Kreis Euskirchen – Sechs Woche nach der Hochwasserkatastrophe hat sich für die Mitarbeiter der ambulanten Pflegedienste und die Patienten die Lage wieder etwas normalisiert. Zeit nach vorne zu blicken und einem Blick zurück zu werfen.
Michael Tilz, 34, vor fünfeinhalb Jahren vom Straßenbauer zum examinierten Krankenpfleger beim Caritasverband Euskirchen umgeschult, parkt an diesem Morgen seinen kleinen Dienstwagen am Orchheimer Tor vor dem Eingang zur Altstadt von Bad Münstereifel. Er muss nur ein paar Meter die vom der Flut stark beschädiget Straße stadteinwärts gehen, dann wird er bei einem der Patienten klingeln, die auf seiner Tagestour zwischen Arloff, Kirspenich, Kalkar und Kreuzweingarten zu betreuen sind. Ob Kompressionsstrümpfe wechseln, ob große oder kleine tägliche Pflege, ob die Medikamentenkontrolle – das ist Alltag für Tilz.
„In den ersten Tagen nach der Katastrophe wussten wir ja gar nicht, wo welche Patienten sind"
Genauer wieder Alltag für den Krankenpfleger des Caritas-Pflegstützpunktes Bad Münstereifel an der Werther Straße, dessen kleine Geschäftsstelle vom Erfthochwasser ebenfalls geflutet wurde. „In den ersten Tagen nach der Katastrophe wussten wir ja gar nicht, wo welche Patienten sind. Wurden sie zu Verwandten evakuiert, woanders hin? Es gab keinen Strom, kein Telefon, die Straßen waren teilweise nicht befahrbar“, so Guido Olzem, Pflegedienstleiter Ambulante Pflege für die Caritas im Kurort. Von 140 Patienten, die der Stützpunkt betreut, waren 30 evakuiert – ungefähr ein Dutzend ist es immer noch.
Olzem sitzt in einem Minibüro im Wohn- und Betreuungsverbund Haus Sonne, sicher über der Stadt gelegen, mit Internet und funktionierender Telefonleitung. Am 17. Juli hatte ihm die Geschäftsführung, als er dort vorgesprochen hatte, sofort und unbürokratisch das Räumchen angeboten. Aus dem Notbüro haben er und das Team Notdienste, Doppelschichten organisiert. Gehandelt haben wie immer nach der Devise: Wer braucht was am dringendsten?
Die Not machte erfinderisch
Diese Tage sind auch für Michael Tilz vor Ort bei den Patienten glücklicherweise vorbei. Er klingelt in Kirspenich bei Margarethe Meier (Name geändert). Die 72-Jährige wohnt bei ihrer Schwiergertochter, das Haus steht zwar hoch genug am Hang, doch der ganze Ort war vier Tage lang ohne Strom, Wasser und Heizung. Da hatte die Familie Glück im Unglück: Der Sohn von Margarethe Meier – auch er möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen – ist Lastwagenfahrer und hat den mit einer Gaskartusche betriebenen kleinen Kocher immer an Bord. Zudem kochte eine Verwandte aus Bouderath der Familie Bohneneintopf. Was sonst an Lebensmitteln benötigt wurde, fand sich in der Spendenausgabe in Arloff.
Diese Nottage sind entlang der Route von Michael Tilz Geschichte. Auch die Caritas-Zentrale in Euskirchen übermittelt am Dienstag eine frohe Botschaft: Das Telefonfestnetz funktioniert wieder! Not mache auch erfinderisch, so Carsten Düppengießer, Bereichsleiter Migration und Flüchtlingshilfe beim Caritasverband: „Unsere Tagespflege für Senioren ist leider so stark von der Flutkatastrophe betroffen, dass wir den Betrieb dort auf unbestimmte Zeit einstellen mussten. Bis wir dort wieder arbeiten können, haben wir eine Notbetreuung in den Räumen unseres Servicezentrums Demenz und Hospiz eingerichtet. Gäste, die nicht Zuhause betreut werden können, werden hier verlässlich versorgt.“ Zweimal in der Woche unterstützen die Kolleginnen der Tagespflege das Team der Demenzhilfe nachmittags beim Demenz-Café. Das läuft nämlich ganz normal weiter – wie alle anderen Angebote des Servicezentrums, dass nicht vom Hochwasser betroffen ist.
