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„Jedes Hochwasser ist anders“SPD Euskirchen lädt Experten ein

Lesezeit 6 Minuten

Verhindern kann man Hochwasserereignisse, hier in Bad Münstereifel, laut Experten zwar nicht, aber die Schäden eindämmen.

Kreis Euskirchen/Blankenheim – Gut 100 Tage ist die Naturkatastrophe des Hochwassers her. „Doch die Folgen werden uns noch viel länger als weitere 100 Tage beschäftigen!“ So begrüßte der SPD-Kreisvorsitzende Thilo Waasem in der Aula des Schulzentrums am Finkenberg in Blankenheim die rund 50 Teilnehmer der „Eifelkonferenz“ des SPD-Kreisverbands. Die stand unter dem Titel „Nachhaltiger Wiederaufbau der Hochwasssergebiete“. Er machte damit schon zu Beginn der dreistündigen Veranstaltung klar, was Experten in der Folge bestätigen sollten: Es geht darum, wie man sich auf künftige Hochwasserereignisse besser als bisher vorbereitet. Doch verhindern können wird man sie nicht.

Das sei ein „notwendiges Thema“, unterstrich Blankenheims Bürgermeisterin Jennifer Meuren, die ein konkretes Beispiel hatte: So seien trotz gebauter Rückhaltebecken im Rahmen des Projektes „Ahr 2000“ Orte wie Ahrhütte und Ahrdorf im Gemeindegebiet „besonders hart betroffen“ gewesen. Nun müsse es nach der Beseitigung der Flutschäden auch Aufgabe der Verwaltung sein, Vorsorgemaßnahmen zu planen. Mit deren Umsetzung und Finanzierung allerdings sei eine Kommune wie Blankenheim überfordert.

„Schnell, merklich und unkompliziert“ ist das aus ihrer Sicht eine interkommunale Aufgabe. Bund und Länder seien bei der Übernahme von Kosten gefordert. „Und wir brauchen jetzt zügige Genehmigungsverfahren!“ appellierte Meuren eindringlich.

Die Flut war eine „neue Dimension der Zerstörung“

Die rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete Sabine Bätzing-Lichtenthäler, bis Mai 2021 in Mainz Ministerin für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie, ist Mitglied der SPD-Delegation bei den „Ampel-Sondierungen“ in Berlin.

Eine „Schneise der Verwüstung“, so Bätzing-Lichtenthäler, habe die Flut Mitte Juli gerissen. 134 Menschen starben dabei alleine in Rheinland-Pfalz. Als Beispiel nannte sie auch die 61 von 72 Brücken, die im Ahrtal zerstört wurden. Das sei „eine neue Dimension der Zerstörung“ gewesen, die eine neue Dimension des Wiederaufbaus und unbürokratisches Verwaltungshandeln erfordere, so ihre Schlussfolgerung. Nicht zu vergessen: Es habe sich nach der Naturkatastrophe auch „eine neue Dimension der Hilfsbereitschaft“ gezeigt.

Bätzing -Lichtenthäler zählte dann auf, was sie für „mustergültig“ hält. So habe Rheinland-Pfalz eine neue „Wiederaufbauorganisation“ geschaffen, Vor-Ort-Beauftragte benannt, Strategien für eine schnelle und vor allem „niedrigschwellige“ Beantragung von Hilfsgeldern entwickelt und zusammen mit Nordrhein-Westfalen einen Antrag im Bundesrat für eine schnellere Genehmigungspraxis eingebracht. Was damit gemeint ist, habe die Landesregierung in Mainz mit dem „Landeswiederaufbauerleichterungsgesetz“ umgesetzt: „Wir haben ganze Straßen einfach neu gebaut, ohne großes Planfeststellungsverfahren.“

Hochwasserkonzepte erarbeiten und lernen aus der Katastrophe müsse man

Bätzing-Lichtenthäler forderte ein Hochwasserschutzkonzept für alle Kommunen in Deutschland. In Rheinland-Pfalz haben es nach ihren Angaben schon 1100 Kommunen aufgestellt. 90 Prozent der dabei entstehenden Kosten werden vom Land gefördert. „Aus den Lehren des Ahrtals kann man Empfehlungen für ganz Deutschland entwickeln“, so ihre Überzeugung. Genauso wichtig wie die finanziellen Hilfen sei aber auch die „seelische Hilfe für die Betroffenen“. Das Land plane den Bau einer „Trauma-Ambulanz“ im Ahrtal.

Das war gleich ein ganzes Bündel an möglichen Ideen für Euskirchens Landrat Markus Ramers. Er zeigte seinerseits auf, wie die Kreisverwaltung bisher schnell und unbürokratisch Hochwasseropfern geholfen hat. So würden ab diesem Montag etwa über das „Eifel Carsharing“ 22 Fahrzeuge – zwei pro Kommune – im Kreis bereitgestellt, „um denjenigen, die bei der Flut ihren Pkw verloren haben, ein bisschen Mobilität zurückzugeben.“ Ein „Impfmobil“ sei schon seit einiger Zeit im Kreisgebiet vor allem in den vom Erfthochwasser betroffenen Gebieten unterwegs. Und bei der Antragstellung für finanzielle Hilfen wurden die Beratungen intensiviert. „Das sind einige der Bausteine für den Wiederaufbau“, so Ramers. Ähnliche Maßnahmen gibt es für die Wiederherstellung der Infrastruktur. Wobei Ramers mit Blick auf die Reparatur der Bahnstrecke wenig Tröstliches mitteilte: „Bis Sommer 2022 fährt die Bahn bis Kall, aber erst 2023 wieder bis Trier. Für die Berufspendler sind das weiter starke Einschränkungen.“

