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Starfighter-AbsturzDer Tag, an dem vier Piloten sterben

Lesezeit 5 Minuten

Kerpen/Frechen – Als die Leser des "Kölner Stadt-Anzeiger" am Morgen des 19. Juni 1962 ihre Zeitung aufschlagen, ist die Fliegerwelt noch in Ordnung. Der Lokalteil berichtet über die Einweihung des Flugplatzes der "Luftsportgruppe Frechen", die am Vortag Tausende Besucher nach Buschbell gelockt hat. Professor Carl Diem, Leiter der Kölner Sporthochschule, hält in Buschbell die Festrede auf die Sportflieger und erzählt die Sage von Dädalus und Ikarus. Um von einer Insel zu fliehen, bauen sie sich Flügel aus Wachs und Federn. Der junge Ikarus steigt trotz Warnung übermütig immer höher in den Himmel hinauf - bis er der glühenden Sonne zu nahe kommt, die Flügel schmelzen und er tief hinab ins Meer stürzt und ertrinkt.

Jung und voller Übermut ist auch Bernd Kuebart. Der 26-jährige Starfighter-Pilot startet am Nachmittag des 19. Juni 1962 auf dem Fliegerhorst Nörvenich - mit seinen drei Kameraden John Speer, Heinz Frye und Wolfgang von Stürmer will er Kunstflugmanöver trainieren. Ihre Vorführung soll am 20. Juni die Gäste der feierlichen Indienststellung des Starfighter-Geschwaders begeistern. Doch alle vier Piloten stürzen bei Kerpen-Balkhausen, nur wenige Kilometer von Buschbell entfernt, in den Tod. Diese Tragödie - eine der größten der Deutschen Luftwaffe in Friedenszeiten -jährt sich nun zum 50. Mal.

Nörvenich ist der erste Fliegerhorst der Luftwaffe, auf dem der Lockheed-Starfighter stationiert wird. Hier wird auch eine Ausbildungsstaffel F-104 als vierte Staffel der Waffenschule aufgestellt. Zu den Ausbildern in der doppelsitzigen F-104 gehören Speer, Kuebart, Frye und von Stürmer. Sie selbst lernten das Fliegen auf dem Überschalljet in Kalifornien.

Direkt neben der Fliegerhorstzufahrt, unterhalb der Start- und Landebahn des Boelcke-Geschwaders, liegt das alte Oberbolheim mit seinen 200 Einwohnern. Die Düsenjets bringen beim Durchbrechen der Schallmauer die Fensterscheiben zum Klirren. 1962 nehmen die Proteste in Oberbolheim gegen die Lärmbelästigung zu. Auslöser ist ein Unfall am 25. Januar: Hauptmann Lutz Tyrkofski stürzt mit seiner F-104 nach einem Triebswerksausfall ab. Seine Maschine rast in die Lagerhalle der landwirtschaftlichen Trockenanlage und explodiert. Tyrkofski stirbt auf der Stelle - er ist der erste von 116 Starfighter-Piloten, die bis zur Ausmusterung des Jets im Jahre 1991 ums Leben kommen. Sein Flugschüler kann sich mit dem Schleudersitz retten.

Ein weiterer Zwischenfall schürt neue Sorgen in dem kleinen Ort. Der Amerikaner John Speer - der Pilot, der am 19. Juni die Kunstflugformation anführen wird - kann im Frühjahr nur durch ein geschicktes Manöver einen Absturz über Oberbolheim verhindern. Ein Blitz hat die Radarnase seines Starfighters abgeschlagen. Der Pilot aus Los Angeles und Vater von drei Kindern erhält daraufhin von Strauß eine goldene Uhr als Anerkennung.

Doch die Dorfbewohner ahnen, dass die große Katastrophe noch bevorsteht. Da für den 20. Juni 1962 in Nörvenich eine Feier zur offiziellen Indienststellung des ersten deutschen Starfighter-Geschwaders geplant ist, intensivieren die Boelcke-Piloten in den Tagen zuvor ihr Training. Nur wenige Stunden vor dem Absturz der vier Starfighter schickt der Betriebsrat des landwirtschaftlichen Trockenwerks in Oberbolheim zwei Telegramme an Verteidigungsminister Franz Josef Strauß sowie an die Dürener Bundestagsabgeordneten. In dem Telegramm an Strauß heißt es: "Ihre Piloten fliegen undiszipliniert und provokatorisch. Wir warnen, damit es nicht zum Äußersten kommt. Wir verlangen sofortige Ablösung des Kommandeurs und Bestrafung der Schuldigen."

