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CoronaStrenge Quarantäne-Regeln für Schüler sorgen für Aufregung

Lesezeit 7 Minuten
Schulranzen Symbol

Schulranzen stehen auf einer Bank: Unter Schülerinnen und Schülern gibt es viele Corona-Infektionen. (Symbolbild)

Köln/Düsseldorf – Eine Woche nach Beginn der Schule ist die Zahl der an den Schulen durch Testungen entdeckten Infektionsfälle mit dem Coronavirus massiv angestiegen und mit ihr die Zahl der Schüler, die vom Gesundheitsamt eine Quarantäneanordnung bekommen. Daraus ergeben sich eine ganze Reihe von Fragen.

Wie schlagen sich die steigenden Infektionszahlen gerade in der jüngeren Altersgruppe an den Schulen als Quarantänefälle nieder?

Allein in Köln sind derzeit 552 Schul- und Kitakinder infiziert. Neben diesen befinden sich noch 1326 Kontaktpersonen in Quarantäne. Tendenz laut Gesundheitsamt stark steigend. „In der ersten Woche nach den Ferien waren es genauso viele oder mehr Fälle wie in den ganzen inzwischen anderthalb Jahren Pandemie in Summe“, berichtet ein Kölner Schulleiter.

Bei jedem Testtag in seiner Schule seien jetzt positive Fälle dabei. Der Deutsche Lehrerverband befürchtet, wenn die vierte Welle so weiterrollt, könnten in der Spitze bis zu eine Million Schülerinnen und Schüler gleichzeitig in Quarantäne sein.

Wie sieht es im Umland aus?

Nicht überall liegen die Daten kompakt vor, aber an den Kerpener Schulen waren am Dienstag 13 infizierte Schülerinnen und Schüler gemeldet, in Quarantäne befanden sich circa 75 Schülerinnen und Schüler. In Elsdorf sind in drei Klassen an unterschiedlichen Schulen Coronafälle aufgetreten. Zurzeit befinden sich daher 15 bis 20 Schülerinnen und Schüler in Quarantäne.

Im Rheinisch-Bergischen Kreis setzt die Verwaltung auf „einzelfallbezogene Quarantänemaßnahmen“; das heißt, dass zur Zeit nur „einzelne Schüler und Schülerinnen, die als enge Kontaktpersonen in Quarantäne gesetzt werden“ sich in häuslicher Isolation befinden. Diese Vorgehenswseise entspreche den Vorgaben des Landes NRW sowie den geltenden Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, hieß es.

Im Kreis Euskirchen gilt: Wenn ein Klassenzimmer gut durchlüftet ist, dann müssen nur die unmittelbaren Sitznachbarn in Quarantäne. Allerdings werde nach Einzelfällen unterschieden. Damit sind auch Schulbusse gemeint oder Veranstaltungen in unzureichend belüfteten Räumen. „Wir haben jetzt auch eine komplette Jahrgangsstufe in Quarantäne geschickt, weil sie sich mit einem positiven Fall lange in einer unzureichenden Lüftungssituation befunden hat“, sagte Christian Ramolla, der Leiter des Gesundheitsamtes.

Wie sind die Vorgaben der Ministerien in NRW?

Seit Beginn des neuen Schuljahres muss bei einem positiven Corona-Fall nicht mehr die gesamte Schulklasse in Quarantäne. Betroffen sind nur die Schülerinnen und Schüler, die in unmittelbarer Nähe sitzen, „also rechts und links, davor und dahinter“. Zusätzlich müsse wegen des engen Kontakts auch das Lehrpersonal in Quarantäne, erklärte NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) zum Schulstart.

Gebauer 1

NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP)

Vollständig geimpfte Sitznachbarn seien grundsätzlich von der 14-tägigen Quarantäne ausgenommen, wenn sie ohne Symptome sind, so Gebauer. Darüber hinausgehende Quarantäne könnte, so das Ministerium, vom Gesundheitsamt festgelegt werden. Wenn es weiteren engeren Kontakt mit anderen Schülerinnen und Schülern gegeben habe, könnten auch diese in Quarantäne geschickt werden.

Und wie ist die Praxis?

In der Praxis wird diese vereinfachte Form der Sitznachbarregelung nicht umgesetzt. Das Gesundheitsamt in Köln etwa hält im Wesentlichen an der bisher gängigen Praxis fest und betrachtet nach zahlreichen Kriterien jeden Einzelfall. Wer über zehn Minuten weniger als 1,50 Meter Abstand zu einem Infizierten hatte, muss in Quarantäne. Auch Kontakte im Sportunterricht, beim Essen in der Mensa oder auf dem Schulhof werden nachverfolgt und sind für die Quarantäne relevant.

Ebenso, wenn man beim Testen die Maske abgenommen hat und der Sitznachbar dann positiv ist. Vor allem an den Grundschulen mit offenem Ganztag, wo die Kinder ohne Maske essen oder spielen, werden dadurch häufig mehr Kinder in Quarantäne geschickt. So etwa an einer Grundschule in Köln-Mauenheim, wo für 38 Zweitklässler schon nach einem Tag Schule wieder Schluss war.

Die Kinder hatten im offenen Ganztag in einem relativ kleinen Mensaraum gemeinsam ohne Maske gegessen. Damit gelten sie alle als Kontaktpersonen und sind in Quarantäne.

Wie kommt es zu diesem abweichenden Vorgehen?