Doch wie kann nun der Hochwasserschutz aussehen? Es reiche nicht aus, nur die „Überschwemmungskarten neu zu bewerten“, sagte Ramers: „Wir müssen neu entscheiden, was wo nicht gebaut werden darf. Kein Pflegeheim, aber doch eine Scheune? Bauten auf Stelzen oder hinter neuen hohen Mauern? Wo ist kritische Infrastruktur von möglichen Überschwemmungen betroffen?“

„Jedes Hochwasser ist anders“

Ein Fachmann für solche Fragen ist Professor Dr. Burkhard Teichgräber, Geschäftsbereichsleiter bei „Emschergenossenschaft und Lippeverband“ in Essen. Er beurteilte Erfahrungen aus anderen extremen Hochwasserereignissen in Deutschland, etwa das an der Elbe im August 2002 oder 2014 in Münster.

Zukunftskonferenz

Die rund 50 Teilnehmer der SPD-Eifelkonferenz in der Aula des Blankenheimer Schulzentrums.

In der Diskussion beschäftigten sich die Teilnehmer kritisch auch mit den Hilfsmaßnahmen. „Wir müssen zum Beispiel dem Erftverband klar machen, dass er Teil der Lösung ist, und nicht Teil des Problems“, so Annegret Lewak, Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Zülpich. Sie forderte weitere Veranstaltung wie die „Eifelkonferenz“ zum Thema Hochwasserschutz ein.

Martina Frenzel von der Initiative „Leben-in-Münstereifel“ wiederum bemängelte, „dass wir bisher keine Bürgerversammlung und keine Zukunftskonferenz in Bad Münstereifel hatten“. Sie verstehe nicht, „warum das, was im Ahrtal klappt, bei uns bisher nicht möglich ist“.

Gerd Tillmann, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Zülpicher Stadtrat, ordnete das Gehörte in den historischen Kontext ein: „In den 1960er Jahren gab es auch schon Hochwässer. Man hat damals nichts getan und in Kauf genommen, dass sich die Schäden wiederholen. Das war falsch! Hätten wir in den vergangenen 50 Jahren das Geld, das nun die Versicherungen an die vom Hochwasser Betroffenen ausschütten, für Schutzmaßnahmen investiert, wäre uns ein Schaden wie im Juli erspart geblieben!“ (sli)

„Jedes Hochwasser ist anders“, so Teichgräber. Und es verhalte sich in der Regel nicht genau so, wie in Modellen zuvor berechnet. Drei Hauptmechanismen für Schäden durch extreme Niederschläge an Gebäuden hat der Experte dabei ausgemacht: Der Rückstau im Keller wegen fehlender Rückstauklappen am Abwasserkanal, wild abfließendes Wasser und Bachläufe oder Flüsse, die über die Ufer treten.

Die beiden letztgenannten Mechanismen treten nach seiner Erfahrung „immer zusammen auf und lassen sich auch in Hochwasserkarten oder Überschwemmungskarten darstellen“, so Teichgräber. „Wie stark dann allerdings die Überflutungsschäden wirklich sind, hängt von der Besiedlung vor Ort ab.“ Und die sei in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs deutlich gestiegen. Was die Wahrscheinlichkeit von Überflutungsschäden entsprechend erhöhe. Die Mitverantwortung des Menschen am Klimawandel komme ergänzend dazu.

Teichgräber schlägt eine Reihe von Maßnahmen vor, die sich nach seiner Meinung andernorts bewährt haben: Die Renaturierung von Gewässern, der Bau von Hochwasser- und Regenrückhaltebecken gehöre dazu. Beides zusammen könne „die Gefahr von Hochwasserereignissen halbieren“. Man müsse den Gewässern wieder den Raum geben, den sie benötigen, etwa durch Überflutungsflächen. Es sei aber illusorisch zu glauben, „dass deshalb etwa Besiedlungsflächen abgerissen werden“. Zudem, da ist Teichgräber Realist genug, „werden wir solche Hochwasserereignisse nicht verhindern können. Wir können die Schäden aber eindämmen.“

Sein Maßnahmenpaket sieht unter anderem vor, den Hochwasserschutz durch Behebung von technischen Defiziten – etwa ein neues Pegelstandmesssystem – zu verbessern. Dazu müsse eine bessere Zusammenarbeit im Katastrophenschutz unter den beteiligten Verwaltungsabteilungen und Hilfsdiensten kommen. Eine eigene „Hochwasserzentrale“ sei sinnvoll. Und die Krisenstäbe der Landkreise müssten stärker synchronisiert werden. Ein Programm „Überströmung von Deichen“, das auch erlaube, dass in Schadensabwägung Flächen gezielt geflutet werden, sowie ein Schutzkonzept „für Polder mit Bevölkerungsgefährdung“ waren weitere Punkte.

Dass immer die Gesetzgebung und die Genehmigungspraxis dem anzupassen sei, setzt Teichgräber voraus. Dazu gehört für ihn die bundesweite Einrichtung eines neuen Sirenensignals „Hochwassergefahr“ mit entsprechenden Handlungsanweisungen für die Bevölkerung.

Ramers kündigte an, dass es im November eine größere Wiederaufbaukonferenz geben werde, der mehrere kleinere in den betroffenen Orten folgen.