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Autofreier Kreis in 2035?So könnte der Verkehr der Zukunft aussehen

Lesezeit 7 Minuten

Bis 2033 sollen die Züge im Kreis  im S-Bahn-Takt fahren.

  1. In unserer Serie „In Sachen Klima“ betrachten wir die Klima-Krsie bei uns vor der Haustür. Was ist der Status-Quo? Was kann und muss sich vielleicht verändern?
  2. Für einen ländlichen Kreis wie Euskirchen ist die Verkehrswende eine Herausforderung.
  3. Wie das gelingen kann? Experten schauen für uns auf die nächsten 15 Jahre.

Kreis Euskirchen – Morgens mit dem Leih-E-Bike über die Rad-Pendler-Route zum Bahnhof und dann mit der S-Bahn nach Köln fahren. Für den Besuch bei der Freundin im Nachbardorf ruft man den Taxibus oder nimmt ein Car-Sharing-Auto. In der Garage steht ein E-Auto für alle Notfälle, das über die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach geladen wird und das man sich mit den Nachbarn teilt. So oder so ähnlich könnte der Verkehr im Kreis Euskirchen 2035 aussehen.

Herausforderung für einen ländlichen Kreis

Mehr Radwege, mehr E-Bikes, mehr öffentlicher Nahverkehr und alles miteinander vernetzt: Daran arbeiten Susanne Kratzke und Achim Blindert vom Kreis Euskirchen bereits heute. Das Ziel: weniger Auto-Verkehr und weniger Treibhausgas-Ausstoß. Denn mit 12,5 Prozent hat der Verkehr in NRW den drittgrößten Anteil an den Treibhausgas-Emissionen. Wenn wir die Klimaziele einhalten wollen, muss sich etwas ändern.

Eine besondere Herausforderung in einem ländlichen Kreis. Auf 1000 Einwohner kamen laut IT NRW Anfang 2020 im Kreis Euskirchen 673,4 Autos. Der höchste Wert in ganz NRW. Um das zu ändern, müsse sich vor allem in den Köpfen der Menschen etwas ändern, sagt Klimamanager Maximilian Metzemacher. Aber er sieht auch Kreis und Kommunen in der Verantwortung: „Da muss sich von der Infrastruktur und von den Anreizen noch ein bisschen etwas tun.“

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Kratzke und Blindert sehen das ähnlich und setzen auf ein breites Angebot. Noch in diesem Sommer soll ein flächendeckendes E-Bike-Verleih-System im Kreis an den Start gehen. In Euskirchen, Bad Münstereifel, Blankenheim, Dahlem, Derkum, Kuchenheim, Nettersheim, Mechernich, Kall, Zülpich und Gemünd sollen feste Stationen eingerichtet werden, an denen man Räder ausleihen und abgeben kann. Diese sollen sich laut Kratzke an Bahnhöfen und großen Bushaltestellen befinden. „Es ist wichtig, dass man die Verkehrsträger miteinander vernetzt“, sagt Blindert. Im Umkreis jeder festen Station soll es zudem zwei Stationen geben, wo die Fahrräder nur zurückgegeben werden können.

Gedacht seien die Räder auch für Pendler. Diese können ein E-Bike am Bahnhof ausleihen, für wenig Geld über Nacht zu Hause abstellen und am nächsten Tag wieder zum Bahnhof fahren. Bei guter Nachfrage solle das Netz der E-Bike-Stationen weiter ausgebaut werden, so Kratzke. Zudem plane man das Modellprojekt Dorfrad. Dabei sollen in einem Dorf zehn E-Bikes an mehreren Stationen zum Verleih zur Verfügung stehen. „So dass man da nur kurze Wege hat, ein E-Bike auszuleihen“, sagt Kratzke. In welchem Dorf das getestet werden soll, stehe noch nicht fest.

