Kreis Euskirchen – „Sankt Martin, Sankt Martin...“ Ein spöttischer Gesang schallt aus einem Hauseingang in Euskirchen, als die lange Kolonne der „Montagsspaziergänger“ schweigend vorbeizieht. Es hätte in der Tat etwas von einem folkloristischen Laternenumzug, würde es sich nicht tatsächlich um eine ungenehmigte Protest-Demo handeln. Und würden die Teilnehmer, die so ihre Ablehnung der Corona-Politik verdeutlichen wollen, nicht in Kauf nehmen, vom rechts- oder linksextremen Spektrum instrumentalisiert zu werden.
500 sind es am Montag in Euskirchen, 400 in Mechernich, 45 in Zülpich. In Bad Münstereifel treffen sich die „Spaziergänger“ donnerstags. Der Mix der Demonstranten ist weit gefächert. Für Beobachter ist es schwer, sie Gruppierungen zuzuordnen. Plakate oder Spruchbänder sind nicht zu sehen. Es werden keine Parolen skandiert. Überwiegend – und das deckt sich mit den Beobachtungen der Polizei – sind sie in Euskirchen und Mechernich dem bürgerlichen Spektrum zuzuordnen. Dem Anreiseverkehr nach zu schließen, kommt das Gros aus dem Kreis.
Auch Querdenker und Verschwörungstheoretiker dabei
Ganz augenscheinlich finden sich darunter sehr viele junge Menschen, die ihren Frust der vergangenen zwei Jahre loswerden wollen. Manchmal sind es ganze Cliquen. Aber es geht quer durch alle Altersstufen. Es gibt Familien mit Kindern, manche schieben Kinderwagen. Auch Senioren sind dabei. Wer wo zu verorten ist, ist völlig unklar. Gespräche mit den Demonstranten verdeutlichen, dass auch Querdenker und Verschwörungstheoretiker unter ihnen sind. Journalisten, die den Zug beobachten, werden immer wieder pauschal als Vertreter der Lügenmedien beschimpft.
Aber manche Teilnehmer wollen sich nicht einfach in eine Schublade stecken lassen. Etwa Marco Jonas aus Kall. „Ich bin gegen die Impflicht“, sagt Jonas, der nach eigener Darstellung zum zweiten Mal beim Spaziergang in Mechernich dabei ist. „Uns wurde versprochen, dass nach der zweiten Impfung Ruhe ist. Jetzt wird schon von der dritten und vierten Impfung gesprochen. Wo soll das enden?“, fragt der Kaller. Immer wieder gebe es neue Aussagen. „Irgendwann müssen die Leute die Impfungen dann auch noch selbst bezahlen“, befürchtet Jonas. Er sei kein Querdenker und auch kein Rechter, habe aber das Vertrauen in die Politik verloren. In Mechernich, so sagt er, seien keine Rechten unter den „Spaziergängern“. Jonas: „Man muss die Impfgegner und -befürworter zusammenbringen. Die Politik schafft das nicht.“
Corona-Auflagen missachten hat Bußgeld zur Folge
Der Kaller hat kein Problem damit, seinen Namen zu nennen. Andere scheuen davor zurück, wollen anonym bleiben. Kein Wunder. Die reine Teilnahme an einem solchen „Spaziergang“ ist zwar nicht strafbar. Allerdings: Wer sich nicht an Corona-Auflagen hält, riskiert ein Bußgeld. Beim „Montagsspaziergang“ in Euskirchen hat die Polizei bei mehreren Teilnehmen, die trotz Aufforderung des städtischen Ordnungsamtes keine Masken getragen haben, die Personalien feststellen können. Sie erhalten nun Bußgeldbescheide über 150 Euro. Die Organisation eines solchen „Spaziergangs“ ist jedoch sehr wohl strafbar, wenn er nicht im Vorfeld angezeigt wird.
Montags-„Spaziergänge“
Überall in der Region: Protest und Protest gegen den Protest
Kerzen und „Stasi raus“-Rufe: In Köln sind am Montag etwa 1500 Kritiker der Corona-Einschränkungen auf die Straße gegangen. Dabei sind die meisten Teilnehmer ruhig geblieben, Sprechchöre und Banner hat es kaum gegeben. Einige Demonstranten haben Parallelen zur friedlichen Revolution in der DDR im Jahr 1989 gewählt.
