Bad Münstereifel – Von der Stadtmauer aus betrachtet sieht das kleine Städtchen an der Erft idyllisch wie eh und je aus. Die untergehende Sonne taucht die Dächer in ein orangerotes Licht, keine Wolke am Himmel. Von unten zieht ein Stimmengewirr hoch, ganz so, als säßen die Menschen an diesem schönen, warmen Sommerabend in einem der vielen Restaurants und Cafés in Bad Münstereifel.
Doch das Bild trügt: Mitten in der Stadt ist es staubig, die Menschen sind dreckverschmiert, stehen an provisorischen Essensausgaben zusammen, sehen erschöpft aus. Weit und breit hat kein Restaurant Bestuhlung vor der Tür stehen oder gar geöffnet. Stattdessen sind große Löcher in der Straße, die Leitungen hängen frei sichtbar in der Luft. Der kleine Fluss Erft dröhnt in den Ohren, die Mauer fehlt. Fast schon skurril wirkt da die Szenerie, die der WDR aufgebaut hat: In einem Ort, in dem es vielen Einwohnern an Strom fehlt, leuchten sechs helle Strahler Teile der Marktstraße aus.
Aufmerksamkeit erregen
Fünf Kameras stehen auf Stativen und warten auf ihren Einsatz. Gut 100 Meter Kabel haben die Techniker bis zum nächsten Stromaggregat verlegt, rund vier Stunden hat der Aufbau gedauert. All das, damit die Sendung „Böttinger live vor Ort“ aus dem Katastrophengebiet gesendet werden kann. Die Stadt Bad Münstereifel habe lange darüber nachgedacht, ob es eine gute Idee sei, die Sendung hier stattfinden zu lassen, teilt die Stadtsprecherin mit. Letztendlich ginge es aber darum, die Menschen außerhalb auf die Situation vor Ort aufmerksam zu machen.
Dafür hat sich Bettina Böttinger Gäste eingeladen: unter anderem Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, Trauma-Expertin Sandra Sangsari, Bad Münstereifels Bürgermeisterin Sabine Preiser-Marian und die Goldschmiedin Ursula Palm-Zumbé, die mitten in Bad Münstereifel lebt und ihr Geschäft betreibt, sowie ihren Mann Günter. In der Sendung will Böttinger nach vorne gucken, fragen, wo die Hilfe ankommt, wie die Aufräumarbeiten voran kommen. „Wir sind immer noch im Abbruch, nicht im Aufbau“, sagt Günter Zumbé.
„Das Herz herausgerissen bekommen“
Seit acht Tagen versuchen die Menschen in den betroffenen Regionen, ihre Häuser, Wohnungen und Orte aufzuräumen. Wie lange wird es dauern, bis Bad Münstereifel wieder sein Gesicht erhält, fragt Böttinger die Bürgermeisterin Sabine Preiser-Marian. „Bad Münstereifel hat das Herz herausgerissen bekommen. Ich glaube, es hat noch Profil, dadurch, dass das alte Gemäuer unglaublicherweise noch da ist“, sagt Preiser-Marian. „Ich habe mal gesagt, ich bin Optimist: Wir schaffen das in fünf Jahren. Es wird aber wahrscheinlich länger dauern.“ Doch die Hilfe, die die Einwohner derzeit erfahren, sei unglaublich. „Wenn ich sehe, was schon geleistet wurde, dann möchte ich das einfach so definieren, auch um eine Aussicht zu geben.“
„Man gerät in einen Aktionismus und funktioniert nur noch, um überhaupt irgendwas bewältigt zu bekommen“, beschreibt Trauma-Expertin Sandra Sangsari die aktuelle Situation. Besonders weil die Ereignisse so plötzlich und unerwartet stattgefunden haben, sei man in eine Notsituation gekommen, ohne es recht zu merken. „Dadurch hat man eine Machtlosigkeit gefühlt“, sagt Sangsari. Die sei nicht mit der eigenen Realität vereinbar gewesen.
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„Das Zuhause betrachten wir in unserer Gesellschaft als sicheren Ort. Und plötzlich steht man in einer Situation, in der selbst das eine Illusion ist“, erläutert Sangsari den Trotz, mit dem viele Einwohner aus den betroffenen Gebieten nun reagieren.
Ob die Katastrophe vorausschaubar war, fragt Böttinger Yogeshwar, der selbst vor einigen Wochen in seinem Wohnort von Hochwasser betroffen war: „Man kann sagen: abstrakt ja. Die Wissenschaft hat ständig davor gewarnt. Ständig gesagt:»Ja, die Wetterextreme kommen.« Das ist nicht das letzte Wetterextrem. Wir haben das weltweit auch gesehen, wenn wir ehrlich sind.“ Ob das mit dem Klimawandel zusammenhänge? „Ich glaube, an der Stelle ist die Frage »Ist das Klimawandel?« allmählich obsolet. Es ist Klimawandel!“, so Yogeshwar.
„Ich glaube nicht, ich weiß das“, sagt Ursula Palm-Zumbé, als Bettina Böttinger die Goldschmiedin fragt, ob sie glaube, ihr Geschäft wieder zu öffnen. „Ich bin zu 100 Prozent davon überzeugt, dass wir wieder aufmachen.“