Ausbau der Radwege

Außerdem will der Kreis das Radwegenetz verbessern. Es seien bereits Machbarkeitsstudien zu Pendler-Routen zwischen Euskirchen und Zülpich, Euskirchen und Weilerswist, Euskirchen und Bad Münstereifel, Euskirchen und Mechernich sowie Schleiden und Kall in Bearbeitung, berichtet Blindert. Für Pendler sei ein möglichst gradliniger und schneller Weg zum Ziel wichtig. „Und vielleicht gibt es auch pfiffigere Routen als entlang der Straße“, sagt er. Beim Thema Radinfrastruktur seien aber auch die Arbeitgeber gefragt. Mitarbeiter müssten ihr Fahrrad sicher am Arbeitsplatz abstellen können. Und auch Umkleiden und Duschen seien wünschenswert, merkt Metzemacher an, gerade im Sommer.

6 Tipps für mehr Klimaschutz im Verkehr

Das Auto verkaufen, wäre zwar fürs Klima gut, ist für viele aber keine Option. Was wir alle sonst tun können? Achim Blindert, Susanne Kratzke und Maximilian Metzemacher vom Kreis Euskirchen geben Tipps:

1 Richtig informieren. Viele kennen das ÖPNV-Angebot in ihrem Ort nicht genau. Auch bei E-Bikes lohnt es sich, genau nachzuforschen. Da gibt es inzwischen viele Modelle.

2 Auf Bequemlichkeit verzichten. Kurze Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zurücklegen.

3 In richtige Kleidung investieren. Mit einer guten Ausrüstung kann man bei jedem Wind und Wetter das Fahrrad nehmen.

4 Fahrgemeinschaften bilden. Es muss nicht immer jeder alleine zum Training oder zur Arbeit fahren. In Corona-Zeiten ist das vielleicht schwierig, aber es kommt auch eine Zeit nach Corona.

5 Wege verbinden. Termine und private Fahrten so legen, dass man mehrere Dinge hintereinander erledigen kann und nicht jeden Tag das Auto bewegen muss.

6 Homeoffice nutzen, da wo es geht. Je häufiger man von Zuhause aus arbeitet, desto weniger Fahrten hat man auch.

Kratzke sieht in der Hinsicht auch Nachholbedarf bei den Schulen. Hier mangele es oft an guten Abstellmöglichkeiten. Sie hält es für wichtig, bei Kindern und Jugendlichen anzusetzen. So könne man Gewohnheiten schaffen. „Ich bin früher immer mit dem Fahrrad zur Schule und zum Sport gefahren und nutze auch heute noch überwiegend das Fahrrad“, berichtet sie.

Ausbau des ÖPNV

Neben einer besseren Radinfrastruktur setzt der Kreis auf den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Das größte Projekt dort sei die Elektrifizierung der Bahn zwischen Kall und Köln sowie Euskirchen und Bonn, berichtet Blindert. Bis 2033 sollen die Züge elektrisch und im S-Bahn-Takt fahren sowie mehr Kapazität haben. Auf der Eifelstrecke soll dann alle 20 Minuten ein Zug fahren, statt wie bisher alle 30. Zusätzlich soll pro Stunde ein Schnellzug fahren. Der Fahrplan der reaktivierten Bördebahn soll noch in diesem Jahr verbessert werden. „Die Bördebahn verpasst derzeit die Anschlüsse in Euskirchen“, sagt Blindert.

Bis zum Ende des Jahres soll sich das ändern. Zudem werde die Bördebahn künftig einmal pro Stunde fahren und nicht nur alle zwei Stunden. Für eine mögliche Reaktivierung der Oleftalbahn sei in den kommenden Jahren eine Machbarkeitsstudie geplant, so Blindert. Auch der Linienbus-Verkehr werde stetig überprüft und nach Bedarf ausgebaut. Die Busse sollen im Kreis künftig mit dem „deutlich umweltfreundlicheren“ Bio-Erdgas oder Wasserstoff fahren, sagt Blindert.

