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Collegium Josephinum in Bad MünstereifelMissbrauch war kein Einzelfall

Lesezeit 5 Minuten

Das erzbischöfliche Konvikt „Collegium Josephinum.

Bad Münstereifel/Köln – 50 Jahre benötigte der Kölner Zahnarzt Prof. Dr. Werner Becker, bevor er den Mut fand, öffentlich über die traumatischen Erlebnisse in seiner Zeit am erzbischöflichen Knabenkonvikt „Collegium Josephinum“ in Bad Münstereifel zu sprechen. In einem Gespräch mit dieser Zeitung schilderte er 2011 die sexuellen Grenzverletzungen durch einen Priester in leitender Funktion, unter denen er als 17-Jähriger gelitten hatte.

Nachdem er sich von der Seele geredet hatte, was ihn über fünf Jahrzehnte hinweg belastete, folgten andere seinem Beispiel. Knapp vier Jahre später hatten sich insgesamt fünf ehemalige Schüler dem Erzbistum gegenüber als Opfer sexuellen Missbrauchs und körperlicher Gewalt im Konvikt offenbart.

Für den neuen Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki, der diese Vorfälle zur Chefsache machte, war das Anlass, sie und andere betroffene Schüler für das um Entschuldigung zu bitten, was ihnen von kirchlichen Mitarbeitern angetan worden sei. Schon unter dem emeritierten Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner hatte das Erzbistum ein wissenschaftliches Projekt gestartet, um die Geschehnisse in dem 1997 vom Erzbistum aufgegebenen Collegium Josephinum aufzuarbeiten. Zum Lenkungsausschuss des Projekts gehört auch Werner Becker, der den Stein mit seinem Interview ins Rollen gebracht hatte.

Weitere Ehemalige gesucht

Im Mittelpunkt des vom Erzbistum Köln finanzierten wissenschaftlichen Projekts zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs sowie körperlicher und psychischer Gewalt am Collegium Josephinum Bad Münstereifel steht die Aufarbeitung mit und für Betroffene. Sie orientiert sich an deren Erleben und Bedürfnissen. In einem geschützten Raum sollen sie ihre Erlebnisse und Erfahrungen offenlegen können.

„Das Projekt steht aber auch Ehemaligen offen, die ihre Zeit im Internat als biografisch wertvollen Lebensabschnitt betrachten“, sagt die wissenschaftliche Projektleiterin Prof. Dr. Claudia Bundschuh: „Auch die Offenlegung ihrer Erfahrungen ist ein wichtiger Beitrag, um die Geschichte des Internats im Abschlussbericht realitätsnah nachzuzeichnen.“

Damit dies gelingt, sollen noch möglichst viele Ehemalige gehört und einbezogen werden. Bisher gab es rund 40 Rückmeldungen. Den größeren Anteil hatten dabei Ex-Schüler, die sich als Opfer sehen. Voraussichtlicher Abschluss der Interviews ist der 30. Mai. Bis dahin können Ehemalige des Konvikts weiterhin per E-Mail oder unter 08 00/0 00 55 34 kostenfrei einen Gesprächstermin vereinbaren.

Anfang kommenden Jahres will Claudia Bundschuh den Abschlussbericht veröffentlichen.

info@pro-cj.de

Ein Jahr nach Beginn legen die wissenschaftliche Projektleiterin Prof. Dr. Claudia Bundschuh, eine Erziehungswissenschaftlerin der Hochschule Niederrhein, die sich besonders mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche beschäftigt, und die operative Projektleiterin Dr. Bettina Janssen – die Rechtsanwältin und Mediatorin leitete viele Jahre das Büro der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen sexuellen Missbrauchs – nun ihren Zwischenbericht vor.

Für sie steht fest: Im Konvikt hat es mehrfach Gewalt gegen Jungen in unterschiedlicher Form gegeben. Betroffene haben von sexuellen Übergriffen, von sexuellem Missbrauch von Kindern und Schutzbefohlenen, von körperlicher Misshandlung, etwa durch Faustschläge und Tritte, sowie von psychischer Gewalt berichtet.