Letztlich verantwortlich für das Festlegen der Quarantäne sind weiter die Gesundheitsämter und nicht das Schulministerium. Diese sind an die deutlich differenzierteren Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts gebunden, die sich – anders als die Gebauer-Regelung suggeriert – nicht geändert haben. Es bleibt bei der Einzelfallverfolgung.

Wie reagieren die Eltern?

Sie haben sich auf die Aussage aus dem Schulministerium verlassen, dass eben allenfalls die Sitznachbarn betroffen sind. Gerade wenn größere Gruppen in Quarantäne geschickt werden, stößt das auf Unverständnis: „Wir sind richtig empört, dass 38 Kinder als Vorsichtsmaßnahme zwei Wochen in Quarantäne geschickt werden“, sagt die Mutter eines betroffenen Kölner Zweitklässlers, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Und das gleich nach dem ersten Schultag. Dafür dass Sitznachbarn in Quarantäne müssten, habe sie Verständnis, aber das sei „einfach unverhältnismäßig“.

Was sagen die Schulen?

Auch in den Schulen herrscht Unsicherheit, wie mit den unterschiedlichen Richtlinien von Land und Gesundheitsamt für die Quarantäne umgegangen werden soll. Gleichzeitig sorgt die Menge der Quarantänefälle schon jetzt – eine Woche nach Schulbeginn – für massiven Aufwand und Sorge vor den kommenden Wochen.

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„Man weiß einfach nicht, wann das mal endet und spürt in diesen anstrengenden eineinhalb Jahren eine Perspektivlosigkeit“, sagt Martin Süsterhenn, Leiter der Kölner Katharina-Henoth-Gesamtschule, wo schon jetzt etliche Schüler wegen Quarantäne fehlen. In seinen Klassen sitzen auf 60 Quadratmetern 30 Schülerinnen und Schüler. Den vom Gesundheitsamt geforderten 1,5-Meter-Abstand zwischen den Schülern einzuhalten, sei schlicht unmöglich – so wie in den meisten Kölner Klassen auch.

Wie kann ich vermeiden, dass mein Kind als Kontaktperson in Quarantäne geschickt wird?

Im Moment ist der einzige Weg die vollständige Impfung. Man gilt allerdings erst zwei Wochen nach der zweiten Impfung als vollständig geimpft und damit von der Quarantäne befreit. Die Möglichkeit, etwa durch einen negativen PCR-Test eine Quarantäne als enge Kontaktperson zu vermeiden, gibt es laut Gesundheitsamt nicht.

Wie kann angesichts exponentiell steigender Fallzahlen gerade bei Kitakindern und Schülern vermieden werden, dass im Herbst und Winter immer größere Gruppen nicht in Präsenz beschult werden können?

Der Virologe Christian Drosten rät dringend dazu, bei den Kindern einen Mittelweg zwischen rasanter Durchseuchung und strengsten Vermeidungsmaßnahmen zu finden. „Ein kontrolliert schwelendes Geschehen muss man akzeptieren, wenn der Schulbetrieb laufen soll.“ Man müsse nur eine unkontrollierte Ausbreitung verhindern. Bei der Quarantäne gebe es Nachbesserungsbedarf. Die bisherige Dauer der Quarantäne von Schülern von 14 Tagen bezeichnete er als „unerträglich lang“. Statt der 14 Tage seien fünf Tage ein akzeptabler Zeitraum.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach plädiert unter anderem für das Lüften: „Laut Studien können Luftfilteranlagen in Kombination mit Lüften und Maskenpflicht das Infektionsrisiko um den Faktor 30 reduzieren. Das wäre der Königsweg.“

Doch es sei noch nicht geschafft worden, alle Schulen mit Luftfilteranlagen auszustatten, so Lauterbach: „Deshalb brauchen wir eine Maskenpflicht, viele geimpfte Kinder und strenge Quarantäneregeln. Die Situation der Kinder besorgt mich derzeit am meisten und wir müssen davon ausgehen, dass bis zu fünf Prozent der an Covid-19 erkrankten Kinder auch an Long Covid erkranken. Wir sind kurz davor, ein Massenexperiment an unseren eigenen Kindern zu erleben. Das müssen wir unbedingt verhindern.“

Was sagt Lauterbach zur Quarantäne-Handhabung?

„Es ist falsch, nur die kranken Kinder nach Hause zu schicken. Ich kann verstehen, dass man den Schulausfall reduzieren will. Aber wir werden schnell merken, dass sich dies nicht bewähren wird. Wir sollten in der Regel sofort die ganze Klasse in Quarantäne schicken, um die gesunden Kinder zu schützen. Das gilt zumindest dann, wenn nicht mehr regelmäßig gelüftet werden kann, weil das Wetter schlecht ist. Sonst stecken sich die gesunden Kinder auch an.“

Wie werden die Schülerinnen und Schüler in Quarantäne beschult?

Für die Kinder an weiterführenden Schulen gibt es im Fall von Quarantäne eine Mitteilung der Schulleitung an die Fachlehrer, dass der betreffende Schüler Anspruch auf Distanzunterricht habe, der dem Präsenzunterricht gleichzusetzen ist. Lehrer versorgen die Schüler zu Hause über das Programm Teams – das inzwischen nahezu alle weiterführenden Kölner Schulen nutzen – mit Aufgaben und halten sie über das Unterrichtsgeschehen auf dem Laufenden. Für Grundschulkinder in Quarantäne ist es dagegen schwierig bis unmöglich, adäquaten Ersatz für den Unterricht anzubieten.