Kreis Euskirchen/Vogelsang – Es war ganz sicher keine Liebesheirat, als die Altkreise Schleiden und Euskirchen 1972 sich vor dem Traualtar des damaligen Aachener Regierungspräsidenten das Jawort gaben und zum Kreis Euskirchen verschmolzen. Als zu unterschiedlich galten die wortkargen „Eefeler“ aus dem Süden und die „Knollebuure“ aus dem Norden.
Und beide Hochzeiter hatten dazu auch noch mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen: Durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft drohten Tausende Arbeitsplätze verloren zu gehen. Und in der Industrie waren einst florierende Textil- und Steinzeugbetriebe, die es im Euskirchener Raum gab, nicht mehr konkurrenzfähig.
93 Jahre alter Zeitzeuge
Dass man heute, 50 Jahre später, dennoch von einer Erfolgsgeschichte sprechen kann, dafür waren viele Protagonisten aus den elf Städten und Gemeinden zwischen Swist im Norden und Kyll im Süden verantwortlich. Gemeinsam feierten am Mittwoch rund 300 geladene Gäste im ehemaligen belgischen Truppenkino in Vogelsang diesen Erfolg und den runden Geburtstag.
Tatsächlich waren auch noch einige Zeitzeugen zu Gast, die bereits im Jahr 1972 den Festakt zur Gründung des neuen Kreis Euskirchen erlebt hatten: Alois Sommer, heute 93 Jahre alt, war damals als Kreistagsmitglied involviert, als aus dem Kreis Schleiden und dem alten Kreis Euskirchen ein neues Gebilde geformt wurde. Beim Festakt zum 50-jährigen Bestehen des heute rund 195 000 Einwohner zählenden Landkreises saß der Schleidener Alt-Bürgermeister in der ersten Reihe.
1975 zog Kreisverwaltung nach Euskirchen
Auch Dr. Karl-Heinz Decker war gekommen. In einer launigen Talk-Runde mit Moderator Sebastian Tittelbach erinnerte er sich an die schwierigen Anfangsjahre in der mit Mitarbeitern aus Schleiden und Euskirchen besetzten neuen Kreisverwaltung: „Wenn ich gewusst hätte, was mich alles erwartete, wäre ich im Ministerium geblieben“, erzählte der ehemalige Verwaltungschef, der zunächst Kreis- und später Oberkreisdirektor war.
Erst 1975, als das neue Gebäude der Kreisverwaltung am Jülicher Ring in Euskirchen bezogen werden konnte, verbesserten sich die Arbeitsbedingungen, so Decker: „Vorher waren die Mitarbeiter der verschiedenen Abteilungen über zahlreiche Nebenstellen verteilt.“
Einer, der über viele Jahre die Entwicklung des Kreises Euskirchen als Landrat mitbestimmt hatte, fehlte beim festlichen Stelldichein von Vertretern zahlreicher Gruppierungen des öffentlichen Lebens: Ex-Landrat Günter Rosenke, der 26 Jahre lang oberster Repräsentant des Kreises und Chef der Kreisverwaltung war, genießt derzeit einen schon lange geplanten Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff, den er coronabedingt mehrmals hatte verschieben müssen. Er hatte aber eine Videobotschaft für die versammelte Festgemeinde vorbereitet, in der auch er an die wechselvolle Kreis-Geschichte mit „einigen Tiefen, aber auch vielen Höhen“ erinnerte, um mit einem an den Kreis gerichteten Zitat aus einem Song der „Bläck Fööss“ zu enden: „Schön, datt du do bess!“
Talkrunde mit Unternehmerinnen aus dem Kreis
Zwei Unternehmerinnen aus dem Kreis Euskirchen berichteten in einer zweiten Talkrunde, warum der Kreis Euskirchen für ihre Unternehmen der ideale Standort ist. Beide wurden mit ihren Betrieben im vergangenen Jahr schwer von der Flutkatastrophe getroffen.
Marielle Haep, die in Bad Münstereifel das Boutique Hotel Marielle betreibt, war gerade mit dem Renovieren fertig, als die Erft über die Ufer trat und die komplette Einrichtung zerstörte.
„Jetzt freuen wir uns aber wieder auf die ersten Gäste – und bald ist bei uns im Haus dann tatsächlich alles fertig“, sagte Haep. Sie sieht die Chance auf den Neuanfang: „Eiche rustikal ist vorbei, jetzt wird es zeitgemäßer!“
Auch Verena Andree-Schwarz, Geschäftsführerin der Firma KTS-Verpackungen aus Gemünd, sieht bei allen schrecklichen Erlebnissen des Vorjahrs auch die gute Seite: „Wir haben jetzt Glasfaser. Und wir haben viele Abläufe im Betrieb optimieren können, weil wir praktisch einen kompletten Neustart gemacht haben.“ Für beide steht fest: Die Eifel ist für sie eine echte Heimat geworden.
Markus Ramers bedankt sich bei Ehrenamtlern
Markus Ramers, Rosenkes Nachfolger als Landrat, bedankte sich in seiner Rede ausdrücklich bei allen, die sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten für das Wohl und die Entwicklung des Kreises eingesetzt haben – besonders bei denen, die das als Kreistagsmitglieder und allgemein in den Gremien der Kommunalpolitik als Ehrenamtler tun oder getan haben. „Ihnen sind die Menschen im Kreis Euskirchen eine Herzensangelegenheit. Und bei allen politischen Meinungsverschiedenheiten dürfen wir doch stolz auf die politische Kultur sein, die den Kreistag seit Jahrzehnten prägt: das Leben der Menschen im gesamten Kreis zu verbessern“, sagte Ramers.
Auch er kam zum Schluss, dass die Bemühungen, aus den zwei Teilen etwas Neues und Ganzes zu machen, erfolgreich gewesen seien: „Keiner sagt heute, ich wohne in Dollendorf im Altkreis Schleiden. Oder in Kreuzweingarten im Altkreis Euskirchen. Diese Begriffe haben sich im Laufe der Zeit rausgewachsen – wir sind heute alle Kinder des Kreises Euskirchen.“
Gitarrist von Gründungsfeier wieder auf der Bühne
Viel Applaus erhielten auch die Künstler, die mit ihren Beiträgen einen gehörigen Anteil daran hatten, aus dem Festakt einen kurzweiligen Abend werden zu lassen. Dabei stand mit Gitarrist Wilhelm Geschwind, der zusammen mit Sängerin und Jazz-Trompeterin Susanne Riemer Beatles-Klassiker und brasilianisch angehauchte Jazz-Nummern mit kölschen Texten präsentierte, auch ein weiterer Zeitzeuge auf der Bühne: Geschwind war auch beim Festakt vor 50 Jahren mit von der Partie. „Ich spielte damals in der Band The Tolbiacs und es war unser erster bezahlter Auftritt“, erinnert sich Geschwind.
Der aus Zülpich stammende Poetry-Slammer Julius Esser, 1972 hätte man ihn wahrscheinlich noch „Dichter“ oder „Vortragskünstler“ genannt, hatte eine „Ode an den Kreis Euskirchen“, an sein „Zuhause“ getextet, die er mit viel Herzblut vortrug und die zum emotionalen Höhepunkt des Abends wurde.
„Und deshalb nehmen wir jetzt für jede Stadt und jeden Ort – nur ein Wort: Zuhause“, skandierte er ins Mikrofon: „Denn Zuhause heißt Familie. Dabei ist es egal ob alteingesessen oder neu gefunden, wenn man dranbleibt, wird jeder in diesen Familienkreis mit eingebunden.“