Car-Sharing-Angebot geplant

Insgesamt sei im Kreis bis auf wenige Ausnahmen jeder Ort an den ÖPNV angebunden, sagen Blindert und Kratzke. In dünn besiedelten Regionen fahre zwar kein Linienbus, aber mit dem Taxibus gebe es ein nachfragebasiertes System, das ein Fahrplanangebot von etwa fünf Millionen Kilometer pro Jahr habe, so Kratzke. Der Taxibus fahre fast flächendeckend im Stundentakt, mindestens aber alle zwei Stunden und er sei auf die Bahn abgestimmt. Wer mitfahren will, muss spätestens 30 Minuten vorher online oder telefonisch eine Fahrt buchen.

Das System gebe es bereits seit fast 20 Jahren und werde gut genutzt, sagt Kratzke. Trotzdem sei es kaum bekannt. Ein flexibles On-Demand-System, also ohne festen Fahrplan, sei im ländlichen Raum flächendeckend eher schwer umzusetzen, sagt Blindert. Aber auch das wolle man sich in Zukunft ansehen.

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Ebenso wie ein mögliches Car-Sharing-Modell. Die Stadt Euskirchen betreibe derzeit bereits ein Markterkundungsverfahren dazu. Hier wolle der Kreis schauen, inwieweit sich so ein Modell flächendeckend ausweiten lasse, so Blindert. Denn komplett autofrei werde es 2035 im Kreis wohl nicht zugehen. „In einem ländlichen Kreis, wie wir ihn haben, wird man immer einen Pkw benötigen“, ist Blindert überzeugt. Aber er könne sich gut vorstellen, dass damit deutlich weniger Strecken gefahren, es weniger Zweit- oder Drittwagen geben und die Zahl der E-Autos steigen werden.

Klimaneutraler Busverkehr

Drei Fragen an Carsten Bußjaeger, Verkehrsleiter bei der Regionalverkehr Köln GmbH.

Was macht die RVK im Kreis Euskirchen für den Klimaschutz?Der Kreis Euskirchen und die RVK haben das Ziel, alle Busse im Kreis von Diesel auf emissionsarme und emissionsfreie Antriebe umzustellen. Dabei spielen vor allem Bio-Methan und Wasserstoff als Energieträger eine bedeutende Rolle.

Carsten Bußjaeger

Was bedeutet das?Bisher haben wir im Kreis schon 38 Busse im Einsatz, die mit Bio-Methan betrieben werden. Das funktioniert so: Wir kaufen Bio-Methan beim regionalen Energieversorger e-Regio. Für den Antrieb der Busse wird das ganz normal verbrannt. Dabei entsteht nach wie vor CO2, aber dieses CO2 wurde ja zuvor von den Pflanzen, aus denen das Bio-Methan entsteht, gespeichert. Bilanziell fahren unsere Busse damit klimaneutral. Künftig wollen wir auch Wasserstoffbusse im Kreis einsetzen, die mit einer Brennstoffzelle betrieben werden. Hierbei entsteht dann überhaupt kein CO2 mehr. Bis 2025 wollen wir in Mechernich ein Aus- und Weiterbildungszentrum für klimaneutrale und digitale Mobilität aufbauen. Dort soll es eine erste Wasserstofftankstelle für solche Busse geben. Die Busse sollen dort ausschließlich mit grünem Wasserstoff betankt werden.

Welche Folgen hat das?Einer unserer Dieselbusse fährt im Kreis pro Jahr 50 000 Kilometer. Mit dem Wechsel auf Bio-Methan und Wasserstoff können wir pro Bus und Jahr 45 Tonnen CO2 einsparen. Und das ist ja schon eine Menge. Die Bio-Methanbusse und vor allem die Wasserstoffbusse sind in der Anschaffung zwar noch teurer als die Dieselbusse, aber es gibt gute Förderungen. Und die Fahrzeuge werden günstiger werden, sobald entsprechende Stückzahlen produziert werden.