Geschichten aus den Tagen nach der Flut gibt es genug
Monika Kronenberg, Leiterin der Fachabteilung Demenz in der Diakonie-Station in Euskirchen hält kollegiale Hilfe unter den Sozialverbänden in dieser Lage für selbstverständlich. Ihr Verband in der Kreisstadt ist nicht vom Hochwasser betroffen und hat daher Räume für die Kollegen von der Caritas bereitgestellt.
Doch sie kann auch schreckliche Geschichten von den ersten Tagen nach der Flut berichten. „Es gab in der Nacht und auch die Tage danach kein Telefon. Da haben die Leute in ihrer Not einfach bei uns geklingelt.“ Am 15. Juli vormittags sei so ein Ehepaaar vorbeigekommen. Der Ehemann braucht eine Magensonde. Er sei aus dem Krankenhaus entlassen und nach Hause geschickt worden, so Kronenberg: „Die beiden suchten verzweifelt nach einer Möglichkeit, an Medikamente und Infusionen zu kommen. Aber die Apotheken und Ärzte waren zu oder nicht erreichbar.“
Ebenfalls an diesem Tag stand die Feuerwehr vor der Tür der Diakonie-Station in Euskirchen, Eine fast 100-Jährge, so Kronenberg, im Schlepptau. Die alte Dame lebte alleine auf einem etwas abseits gelegenen Hof, das Gebäude wurde vom Hochwasser beschädigt, die Frau musste evakuiert werden. Nur wohin? „Sie hat keinerlei Anverwandte mehr“, so Kronenberg.
Es müssten Notversorgungen und -Systeme für die Zukunft aufgebaut werden
Die Bitte der Feuerwehr, die Frau für eine Nacht aufzunehmen, musste die Diakonie-Mitarbeiterin ablehnen, ihre Familie lebt selbst in einem vom Hochwasser geschädigten Haus. „Eine Kollegin wurde dann nach Intervention des Ordnungsamtes mit der Dame für die Nacht in einem Hotel in Stotzheim einquartiert.“ Als man die beiden Frauen am nächsten Morgen dort abholen wollte, war die Zufahrt ins Dorf gesperrt. Wo die beiden Frauen waren? Unklar, per Telefon war keine Verbindung möglich. Erst später löste sich das Problem.
Kronenberg lehnt sich im großen Raum des Tagescafés kurz im Stuhl zurück. Das alles hat sie nachdenklich gemacht: „Man muss sich fragen, was passiert künftig mit Menschen wie der Dame aus Kirchheim: obdachlos ohne Angehörige. Jede Kommune müsste meiner Meinung nach für solche Fälle eine Notwohnung vorhalten.“ Was sie ebenfalls umtreibt, ist der Fall des Mannes auf der Suche nach Medikamenten: „Wir brauchen für solche Notlagen ein niedrigschwelliges und unkompliziertes System, wie man an Medikamente kommt – auch ohne ärztliche Verordnung, wenn die nicht erreichbar ist.“ In solchen Fällen müsse notfalls auch eine Aufnahme ins Krankenhaus möglich sein.
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Im Nachgang der Katastrophe ist Kronenberg, ähnlich wie Guido Olzem von der Caritas, erst einmal froh, dass der größte Teil der Patienten wieder wie immer versorgt werden kann.
Altenpfleger Michael Tilz hat unterdessen seine Tagestour beendet. Immer im Zeitplan, immer war die eigentliche Pflege nur das Eine. „Mindestens genauso wichtig ist, dass man ein Ohr und ein paar Worte für ein Gespräch mit den Menschen hat. Oft bin ich der Einzige, den diese Leute am Tag sehen.“ Manchmal sogar in einer Woche.