AboAbonnieren

Ehrenamtlicher Dorfrat in Bad Münstereifel„Diese Gemeinschaft rührt mich zu Tränen“

Lesezeit 6 Minuten

Flutschäden am Erftufer an der Münstereifeler Straße.

Arloff-Kirspenich – Thomas Schmitz wusste ja, dass das Hochwasser kommen würde. Nach Geschäftsschluss am 14. Juli räumte er deshalb in seinem Einkaufsmarkt in Arloff die unteren Regalreihen leer. „Alles kam in Kisten und Rollcontainer – für den Fall, dass Wasser in den Laden läuft. Im Büro habe ich den Rechner auf den Tisch gestellt.“

Es dauert aber nicht lange, bis dem Kaufmann klar wurde: „Da ist nichts mehr zu retten.“ Der Frischmarkt Schmitz, der in der Dorfmitte gleich an der Erft liegt, wurde überschwemmt. Nicht nur das: Urplötzlich wurde das Schaufenster zertrümmert. Geschätzte 200 Meter flussaufwärts hatten die Fluten die Fußgängerbrücke mitgerissen, die bis dahin in Höhe der Hubertuskapelle das Gewässer überspannte.

Einen Neustart mit ihrem Frischmarkt, der überflutet wurde, streben Thomas und Gemma Schmitz an.

Erft wurde zu reißendem Fluss – Schaufensterscheiben zerstört

Jetzt schoss sie mit dem Hochwasser in den Ortskern, wo sie – aufgehalten von der zentralen Arloffer Erftbrücke – nach rechts in die Holzgasse getrieben wurde, die sich bereits in einen reißenden Fluss verwandelt hatte. Bevor die Fußgängerbrücke ihren Weg fortsetzte, zerstörte sie die Schaufensterscheibe.

Drei Wochen später schaffen Thomas Schmitz und seine Frau Gemma, die fest zu einem Neustart entschlossen sind, mit Helfern das letzte Wasser aus ihrem Frischmarkt. „Braucht Ihr größere Abzieher oder andere Geräte? So was kriegt Ihr in den Thonwerken“, sagt Martin Mehrens. Er macht zum x-ten Mal die Runde im Doppelort Arloff-Kirspenich, bietet Unterstützung an, wo er kann.

Telefonieren, koordinieren, trösten: Martin Mehrens im Einsatz.

Zum Ansprechpartner der Bevölkerung geworden

Mehrens ist Stadtverordneter und Vorsitzender der Dorfvereinsgemeinschaft. Seit die Flutkatastrophe weite Teile der beiden Ortschaften heimgesucht hat, ist er in die Rolle des Ansprechpartners für die Bevölkerung hineingewachsen. Das Gleiche gilt für Reiner Jansen, einen weiteren Münstereifeler Ratsherrn aus Arloff. „Als Stadtratsmitglieder sehen wir uns in der Pflicht, vorneweg zu marschieren und zu helfen“, sagt Mehrens über sich und seinen CDU-Parteifreund.

Eine Halle der – ehemaligen – Thonwerke, die Mehrens den Eheleuten Schmitz ans Herz gelegt hat, dient als Verteilzentrum. Menschen, denen die Flut ihr Hab und Gut genommen hat, können sich hier gratis mit Bekleidung, Hygieneartikeln und Grundnahrungsmitteln eindecken. Hinzu kommen Spielsachen für Kinder und eben Geräte wie Wasserschieber und Schaufeln.

Im Verteilzentrum in den früheren Thonwerken sorgen Ehrenamtler wie Chavva Schneider für die Versorgung der Hilfsbedürftigen.

Rund 20 Freiwillige kümmern sich darum, dass alles glatt läuft im Verteilzentrum, das unter der Woche von 15 bis 19 Uhr geöffnet ist. „Auch Marc Brucherseifer und seine Familie haben kräftig mit angepackt“, sagt Mehrens über den Unternehmer, dem das weitläufige frühere Industriegelände gehört. Brucherseifer habe die Halle samt Nebenflächen dem Dorf unentgeltlich zur Verfügung gestellt. „Voraussichtlich können wir noch bis Ende August bleiben“, so Mehrens.

Dorfrat gegründet – Etliche Straßen zerstört

Er kann seinen Job als Koordinator der Aufräumarbeiten und Hilfsaktionen nur machen, weil sein Arbeitgeber, die Firma Mane Deutschland in Kerpen, ihn freigestellt hat. „Und 3000 Euro für die Münstereifeler Hochwasserhilfe hat sie auch gespendet“, erzählt der 57-Jährige, der im Delegieren eine seiner Hauptaufgaben sieht.

Mehrens hat einen Dorfrat gegründet, dem Vertreter der Vereine, die Grundschule, die beiden Kindertagesstätten und die Kirchengemeinde angehören. Das Gremium soll künftig über die Verwendung von Spenden für Arloff-Kirspenich entscheiden.

Während im Verteilzentrum schon kurz nach der Öffnung beachtlicher Betrieb herrscht, sind im Ortskern schwere Bagger im Einsatz. Die Flutwelle hat weite Teile der Bachstraße und der Straße Erlenhecke zerstört, die die Erft säumen – und natürlich auch die Mauern, die den Fluss einfassten. Mittlerweile haben Mitarbeiter der Firma Strabag mit den Baggern mächtige Steine zu einer provisorischen Böschung übereinandergelegt.

Die Bachstraße. die Straße Erlenhecke (l.) und die Einfassung der Erft in Arloff werden provisorisch wiederhergestellt.