In Kerpen sind zuletzt etwa 500 Menschen durch die Straßen gezogen, um gegen die mögliche allgemeine Impfpflicht und die Corona-Verordnungen zu demonstrieren. Bei den ersten „Montagsspaziergängen“ sind es etwa 250 gewesen. Auch in Erftstadt-Lechenich, Brühl und Pulheim hat es bereits Demos gegeben. Ähnlich wie im Kreis Euskirchen gibt es im Rhein-Erft-Kreis vermehrt Gegendemonstrationen. Am Montag sind in Elsdorf etwa 40 Menschen unter dem Motto „Impfen statt schimpfen“ zusammengekommen. Zu den Teilnehmern der von den Elsdorfer Jusos organisierten Demo haben auch Ratsvertreter von SPD, CDU und Grünen gehört.
1300 Menschen haben sich am Montagabend laut Polizeiangaben ohne Anmeldung in der Gummersbacher Innenstadt versammelt und gegen eine Impfpflicht demonstriert. Dis bisherige Veranstalterin hatte ihre Anmeldung am Sonntag per Mail zurückgezogen, weil sie laut Polizei nicht die erforderliche Zahl von Ordnern zusammenbekommen habe. Eine als „Spaziergang“ deklarierte Versammlung war die Folge. Zu Beginn sind mehr als 75 Prozent der Teilnehmer ohne Maske durch die Stadt gezogen. Später, nachdem das Gummersbacher Ordnungsamt per Lautsprecher-Durchsage mehrfach auf eine Maskenpflicht und drohende Bußgelder hingewiesen hat, ist die Zahl der Maskenträger auf etwa 50 Prozent gestiegen.
Der „Spaziergang“ ist bereits der siebte in Gummersbach gewesen. Lediglich der erste sei nicht angezeigt worden, heißt es seitens der Polizei. An einem Spaziergang haben sich sogar etwa 1800 Teilnehmer beteiligt. Auffällig: Nur wenige, die sich an dem Protest gegen die Corona-Maßnahmen beteiligen, scheinen aus Gummersbach zu kommen. Ein Phänomen, das zuletzt auch in Bad Münstereifel zu beobachten gewesen ist. Dafür sind in Gummersbach Polizisten dabei gewesen, die in ihrer Freizeit ebenfalls gegen die Bundesregierung demonstrieren, während ihre Kollegen den „Spaziergang“ offiziell begleiten.
In der Städteregion Aachen sind laut Polizei zuletzt rund 1600 Menschen aus Protest gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gegangen. In Düren hat die Polizei etwa 480 Teilnehmer gezählt. (tom)
Die „Spaziergänge“ sind nach Einschätzung des NRW-Innenministeriums wie normale Demonstrationen zu behandeln. Das geht aus einer rechtlichen Einschätzung des Ministeriums hervor, die als Richtschnur an alle Polizeibehörden im Land geschickt wurde. Auflösen kann man die Aufzüge laut Innenminister Herbert Reul (CDU) allerdings nicht ohne Weiteres. „Die derzeitigen Montagsspaziergänge sind als Versammlung zu qualifizieren“, heißt es in dem Schreiben des Ministeriums. Auch wenn es sich angeblich nur „um regelmäßige Privatspaziergänge mit Freunden und Bekannten handele“, überwiege der politische Charakter. Dass bei den Protestzügen keine Plakate geschwenkt würden, ändere daran nichts. Zudem seien diese „Spaziergänge“ selten spontan – sondern via Messengerdienst verabredet.
Demo-Drahtzieher schwer auszumachen
Aus diesem Grund schreibt die Polizei nach den „Spaziergängen“ Anzeigen gegen Unbekannt. Den einen oder anderen mutmaßlichen Organisator, so der Euskirchener Polizeidirektor Harald Mertens, habe man auch schon ausgemacht.
Bei den Demos selbst sind die Drahtzieher nur schwer auszumachen. Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin setzen sich die Teilnehmer zur angesagten Zeit in Bewegung. Zum Teil haben sie sich in geschlossenen Telegram-Gruppen-Gruppen konspirativ verabredet. Oder sich in einem der Tageskalender, die von allen möglichen Gruppierungen ins Internet gestellt werden, über Ort und Zeit eines „Spaziergangs“ informiert. Dieser Tageskalender bedienen sich einträchtig mit Querdenkern und Reichsbürgern auch politische Gruppierungen des ultralinken und ultrarechten Spektrums.
