AboAbonnieren

An der Erft sieht es wüst ausBürgerinformation in Roitzheim verläuft emotional

Lesezeit 5 Minuten

Steile Abbruchkanten, Schutt und Verwüstung: An der Erft in Roitzheim sind die Folgen der Flut noch deutlich sichtbar.

Kreis Euskirchen/Roitzheim – Emotional ging es bei der Bürgerinformation im Roitzheimer Dorfsaal zu. Etwa 300 Interessierte waren gekommen, um ihre Fragen an Euskirchens Bürgermeister Sacha Reichelt, Einsatzleiter Thomas Smarsly und Dr. Christian Gattke vom Erftverband loszuwerden.

Der Erftverband

Es sind Zahlen, die nicht vorstellbarer werden, je öfter man sie hört. Nach Angaben von Dr. Christian Gattke, Hochwassermanager beim Erftverband, sind am 14. Juli allein etwa zwei Millionen Kubikmeter Wasser ins Hochwasserrückhaltebecken bei Eicherscheid geflossen – das sind zwei Milliarden Liter Wasser oder etwa 13,3 Millionen Badewannen. Zwischen Hergarten, Bad Münstereifel, Euskirchen, der Steinbach, Rheinbach und Weilerswist habe es zwischen 130 und 180 Liter pro Quadratmeter geregnet. Das sei in der Region die höchste jemals an einem Tag aufgezeichnete Regenmenge, erklärte Gattke.

Bereits um 19 Uhr habe man in Eicherscheid die Marke des Extremhochwassers geknackt. Dies sei eine Schätzung, die über die Berechnungen des 100-jährlichen Hochwassers hinausgehe. Ziel dieser Marke sei, abschätzen zu können, wo es zu einer Bedrohungslage kommen könnte. Um 20 Uhr sei die Hochwasserentlastung in Eicherscheid angesprungen. Daraufhin habe man eine E-Mail an die Polizei geschrieben und mit der Kreisleitstelle telefoniert (Gattke: „Die Kommunikation war schwierig.“).

Zahlreiche Roitzheimer waren in den Dorfsaal gekommen, um ihre Fragen loszuwerden.

45 Minuten später habe der Betriebsstauwärter zusätzlich die Grundablässe geöffnet. „Er musste sich anschließend aus dem Fenster retten, weil das Wasser auch in die Leitstelle eingedrungen ist“, erklärte Gattke. Dann seien etwa 150 000 Liter pro Sekunde mehr oder weniger kontrolliert in Richtung Bad Münstereifel geflossen. „Es gab keine andere Option, ansonsten hätten wir eine Situation wie an der Steinbach gehabt“, so der Experte: „Den Berechnungen zufolge gibt es bereits ab zehn Kubikmetern Schäden am St.-Angela-Gymnasium. Jetzt waren es 150.“ Auf die Frage, warum der Erftverband die Bevölkerung nicht gewarnt habe, als klar gewesen sei, dass dieses Extrem erreicht würde, sagte Gattke: „Die Warnung der Bevölkerung ist nicht Aufgabe des Erftverbands. Wir sind nicht Teil des Katastrophenschutzes.“

Die Feuerwehr

Thomas Smarsly, stellvertretender Leiter der Euskirchener Feuerwehr, berichtet von den Ereignissen rund um den 14. Juli aus seiner Sicht als Einsatzleiter. Dass der Deutsche Wetterdienst eine Warnung vor einem starken Regen rausschicke, habe man alle paar Monate, sagte er. Entsprechend habe man Dienstagnacht neuralgische Punkte wie Euenheim, Wißkirchen und Kreuzweingarten angefahren und erste Sandsäcke verfüllt. Am Mittwoch um 14.30 Uhr habe er die Meldung erhalten, dass ein Sandsackdamm in Euenheim übergelaufen sei. „Ab dann ging es schlagartig los“, so Smarsly. Zunächst in Euenheim, Rheder, Kreuzweingarten, Stotzheim und auch Schweinheim. Vier Einsatzgebiete mit insgesamt 200 bis 300 Feuerwehrleuten seien gebildet worden.

An der Lilienstraße liegen zahlreiche Leitungen frei.