Im "Kölner Stadt-Anzeiger" vom 20. Juni 1962 berichtet ein Augenzeuge der Katastrophe vom Vortag aus Kerpen. Der Bahnwärter hat beobachtet, wie die Jets bei ihrer Kunstflugübung zu einem Looping ansetzen - bei dem sich aber der Formationsführer fatal in der Flughöhe verschätzt. "Vier Maschinen jagten in niedrigerer Höhe über das Tagebaugelände der Grube Berrenrath-Türnich. Ich sah sie kommen und zog unwillkürlich den Kopf ein. Die Maschinen flogen, Höhe gewinnend, über ein Waldstück. Sie waren so eng beieinander, dass ich im selben Augenblick dachte, da muss etwas passieren." Und es passiert: Aus 1500 Metern Höhe kommend rasen drei der Maschinen senkrecht in das weiche, aufgeschüttete Erdreich am Rand des Tagebaus, der vierte Jet explodiert 300 Meter weiter entfernt. Sofort nach dem Unglück umstellen bewaffnete Soldaten das Gelände, außerdem werden 60 Polizisten aus Bergheim, dem damaligen Köln-Land und aus Köln zusammengezogen. Am Tag nach dem Unglück hissen die Oberbolheimer eine schwarze Flagge auf dem Dach des Trockenwerks - als Zeichen der Trauer und des Protestes. Am 22. Juni findet auf dem Fliegerhorst Nörvenich die Trauerfeier für die getöteten Piloten statt. Der evangelische Standortpfarrer Johannes Krinke hält eine bewegende Trauerrede: "Er - Gott - hat meinen Weg vermauert. Er ließ mich des Weges fehlen. Er hat mich zerstört und zunichte gemacht. Wer darf denn sagen, dass solches geschehe ohne des Herrn Befehl?" Und der katholische Militärseelsorger Ludwig Zermahr sagt: Die Piloten seien nicht nur aus Pflichtgefühl heraus geflogen, sondern "weil die Welt von oben so schön und geordnet aussieht".

Großes Viereck

In einem großen Viereck sind die Soldaten des Jagdbombergeschwaders Boelcke und der Flugwaffenschule 10 angetreten, um den Toten die letzten militärischen Ehren zu erweisen. Nach Luftwaffen-Inspekteur Josef Kammhuber ergreift Verteidigungsminister Franz Josef Strauß das Wort. Der Politiker, der erst zwei Tage zuvor seine Mutter zu Grabe geleitet hat, wirkt müde und niedergeschlagen. Die Männer seien mitten im Frieden für die Freiheit der westlichen Welt gestorben, erklärt der Minister. Dann spielt der Musikzug das Lied vom toten Kameraden, und sieben Starfighter fliegen über den Fliegerhorst.

Von der Katastrophe sind 50 Jahre später keine Spuren mehr zu sehen. Das Areal ist komplett rekultiviert. Heute befinden sich hier landwirtschaftliche Flächen. Doch manchen älteren Bewohnern im Kreis ist das Unglück in Erinnerung geblieben. So sagt der heute in Elsdorf lebende Rentner Franz Tillmanns (89) dem "Kölner Stadt-Anzeiger": "Mein Kollege lebte in Berrenrath. Nachmittags lag er draußen in seinem Liegestuhl und erholte sich von der Nachtschicht. Plötzlich wurde er von dem Krach geweckt, den die Starfighter-Staffel machte. Da hat er sich im Halbschlaf gewünscht, dass die Kerle doch abstürzen mögen, damit endlich Ruhe herrscht. Dann hörte er die Explosionen. Der Kollege hat sich Zeit seines Lebens Vorwürfe gemacht, weil er so etwas Verwerfliches überhaupt gedacht hat."

Der Ort Oberbolheim wird 1968/69 in einer einzigartigen Aktion durch das Verteidigungsministerium an den östlichen Rand von Nörvenich umgesiedelt.