Doch scheren sich die wenigsten Teilnehmer um staatliche und behördliche Autorität. Als eine Mitarbeiterin des Euskirchener Ordnungsamtes die „Spaziergänger“ auffordert, die Corona-Vorschriften einzuhalten und Masken anzulegen, folgt dem kaum jemand. Anders in Zülpich: Dort ist am Montag erstmals eine Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen zuvor angezeigt und mit der Polizei abgesprochen worden. Dort sind die Teilnehmer der Maskenpflicht nachgekommen.
„Spaziergänge“ häufig vorher nicht angezeigt
Für die Polizei, so macht Mertens deutlich, biete die Nicht-Einhaltung der Maskenpflicht keinen Grund, einzuschreiten und etwa den „Spaziergang“ aufzulösen: „Es ist nicht die Hauptaufgabe der Polizei, Infektionsschutzmaßnahmen durchzusetzen.“ Dazu gebe es nach Auslaufen der bundeseinheitlichen Notbremse für die Polizei keine gesetzliche Grundlage. Tätig werden könne die Polizei zwar in Amtshilfe fürs städtische Ordnungsamt. Doch dabei sei die Verhältnismäßigkeit zu prüfen. „Hatten Sie den Eindruck, dass in Euskirchen alles Verbrecher unterwegs waren?“, lautet Mertens rhetorische Frage im Interview. Aus Sicht des Bevölkerungsteils, der sich an Corona-Regeln halte, möge das unverständlich erscheinen. Bei der Abwägung, ob eine Maßnahme mit Zwang umzusetzen ist, sei die Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Und der Aspekt, ob eine Maßnahme überhaupt mit Zwang umsetzbar sei.
Ärgerlich sei aus Sicht der Polizei, so Mertens, dass die bisherigen „Spaziergänge“ zwar alle friedlich verliefen, mit Ausnahme des aktuellen in Zülpich aber nicht vorher angezeigt worden seien. Das mache es der Polizei schwer, ihrem Schutzauftrag nachzukommen. Seiner Einschätzung nach wären die „Spaziergänge“, die bisher stattgefunden haben, allesamt genehmigt worden.
„Teilnehmer sollten prüfen, mit wem sie da auf die Straße gehen“
Stattdessen müssen die Beamten im Moment nun blitzschnell reagieren, wenn die Spaziergänger mal wieder einen Haken schlagen und einen anderen als den erwarteten Weg gehen. Wobei die Kreispolizei bei den bisherigen „Spaziergängen“ und den meist zeitgleichen Gegenkundgebungen sehr präsent ist, das mit eigenen Kräften schafft. Mertens legt Wert darauf, dass es infolge der Neutralitätspflicht für die Polizei unerheblich sei, wer wofür oder wogegen demonstriert. Aber: „Teilnehmer sollten sich stets selbst prüfen, mit wem sie da auf die Straße gehen. Da bin ich ganz bei unserem Innenminister.“
Gedanken machen sich natürlich auch die Bürgermeister über die aktuellen Geschehnisse in ihren Innenstädten. „Ich sehe ein bisschen mit Schrecken, wie unsere Gesellschaft auseinander driftet“, sagt Mechernichs Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick. Die Zahl der Teilnehmer an den „Montagsspaziergängen“ sei in Mechernich von Mal zu Mal größer geworden. „Ein sehr geringer Teil der Menschen kommt aus Mechernich“, sagt Schick. Manch einer mache sich die Situation zunutze, „um sein politisches Credo zu verbreiten“.
„Die Zusammenkünfte sind bisher friedlich verlaufen“, so Tim Nolden, Pressesprecher der Stadt Euskirchen. Es sei durch das Ordnungsamt mehrfach auf die bestehende Maskenpflicht hingewiesen worden. „Für die Frage, ob und wie Kontrollen durchgeführt werden, sind im Rahmen des Opportunitätsprinzips viele Aspekte zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall kommt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine besondere Bedeutung zu“, so Nolden.