Und es habe sich nicht nur um Taten eines Einzelnen gehandelt. Insgesamt sechs Fachkräfte des Internats, darunter auch Kirchenleute, seien sexueller Gewalt beschuldigt worden, neun körperlicher Gewalt, darunter eine Lehrkraft, die Jungen außerhalb des Internats Nachhilfe erteilt habe.

Seit den 1950er Jahren bis weit in die 1970er Jahre sei das Leben nicht weniger Kinder und Jugendlicher im Internat von Gewalt beeinflusst worden. Nach bisheriger Datenlage könne erst ab Mitte der 1980er Jahre von einem Ende der sexuellen und körperlichen Gewalt gesprochen werden.

Beschuldigte, die noch leben, müssten allerdings nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Denn in allen genannten Fällen seien die Taten verjährt. Im Rahmen des Projekts wurde mit ihnen bisher nicht geredet. Sollten im Abschlussbericht aber noch lebende Kleriker als Beschuldigte aufgeführt sein, so Bistumssprecher Christoph Heckeley, werde die Verfahrensordnung des Erzbistums entsprechend der Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz greifen.

Bettina Janssen (v.r.), Claudia Bundschuh und Christoph Heckeley legen nun den Zwischenbericht vor.

Schon der Auftakt führte dem Projektteam vor Augen, wie viele Facetten zu beleuchten sind. Rund 70 ehemalige Konviktler folgten der Einladung zu einem Treffen in Köln, bei dem die Wissenschaftler ins Gespräch mit Opfern kommen wollten. Doch rund die Hälfte der angereisten Teilnehmer sah sich keineswegs als Opfer. Vor allem jüngere Ex-Schüler, die das Collegium seit den 1980er Jahren besuchten, berichteten fast durchgängig von einer sehr fürsorglichen, wohlwollenden und unterstützenden Betreuung und Erziehung im Internat. Sie trieb vor allem eine Sorge nach Köln: Die Angst, durch die Arbeit der Kommission nun selbst zu Opfern gemacht zu werden. Claudia Bundschuh: „Sie sagten uns: »Unsere Familien gaben uns ins Internat, das Internat wurde unsere Familie, wir hatten dort eine gute Zeit. Und jetzt will man uns diese Familie nehmen«.“ Auch ein Vertreter dieser Gruppe, nach den direkten Opfern von Gewalt und deren Angehörigen von den Wissenschaftlern als tertiär Betroffene eingestuft, arbeitet im Projekt mit.

Viele der früheren Internatsschüler gehören heute dem rund 1000 Mitglieder großen Ehemaligenverein „Verein Alter Münstereifeler“ (VAMÜ) an. Sie haben schöne Erinnerungen an das Internatsleben, an ihre Zeit im „Kasten“, wie sie das Konvikt damals nannten. Schwierig, so klagte die operative Projektleiterin Dr. Bettina Janssen, sei es , Kontakt zu diesem Verein aufzunehmen. Auf viele Anfragen habe er gar nicht reagiert. Und in den Publikationen des Vereins finde das Thema „Missbrauch und Gewalt im Konvikt“ nicht statt.

Dr. Bert Nolte, der Vorsitzende des Vereins, sieht das anders: „Wir können nur nicht so mitarbeiten, wie sich die Kommission das vorstellt.“ So habe man die angefragten Adressdaten von Ex-Schülern aus Gründen des Datenschutzes und der Persönlichkeitsrechte nicht übermitteln können. Gleiches gelte für den Blick ins Archiv des Vereins. Nolte: „Doch diese Daten muss das Erzbistum ja selbst haben.“

Sein Amtsvorgänger, der Historiker Prof. Dr. Horst Wessel, sieht das genauso. In der Jahreshauptversammlung seien eigens zwei Mitglieder dazu legitimiert worden, für den Verein im Projekt mitzuarbeiten. Er selbst habe in seiner Internatszeit von 1957 bis 1966 nie etwas von Missbrauch mitbekommen. Das habe er auch dem Erzbistum geschrieben.

Es sei richtig und wichtig, dass dieser Aspekt der Internatsgeschichte objektiv aufgearbeitet werde. Allerdings, so Wessel: „Geärgert habe ich mich ein bisschen darüber, dass Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki schon vorab eine Entschuldigung ausgesprochen hat für das, was im Konvikt passiert sei, obwohl man noch gar nicht weiß, was passiert ist.“