Et Elena ist mittendrin: Der Karnevals-Neuling steht bei der Weilerswister Damensitzung auf der Bühne und stürmt mit den Möhnen das Zülpicher Rathaus.
Ein Nordlicht im KarnevalEt Elena stürmt Bühne in Weilerswist und Rathaus in Zülpich
Wenn ein Einhorn mit zehn Männern eine Bühne besetzt und dem Bürgermeister mit mehreren Frauen die Krawatte abschneidet, dann ist das Karneval im Kreis Euskirchen. Ob im Elferrat der Damensitzung des KG Blau-Gold Weilerswist oder beim Rathaussturm mit den Zülpicher Möhnen – in den vergangenen Tagen habe ich mehr Generationen, Alt und Jung, beim Feiern gesehen, als gefühlt in meinem gesamten bisherigen Leben. War es lustig und unterhaltsam? Definitiv. Wünsche ich mich trotzdem jetzt schon ans Ende der kommenden Woche? Definitiv.
Aber fangen wir vorne an: Irgendwie organisierten meine Kollegen mir einen Platz als Mitglied im Elferrat auf der Weilerswister Damensitzung. Das ist ihren Aussagen nach etwas ganz Besonderes, das kann nicht jeder von sich sagen. Vor allem, weil normalerweise keine Frauen dabei seien. Ich hatte bis vor kurzem nicht einmal eine Idee davon, was ein Elferrat ist oder was ein solches Mitglied zu tun hat. Jetzt kenne ich die Antwort. Anscheinend bedeutet es, vor tausend Frauen auf einer Bühne zu stehen, ohne etwas Produktives zu tun außer massiv unter meinem Einhornkostüm zu schwitzen und mir mit einem Tambourin die Handfläche zu zermartern. Na ja, Mitsingen und Schunkeln gehört auch noch zu meinen Aufgaben.
Die Verbundenheit zur Heimat
Die Frauen im Publikum haben deutlich mehr Spaß als ich. Schon beim Auftritt von Cat Ballou stehen sie auf den Bänken und Tischen, brüllen jede Liedzeile aus voller Kehle mit und recken ihre Hände in die Luft. „Wenn man von der Bühne da runter sieht, dann sieht man nur fröhliche Gesichter“, schreit mir Henning Lorbetzki ins Ohr: „Das ist das Schöne daran.“ Ich muss zugeben: Da hat er Recht. Das ist auch für mich das Schöne daran. Ich kann mir schon vorstellen, wie es sich anfühlt, nach so langer Zeit endlich wieder zu feiern und etwas zu tun, was Teil der Identität ist, ein Brauch, der die Verbundenheit zur Heimat ausdrückt.
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Jeder Mensch, dem ich auf der Sitzung begegne, ist nett zu mir. Alle sehen so glücklich aus, alle nehmen mich sofort bei sich auf. Deshalb wäre es ungerecht zu schreiben, dass es mir nicht gefallen hat. Aber man schüttelt seine Herkunft wohl doch nicht einfach so ab. So stehe ich zeitweise auf der Bühne und fühle mich ein wenig deplatziert.
Ein Orden für Et Elena
Die komödiantischen Einlagen etwa von Guido Cantz können mir vereinzelt ein Schmunzeln entlocken. Die Musik finde ich cool. Vielleicht hat meine karnevalistische Musikstunde geholfen. So erkenne ich immerhin die meisten Lieder wieder. Tollkühne Tanzeinlagen der Bandmitglieder von Cat Ballou oder Brings sind ebenfalls unterhaltsam. Einmal muss ich sogar mit Blau-Gold-Präsident Dieter Cremer auf der Bühne tanzen. Das Problem: Ich kann nicht tanzen. Das wird zum Glück großzügig übergangen. Ich hoffe einfach, dass alle zu dem Zeitpunkt bereits durch reichlich Alkohol erheitert sind, dass es keinem auffällt.
Am Ende will mich Dieter – wir duzen uns, weil man das ihm zufolge „im Karneval so macht“ – in die Karnevalsgesellschaft aufnehmen. Einen Orden erhalte ich auch. Über die Details meiner Aufnahme „sprechen wir am besten, wenn wir alle nüchtern sind“, so ein weiteres Blau-Gold-Mitglied. Das finde ich dann doch rührend. Genauso, wie mich Dieter immerzu als schönes Mädchen statt lecker Mädche bezeichnet. Er habe immerhin den Artikel, in dem ich geschrieben habe, dass ich kein lecker Mädche sein möchte, „bestimmt drei- oder viermal gelesen“.