Von der Brücke, die Bahnhofstraße und Holzgasse miteinander verbindet, blickt Mehrens auf die Hubertusschänke: „Die ist für viele, die in ihren Häusern arbeiten, abends Treff- und Infopunkt. Der Austausch zum Tagesausklang ist wichtig.“ Der Wirt der Gaststätte, Ralf Dirk Roggendorf, versorge die abgekämpften Flutopfer mit Grillfleisch.

Nicht ewig freigestellt: Ehrenamtler hofft zuküntig auf Beauftragten der Stadt

Mehrens fährt in Richtung Steinbachtalsperre, an den Ortsrand. Dort halten ihn – weil sie eine Frage haben – zwei Mitarbeiter der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) an, die in einem Pritschenwagen unterwegs sind. Dank der Kontakte, die ein Dorfbewohner hatte, ist ein insgesamt 25-köpfiger WSV-Trupp für einen Arbeitseinsatz in Arloff-Kirspenich engagiert worden. „Die sind Gold wert beim Abtransport von Sperrmüll und Schutt“, sagt der 57-Jährige, auch mit Blick auf den Fuhrpark, darunter ein Unimog und ein Radbagger.

„Ich war noch nie so gefordert wie in den vergangenen drei Wochen“, erzählt Martin Mehrens. „Immer gibt es etwas zu klären, von der Müllentsorgung bis zur Wohnungssuche für Leute, die nicht mehr in ihr Haus können.“ Er werde unzählige Male am Tag angerufen, manchmal auch angegiftet. „Das musst du doch wissen, du bist doch bei der Stadt“, heiße es dann, was natürlich nicht stimmt.

Apropos: Mehrens wünscht sich, dass die Münstereifeler Verwaltung bald einen Mitarbeiter abstellt, der sich mit den Belangen der Arloff-Kirspenicher befasst. „Ewig werde ich von meiner Firma nicht freigestellt.“ Unabhängig davon spüre er mittlerweile die Belastung, die seine ehrenamtliche Arbeit mit sich bringe.

Taiwaner, die zum Helfen kamen, ernteten befremdliche Blicke

In mehreren Orten an der Erft, die von der Flut heimgesucht worden sind, war diese Woche eine Delegation des gemeinnützigen buddhistischen Vereins Tzu Chi unterwegs. Er hat seinen Hauptsitz in Taiwan. An der Tour im Kreis Euskirchen nahmen Mitglieder teil, die in Deutschland und Österreich leben.

Sie wollen Menschen helfen, die von der Flut betroffen sind. Wie viel Geld Tzu Chi bereitstelle, müsse mit der Zentrale in Taiwan besprochen werden, sagte Jan Wolf, der mit seiner Ehefrau Mei Lin zu der zwölfköpfigen Gruppe gehörte. „Wir sind hier, um uns ein Bild zu machen. Danach schreiben wir einen Bericht für unser Headquarter, auf dessen Basis die weiteren Entscheidungen fallen.“

Begleitet wurden die Ehrenamtler von Angelica Netz, der Präsidentin des Rotary-Clubs (RC) Euskirchen-Burgfey, deren Mitstreiter Manfred Poth sowie Wolfgang Deinhard vom RC Euskirchen. Die Rotarier, die ebenfalls Flutopfer unterstützen, hatten den Kontakt zu Tzu Chi hergestellt. Nach einem Besuch bei Landrat Markus Ramers (SPD) fuhren sie mit Wolf und den Taiwanern nach Kreuzweingarten, um eine von der Katastrophe hart getroffene, alleinerziehende Mutter und ihre Kinder zu treffen. Tzu Chi überreichte ihr einen Scheck als Soforthilfe.

In Arloff-Kirspenich besuchte die Delegation die katholische Kita St. Bartholomäus. Die stellvertretende Leiterin, Tanja Graf, berichtete, dass zwei Gruppen- und drei Nebenräume, der Flur und der Keller überflutet worden seien: „Boden und Estrich müssen raus. Wir haben aber Glück im Unglück gehabt.“

Im Münstereifeler Rathaus ließen sich die Asiaten und ihre Begleiter von Bürgermeisterin Sabine Preiser-Marian (CDU) über die Lage informieren. Die geplanten Rundgänge durch die zerstörte Altstadt und durch Iversheim wurden gestrichen, wie Manfred Poth sagte.

In ihrer Einheitsmontur – weiße Kappe, blaue Oberteile, weiße Hose – hätten die Taiwaner auf dem Weg vom Klosterplatz zum Rathaus befremdliche Blicke geerntet und entsprechende Bemerkungen zu hören bekommen. Sie seien von manchen Einheimischen und Helfern für Katastrophentouristen gehalten worden, so Poth. Preiser-Marian sagte: „Ich bitte um Entschuldigung, wenn Leute, die den Grund Ihres Besuchs nicht kennen, mit Unverständnis reagieren.“ (ejb)

Mitglieder des taiwanischen Vereins Tzu Chi, der Flutopfern helfen will, auf ihrem Weg ins Münstereifeler Rathaus.

„Ich bin ja auch als Psychologe gefordert. Ich muss die Leute aufbauen, sie motivieren, ihnen Unterstützung zusagen – zuerst pauschal, irgendwann konkret.“ All das zehre an den Nerven.

Das könnte Sie auch interessieren:

Sein Blick schweift zu dem Feldweg am Dorfrand. „Von dort kam das Wasser aus dem Arloffer Wald gelaufen. Dadurch wurde auch die obere Holzgasse überflutet, während der untere Teil das Wasser aus der Erft abbekommen hat“, erzählt Martin Mehrens von der furchtbaren Nacht, die in Arloff und in Kirspenich so schnell niemand vergessen wird.

Was ihm Mut macht, ist zum einen die Zuversicht der Menschen, zum anderen die Art, wie sie sich in der Krise gegenseitig unterstützen: „Diese Gemeinschaft rührt einen zu Tränen.“