Roitzheim habe zum Abschnitt Kreuzweingarten bis Kuchenheim gehört. In diesem Abschnitt seien rund 60 Kräfte im Einsatz gewesen. Um 18.07 Uhr habe man für Schweinheim von der Euskirchener Wache manuell die Sirene ausgelöst – ohne Rücksprache mit dem Kreis. Zu diesem Zeitpunkt habe Schweinheim Priorität gehabt. „Ich wusste bis zum späten Donnerstag nicht, ob der Katastrophenfall ausgelöst worden ist. Die Sirenen im Stadtgebiet seien ab etwa 20 Uhr nicht mehr ansteuerbar gewesen. „Wir hatten am späten Abend einfach nicht mehr die Leute, um durch die Orte zu fahren und zu warnen“, so Smarsly.

Gegen 22.30 Uhr sei der Abschnittsleiter in Roitzheim gewesen. „Er hatte Tränen in den Augen, weil er keine Einsatzkräfte mehr hatte. Wir waren absolut am Limit“, sagte ein in diesem Moment emotionaler Einsatzleiter: „Es gab keine übergeordnete Informationskette. Wir hatten in der Nacht null Informationen.“ Erst am Samstag seien drei Satellitentelefone der Bundeswehr angekommen – eins für die Stadt, eins für die Steinbach und eins für den Kreis. Bis dahin habe man „komplett im eigenen Saft gearbeitet“, so Smarsly.

Die Verwaltung

„Es sind einfach viel zu viele Beteiligte. Es ist viel zu bürokratisch. Das ist aus meiner Sicht offensichtlich“, sagte Bürgermeister Sacha Reichelt. Er antwortete damit auf die Feststellung eines Roitzheimers, dass durch ein mögliches Kompetenzgerangel wertvolle Zeit bei der Alarmierung oder Rettung verschwendet worden sei. „Wie sollen wir das aufarbeiten, wenn die Kompetenzen und Verantwortungen weitergeschoben werden?“, fragte ein Bürger: „Es kann nicht sein, dass das Wasser zwei Meter hoch durch Bad Münstereifel läuft und keine Warnung kommt.“

Bernd Kuballa, Leiter des Euskirchener Tiefbauamts, sagte, dass im Stadtgebiet acht Brücken zerstört seien – die große am Narzissenweg in Roitzheim, werde ab Montag abgerissen. Wie er berichtete, wird es mindestens ein Jahr dauern, bis die neue Brücke in Betrieb genommen werden kann. „Es gibt glücklicherweise bereits Erleichterungen beim Vergabeverfahren, dennoch müssen wir uns gedulden. Die Brücke soll ja schließlich auch einige Jahre halten“, erklärte Verwaltungschef Reichelt.

Sonstiges

In Roitzheim haben wohl auch große Rundballen, die im Überschwemmungsgebiet gelagert waren, für Schäden gesorgt. „Ordnungstechnisch können wir nicht tätig werden. Dafür ist die Wasserbehörde beim Kreis zuständig“, sagte Erftverband-Experte Gattke. Bürgermeister Reichelt appellierte an die soziale Kontrolle: „Alle Menschen haben in der Not großartig zusammengearbeitet. Es ist hoffentlich künftig ein Leichtes, sich gegenseitig anzusprechen, wenn einem so etwas auffällt.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Sollte der Sportplatz nicht wieder an der Lilienstraße aufgebaut werden – eine Entscheidung ist noch nicht gefallen –, könnte das Auswirkungen auf den Erft-Verlauf haben. Aktuell macht die Erft dort in Fließrichtung eine scharfe Linkskurve. Dort breche der Fluss bei Hochwasser zuerst aus. Gattke versprach, sich mit der Situation zu beschäftigen, sobald eine Entscheidung beim Sportplatz gefallen sei. Denkbar sei, dass die Erft dort begradigt werde. Eine Art Re-Renaturierung.

Mobile Hochwasserschutzwände wie am Rhein schloss Gattke zwar nicht aus, sagte aber, dass das „sehr schwierig“ werden könnte. Zumal man in Bad Münstereifel gesehen habe, dass Mauern auch keinen hundertprozentigen Schutz bieten.

Ein genaues Hochwasser-Monitoring wie am Rhein sei in der Region nicht leistbar, so Gattke.