Alt und Jung im Elferrat
Übrigens: Auch unter meinen Elferratskollegen gibt es Herren in meinem Alter. Fabian Di Stefano erzählt mir sogar, er sei auch zum ersten Mal dabei und müsse sich noch in seiner Rolle zurechtfinden. Auch ohne mich kann man also von Alt und Jung sprechen, wenn es um die Damensitzung geht. Zumal auch im Publikum Frauen aller Altersklassen feiern. Die Zülpicher Möhnen dagegen brauchen mich schon eher, um von Alt und Jung zu sprechen. Die jüngste Möhn ist Beatrice Niederstein mit 54 Jahren. Am längsten dabei ist Josefine Engelmann, die schon 1973 das Rathaus eroberte, um dem Bürgermeister die Krawatte abzuschneiden.
„Früher sind wir noch über die Leiter ins Rathaus geklettert. Und über den Balkon! Das war noch was. Heute geht das ja alles nicht mehr, weil das angeblich zu gefährlich ist“, beschwert sich Obermöhn Marga Müller. Ich persönlich bin überzeugt, dass es besser für die Damen ist, die Treppe zu nutzen. Ob alle Möhne noch eine Leiter hochkommen, ist – mit allem Respekt – fraglich. Eine ist sogar mit dem Rollator dabei.
Lagebesprechung em Höttche
Bevor wir Ulf Hürtgen aber seiner Krawatte entledigen, treffen wir uns im Gasthaus „Em Höttche“ zum Frühstück und zur Lagebesprechung. Obermöhn Marga hat ein buntes Kindermikrofon dabei, durch das sie spricht – und singt. Neun Strophen hat eines der Lieder. Marga hat eigenen Aussagen zufolge individuelle Texte auf bekannte Melodien umgeschrieben. „Auf dem Klo auf Klopapier“, informiert sie mich unter Gelächter und eine Möhn ergänzt: „Mit Lippenstift!“ Ich hake nach, was es damit auf sich hat, aber Marga möchte das nicht erläutern. Vielleicht ist das auch besser so. „Darüber rede ich nur, wenn wir genug getrunken haben“, sagt sie.
Auch der Kneipenwirt erhält ein persönliches Ständchen von Marga, bevor wir im Entenmarsch aus dem Höttche watscheln – inklusive Fahne mit allen Namen ehemaliger Mitglieder. Dass sie vergessen hat, zu bezahlen, fällt der Obermöhn erst auf, als wir schon ein Stück gegangen sind. „Egal“, sagt sie: „Wir kommen später wieder.“ Es hätte vermutlich auch sehr lange gedauert, mit Rollator und dem kleinen Wägelchen einer der Damen wieder zurückzukehren. Dann hätten wir es bis um 11.11 Uhr nicht zum Rathaus geschafft.
Der letzte Rathaussturm?
„Das hier könnte Zülpichs letzter Rathaussturm sein“, verrät mir Marga: „Weil es eben keiner mehr machen will. Uns gibt es schon seit 60 Jahren.“ Beatrice ergänzt: „Früher war Karneval ganz anders, viel spontaner. Und auch besser.“
Möhne, das sei ein Wort für Marktfrauen gewesen, wird mir auf dem Weg zum Rathaus erklärt. Und warum schneidet man dem Bürgermeister nun die Krawatte ab, will ich wissen. „Na ja, sonst würden wir dem was anderes abschneiden“, erklärt Marga und zwinkert mir zu. Ich denke, damit sind nicht Ulf Hürtgens Haare gemeint.
Rockabilly-Ulf
Besagter Bürgermeister wartet bereits in Rockabilly-Montur auf uns, als wir das Treppenhaus erklimmen. Auf dem Innenhof hinter dem Rathaus haben sich zwischen einer Bühne und Getränkebuden bereits einige Jecken eingefunden. Die sind auch unser Publikum, als wir am offenen Fenster die Krawatte des Bürgermeisters zerkleinern. Stolz hält Marga den abgeschnittenen Schlips hoch. Dann muss Hürtgen noch ein großer Schlüssel gestohlen werden, dem sie ihm kurz zuvor umgehängt hat. Auch diese Beute wird unter Jubel aus dem Fenster gehalten. Derweil darf ich den Krawattenrest des Bürgermeisters mit einer Nagelschere abschneiden.
Mein Fazit: Sowohl mein Abend in Weilerswist als auch der Rathaussturm waren für mich neu und kurios. Es hat Spaß gemacht, aber es war auch anstrengend. Mein größter Kritikpunkt ist aber: Dass ich arbeiten muss und alle anderen den Spaß ihres Lebens haben. Warum habe ich mich überhaupt auf dieses Projekt eingelassen? Ich möchte auch mitfeiern.