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Hectors Frust-Interview als Symbol: Nerven liegen blank

Lesezeit 3 Minuten

Köln – Das Frust-Interview von Jonas Hector wurde zum viralen Hit in den sozialen Netzwerken, doch rund um den 1. FC Köln konnte niemand darüber lachen. Nachdem der Fußball-Bundesligist in der Relegation gegen den Zweitligisten Holstein Kiel alle Trümpfe aus der Hand gegeben hatte, hatten die Kölner am Donnerstag andere Sorgen. Und Hector war an seinem 31. Ehrentag sicher alles andere als in Geburtstagsstimmung. Äußern wollte sich zu der Thematik jedenfalls niemand mehr.

Doch es waren auch keine weiteren Erklärungen nötig. Das Interview hatte gezeigt, wie blank die Nerven in Köln liegen. „Immer diese Scheißfragen”, hatte Hector nach der 0:1 (0:0)-Heimniederlage im Relegations-Hinspiel gewettert und dem DAZN-Reporter vorgeworfen: „Das ist ja Ihr Job, dumme Fragen zu stellen. Das machen Sie gut.”

Weniger gut hatte es zuvor der FC gemacht, der nach einem blutleeren Auftritt vor dem siebten Abstieg steht. Dabei schien im Vorfeld alles für die Kölner zu sprechen: Die Euphorie nach dem erfolgreichen Schlussspurt, die mentale und körperliche Belastung der Kieler und jede denkbare Statistik. Selbst Letzteres hat sich gedreht. Denn nur zweimal gewann in der Erstliga-Relegation ein Team trotz Niederlage im Hinspiel. Und nach der aktuell gültigen Auswärtstorregel hätten das auch Dortmund 1986 und Mannheim 1988 nicht geschafft.

Trainer-Routinier Friedhelm Funkel, dem im letzten Spiel seiner Karriere ein bitterer Abschied droht, gab sich bei seinen Durchhalteparolen betont kämpferisch. „Wir haben erst Halbzeit. Es ist noch überhaupt nichts entschieden”, versicherte der 67-Jährige: „Wir haben die Qualität, diesen Pausenrückstand wettzumachen. Ich freue mich schon auf das Rückspiel.”

Dieses Selbstbewusstsein hatte Funkel schon im Vorfeld zur Schau getragen. Doch vielleicht hat er sein Team auch zu sehr zur Vorsicht ermahnt. Direkt vor dem Spiel hatte Funkel die Devise ausgegeben, dass vor allem die Null stehen müsse. Das Ergebnis war ein überraschend vorsichtiger und passiver Auftritt der Kölner, die eigentlich aus einer Position der Stärke hätten agieren können.

Doch letztlich leidet Funkel unter demselben Grundproblem wie sein Vorgänger Markus Gisdol: Er hat keinen einzigen vollwertigen Stürmer zur Verfügung. „Ich glaube nicht, dass ich das schon mal erlebt habe”, sagte Funkel. Dieser Kardinalfehler in der Kaderplanung könnte Sportchef Horst Heldt bei einem Abstieg den Job kosten. Heldt hatte nacheinander Jhon Cordoba, Simon Terodde und Anthony Modeste abgegeben und dafür den dauerangeschlagenen Sebastian Andersson, den offenbar bundesliga-untauglichen Tolu Arokodare und den scheinbar wegen mangelnder Einstellung nie integrierten Emmanuel Dennis geholt.

So reichte den von zahlreichen Nachholspielen nach zwei Quarantänen dauerbelasteten Kielern Leidenschaft, um ohne Gegentor zu bleiben. Und ein glückliches Händchen von Trainer Ole Werner, um durch den Treffer von Simon Lorenz 20 Sekunden nach dessen Einwechslung sogar zu gewinnen.

Doch Werner wollte nach dem direkt verspielten Aufstieg durch zwei Niederlagen zum Saison-Abschluss von einem „dritten Matchball” noch nichts wissen. „Es ist noch kein Matchball. Es ist gerade erst Halbzeit Es wird bis zur letzten Sekunde heiß bleiben”, sagte der 33-Jährige, stellte aber klar: „Der Druck liegt bei Köln.”

Auch, wenn das Verpassen des erstmaligen Aufstiegs für Kiel nach dieser Saison eine Enttäuschung wäre, war dies offensichtlich. „Hier geht es um alles”, sagte Kölns Offensivspieler Marius Wolf: „Jeder weiß, worum es geht. Am Samstag wird abgerechnet.”

© dpa-infocom, dpa:210527-99-760586/3 (dpa)