich nicht da, wo ich heute bin.“ Noch ein paar Monate, dann ist das Herz wieder am rechten Fleck: Rausch, das Büdchen und ein kleiner Teil der alten BRD.

www.bundesbuedchen.de